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Goldschmidt, Adolph
Die deutsche Buchmalerei (Band 2): Die ottonische Buchmalerei — Firenze, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.25238#0019
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Reichenau, nicht auf dem Boden dieser Insel, sondern in Trier entstanden
sein mag, wie es auch Haseloff angenommen hat.

Diese ganze, mutmaßlich in Trier zu lokalisierende Gruppe zeichnet sich
durch eine vornehme Ruhe aus, die Umrisse sind lang hingezogen in gleich-
mäßig verlaufenden Kurven, die Modellierung vollzieht sich in sanfter Run-
dung ohne energische Gegensätze in Licht und Schatten, die Färbung ist
im Einklang damit hell, zuweilen fast blaß wirkend. Die Gesten sind zurück-
haltend, und der Ausdruck der Köpfe ohne stärkere Bewegung, aber von
gleichmäßiger Schönheit. Auch die Architektur zeigt eine gewisse Reinheit
der Linien und eine verhältnismäßig richtige Perspektive. Dazu gesellt sich
eine Abgewogenheit der Komposition, die auch schon bei den bewegteren
Szenen des Egbertcodex deutlich zum Ausdruck kommt. Dies alles offen-
bart eine klassizistische Gesinnung, die von Vorbildern antiker oder anti-
kisierender Herkunft eingegeben ist, sich aber doch mit keinem derartigen
Vorbild wirklich deckt, sondern eine selbständige, aus der neuen .Zeit er-
wachsene Künstlerpersönlichkeit verrät.

Aber diese Persönlichkeit vertritt nicht völlig den Charakter der jungen
deutschen Künstlergeneration, die nach stärkerem, dynamischem Ausdruck
ringt und die reiche ornamentaleWertung einer ruhigen optischen Sachlich-
keit vorzieht. Einem solchen Temperament gegenüber, das sich regen mußte,
sobald eine gewisse Beherrschung der Mittel eingetreten war, konnte jener
Anpassungsstil weder hier noch an anderen deutschen Kunststätten wider-
stehen.

So zeigt schon das Aachener Evangeliar in den gestreckteren Figuren, in
der straffen Abspreizung mancher Mantelenden und in der schärferen Ab-
sonderung und selbständigen Umkreisung der einzelnenGewand- und Körper-
teile eine Neigung zur Umwandlung des organischen Zusammenhanges in
eine gegenständliche Zusammenfügung.

Und dieser Prozeß mit allen seinen Konsequenzen ist auf der Reichenau
selbst weiter zu verfolgen und führt zu Handschriften, die in noch stärkerem
Maße als eigene künstlerische Schöpfung zu betrachten sind. Das hekannteste
und reichste unter diesen Büchern ist das Evangeliar Öttos III. (Cim. 5 8), das Taf. 24—2j
außer dem Widmungsbild, den Evangelistenbildern und den Kanontafeln
zahlreiche Darstellungen aus den Evangelien enthält. Es hat viele Kompo-
sitionen mit dem älteren Aachener Evangeliar gemeinsam. Dabei ist vor
ailem zu bemerken, daß der Umriß vereinfacht, und damit die Bewegung der

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