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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Bearb.]; Meyer, Bruno [Bearb.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 1) — Leipzig: Verlag von A. H. Payne, 1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.62315#0396
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66 Giorgione.

älterer Zeit zu Grunde gegangen. Wie viel auch in italieniſchen und ausländiſchen Galerien auf
Giorgione's Namen getauft iſt, nur Vereinzeltes darunter iſt mit Fug und Recht ihm zuzuſchreiben.
Mit Ausnahme des Jugendbildes in Caſtelfranco gehört in ganz Italien ihm nur wenig an,
in bekannteren Galerien wohl nur jene Gruppe von drei Halbfiguren im Palazzo Pitti zu Florenz,
die mit dem Namen „Das Concert“ bezeichnet wird. Zwei Geiſtliche und einen jungen Cavalier,
von Hauſe aus offenbar als Bildniſſe gemalt, hat der Künſtler in einer Weiſe, die er erfunden,
zu einer Gruppe von ganz beſtimmter Situation vereinigt. Die Macht der Töne, welche der jüngere
Prieſter dem Clavier entlockt, und welche ihn wie die beiden Andern geheimnißvoll ergreift, flößt
dieſen groß aufgefaßten Charakteren eine geſteigerte Empfindung ein. Dieſes iſt das Bahnbrechende
unter jenen Situationsbildern, wie ſie hernach in der venetianiſchen Schule heimiſch werden: keine
Handlung, ſondern eine einfache Zuſammenſtellung von Charakteren, welche wirken durch ihre bloße
Exiſtenz, aber von einem mächtigen Leben erfüllt ſind. In der Stimmung, welche ſie verbindet,
athmet, ſo ruhig ſie auch Alle ſcheinen, eine verhaltene Leidenſchaft, eine hohe Energie des Gefühls.
Solche Bilder locken uns zum Nachſinnen, das Motio, welches die Geſtalten verbindet, ſcheint uns
ein ganz beſonderes zu ſein, das einen ſeltenen poetiſchen Reiz auf unſere Phantaſie übt, wir
möchten ihm nachſpüren und nachträumen, wir glauben durch die Erſcheinung der Menſchen einen
Blick in ein tiefes Seelenleben, in eigenthümliche Schickſale zu thun. Wie lebensvoll erfaßt Gior-
gione die Charaktere, zugleich aber in wie ſtilvoller Hoheit, als ſeien ſie für die Ewigkeit gedacht.
Den Zauber, welchen er dadurch ausübt, vollendet die Schönheit der Farbe, in welcher er alle Mittel
entfaltet, deren Giovanni Bellini Herr war, aber die Gluth zugleich noch ſteigert, im Fleiſchton eine
größere Wahrheit erreicht und zu einer Weichheit in den Uebergängen gelangt, in welcher der Umriß
als ſolcher vollſtändig aufgehoben iſt, während die plaſtiſche Fülle aller Figuren durch die Energie
der Schatten, durch die vollendete Modellirung noch wirkungsvoller hervortritt. Um die Gränzen
zu bezeichnen, zwiſchen denen Giorgione ſich bewegt, mögen zwei Bilder in deutſchen Galerien
dienen: Die Begrüßung zwiſchen Jacob und Rahel, in der Dresdener Galerie, ein ländliches Idyll
aus den eigenen Tagen des Künſtlers, ausgeführt in größerem Maßſtab, von einer eigenthümlichen
naiven Herzlichkeit der Empfindung erfüllt, und von einer Stimmung friedlichen, heitern Glückes,
zu welcher der ganze Reichthum an Tönen in der Landſchaft ſelbſtändig mitwirkt. Dem gegenüber
ein Gemälde im Belvedere zu Wien, das in zwei Halbfiguren einen lebhaften dramatiſchen Moment
mit den einfachſten Mitteln in Scene ſetzt: Der Mordanfall eines Geharniſchten auf einen ſchönen,
mit Weinlaub bekränzten Jüngling — unheimlich, ſchauernd, von geſättigter Kraft der Färbung
und von wirkungsvollem Gegenſatz zwiſchen dem düſteren Schatten auf dem hinterrücks Angreifenden
und dem vollen Licht, in welchem die Geſtalt des Angegriffenen erſcheint. Ein anderes Bild Gior-
gione's in derſelben Galerie, drei Philoſophen in einer Landſchaft, ein räthſelhaftes Converſations-
ſtück, ward erſt nach ſeinem Tode von ſeinem Schüler Sebaſtiano del Piombo vollendet, deſſen
Hauptthätigkeit hernach Rom zum Schauplatz hat, wo er den Stil Michelangelo's mit der venetia-
niſchen Färbung zu vermählen ſtrebte. A, M.
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