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Paul Graupe [Hrsg.]; Paul Graupe (Firma) [Hrsg.]; Kunsthandlung Doktor Otto Burchard (Berlin) [Mitarb.]
Auktion / Paul Graupe, Antiquariat (Nr. 17): Moderne Graphik: Blätter von: Boehle, Bone, Bracouemond ... ; Handzeichnungen von: Klemm, Knaus, Leistikow, Menzel ; Ölgemälde von Hamilon ; Versteigerung: 16. September 1918 — Berlin, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.22199#0050
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Struck datiert seine „Harzreise im Winter“ aus dem Jahre 1912, und die
Arbeiten Corinths tragen Jahreszahlen, die sogar bis zu 1908 hinabreichen.
Die interessantere Mappe ist ohne Zweifel die Strucks, Denn Corinth,
der Führer unserer alten Sezession, zeigt in seinen sieben Radierungen nur
die bekannten Vorzüge und Schwächen, In seinen drei weiblichen Akten
ist die Zeichnung mit der sicheren Kontur wieder bestrickend, die ihm
eigentümliche Derbheit der Auffassung und Ausführung tritt fast ganz
zurück oder verrät sich nur in Kleinigkeiten, wie z, B, bei dem einen liegen-
den Akt in dem Ansatz des linken Schultergelenks, und trotz des Fehlens
der Farbe haben diese geschmeidigen Frauenkörper wieder das beseelte
Leuchten, das auch manche Akte des Malers auszeichnet. Sie leben, sie
atmen, es pulst lebendiges Blut in ihnen. Auch sein Struck-Bildnis, das wie
mit dem Kohlestift hingewischt scheint und darin allerdings neuartig wirkt,
hat dies innere Leben. Nur wo er dieses Leben allzusehr betonen will,,
m irkt er dann doch etwas robust und kraftmeierisch, so in einem harten
männlichen Halbakt, der die Starrheit von Federzeichnungen hat, und in einer
„Dame an Stuhllehne“, deren Gesichtszüge an Irene Triesch erinnern. Sehr
schön aber ist wieder ein Selbstporträt „Als ich krank war“ vom Jahre 1912,
das in seiner stillen, unaufdringlichen Manier ganz die Stimmung atmet, aus
der heraus es entstanden ist. Das Ganze eine Gabe für Kenner und Fein-
schmecker, die den Eigenheiten des Künstlers bis in das letzte Strichelchen
fühlend, prüfend und vergleichend nachzugehen vermögen, — eine Variation
des uralten Themas Mensch, das immer fesselt, auch wenn es nicht — wie
hier — zu rückhaltloser Bewunderung nötigt.

Das aber kann man wohl von den Harzlandschaften Hermann Strucks
sagen, die wie eine Folge lyrischer Gedichte berühren. Es ist nicht der
hymnische Goethe-Ton aus der „Harzreise im Winter", der in ihnen
schwingt, es ist auch nicht die Gefühlsinnigkeit Eichendorffs, die sie so
reizend macht, oder die naive Keckheit Heines; man denkt viel mehr an
moderne Dichter, an Hermann Hesse etwa oder an Bruno Frank, und im
Einfangen der Stimmung, im Ausmalen des Augenblickseindrucks gleicht er
ganz diesen beiden. Wie diese, ist er vollkommen Impressionist, aber er
vergißt nie die Form. Sie adelt selbst den flüchtigsten Eindruck, Es sind
Gefühlsextrakte, die Struck gibt; und sieht man diese winzigen Bildchen an,
deren größtes nicht mehr als Oktavformat, deren kleinstes die Ausdehnung
einer Briefmarke hat, so kann man wohl sagen, daß sie auf die denkbar
einfachste Formel gebracht sind, Winterlandschaften sind es, weiße
Januaitage in Schierke; Haus und Flof, Feld und Wald, Berg und Tal in
Schnee gehüllt, und die Luft von jener eigentümlichen Klarheit, wie sie
strenger Frost bringt, und doch durchzittert von der Ahnung neuen Schnees.
Alles ist Duft und Hauch. Nichts Großes, das Theaterhafte fehlt ganz. Das
Kleine schildert Struck: Häuschen, die sich im Schnee verstecken, eine ein-
same Tanne vor weißem Berghang, schwarze Gartenzäune, eine frierende
Dorfstraße, ein Dach, über dem der Herdrauch zittert. Und immer nur die
Landschaft, nirgends ein Mensch, ein Tier. Einmal steht über weißen
Bergen in zartester Kontur, kaum sichtbar, der Brocken, Einmal weint leise
die Einsamkeit, Wer aber tiefer blickt, glaubt Glockenklänge zu hören,
und es wird einem in dieser sonntäglichen Winterstille ganz feierlich zu-
mute, Man lebt und atmet einen weißen Traum.

Ja, Traum sind diese Bilder. So glitt, ganz still und leise, die Land-
schaft an den Augen des Künstlers vorbei, und so hat er sie wiedergegeben.
Reifste Kunst spricht hier. Vergeblich sucht man nach Vergleichen, und
nur in jenen zarten, dünnen, halb verwischten Bleistiftzeichnungen, an
denen unsere Großeltern einst ihre Freude fanden, findet man wohl Aehn-

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