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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 2): Die germanischen und slawischen Länder: West-, Mittel-, Ost- und Norddeutschland, England, Irland, Schweden,Norwegen, Dänemark, Russland, Polen, Litauen — Leipzig, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.13168#0125
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4. Hamburg. Altona. Stade. Schleswig-Hols'tein.

a) Die primitive Gruppe.

Die starke Wahrscheinlichkeit, daß bereits im 15. Jahrhundert, vielleicht noch früher, in
Hamburg Teppichwirker ansässig waren, ist gegeben. Urkundliches Material ist, wie fast in
allen analogen Fällen, nicht vorhanden. Wirkereien, die sich stilistisch mit Sicherheit mit
der frühen Hamburger Tafelmalerei in Verbindung bringen lassen, sind mir vorerst nicht
bekannt.

Die Tatsache, daß Hamburg — die Stadt tritt zunächst gegenüber Lübeck zurück —
Umschlag- und Stapelort von Bildwirkereien war, die zu erheblichem Teil nach den skan-
dinavischen Ländern abwanderten46), bedingt nicht ohne weiteres die Annahme, daß die in
der Elbe-Metropole eingehandelten Teppiche einheimischen Werkstätten entstammten. Daß
starke Verbindungsglieder vorhanden waren, beweisen verschiedene Behänge mit Wappen
Hamburger Geschlechter. Als frühestes Stück erscheint eine „Anbetung der Könige" im Be-
sitze der Spanish Art Gallery zu London (Abb. 90, H. 5'11", L.6'7"). Unter der Madonna
stehen die beiden Allianzwappen der Hamburger Familien der Zeuen46) und der Hester-
berch47) oder Holtze48). Die Zeichnung ist hart. Das technische Unvermögen des Wirkers
zeigt sich nicht nur in der Durchbildung der Gesichter, sondern auch in der schematischen
Wiedergabe der Gräser und Bäume. Die ausgiebige Brokatierung der Gewänder vermag
den Mangel nicht zu decken. Die niederländische Schraffentechnik wird schematisch, ohne
tieferes Gefühl verwandt: oberer Baldachin über dem Rückbrokat der Gottesmutter. Ein
gotisierender Rankenstab faßt das Mittelbild, die Eckkartuschen erinnern an die Rahmen
des Behanges zu Wienhausen. Der Teppich dürfte, trotz des archaistischen Aussehens,
kaum vor 1520 entstanden sein..

Es folgt zeitlich ein 1544 datierter Wandbehang (Abb. 91a, H. 1,45 m, L. 1,26 m) mit dem
Wappen der Hamburger Familie Moller49) und der Knauer (allerdings erst im 18. Jahrhun-
dert urkundlich nachweisbar). Als Material dienen Wolle und Leinen (leinene Kette). Die
Haupttöne sind Rot, Blau, Blaugrün und Gelbbraun. Zur Darstellung gelangt eine bekannte
Episode: König David entbrennt in Liebe zu der schönen Bathseba; er entsendet den Boten
mit dem verhängnisvollen Brief an ihren Gatten, den Feldhauptmann Urias. Das Motiv geht
wahrscheinlich auf eine Stich- oder Holzschnittvorlage zurück. Der Aufbau ist primitiv und
bereits stark verwildert. Er zeigt die typischen Merkmale, zum mindesten den überwiegen-
den Einfluß der nordischen, speziell in Südschweden heimischen Kunst.

Architektur und Flora sind stark stilisiert. Der Brokatmantel König Davids könnte
unmittelbar einem südschwedischen Teppich aus der zweiten Hälfte des 16. Säkulums ent-
lehnt sein. Trotzdem ist die Technik des niederländischen Wirkers, der vielleicht in den
zwanziger Jahren in Hamburg oder in der Umgegend sich ansiedelte, sowohl in der Schraf-
fen- als auch in der Spaltenlegung — Himmel, Gewänder — deutlich erkennbar. Andere
Details — Wiedergabe der Haare (König David), der Pupillen, der geflammten Grasbüschel
usw. — lassen mit Sicherheit auf ein altüberkommenes eingesessenes Wirkereiverfahren
schließen, das sich unter flämisch-brabantischem Einfluß wandelte und schließlich verwil-

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