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Hals, Frans [Hrsg.]; Grimm, Claus <Prof., Dr.> [Hrsg.]
Frans Hals: Entwicklung, Werkanalyse, Gesamtkatalog — Berlin, 1972

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https://doi.org/10.11588/diglit.29837#0158
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kanten — geringfügig verrutscht und durch »herausspringende Kontur« zugleich als
momentane Aufnahmen veränderlicher Bewegungsphasen gekennzeichnet — stets dort
eingetragen, wo die Spannung der Gesichtsmuskulatur sich den charakteristischen phy-
siognomischen Höhlungen und Wölbungen verbindet.

STIL UND STILWANDEL

Der Wandel des inneren Themas

Es ist beobachtet worden, daß nur bestimmte Themen und Motive für bestimmte
Perioden repräsentativ wurden, kraft der ihnen eigenen, besonderen Ausdruckseigen-
schaften, die sie zum prägnanten Typus, zum Begriff mehrerer typischer Eigenschaften
werden Iießen. So wie das von Ruisdaels »Mühle von Wijk«140 gilt oder für Willem van
de Veldes »Kanonensalut«, gilt es auch in der Porträtmalerei von den Gesten einiger
vitaler Prototypen, deren Physiognomie sie im selben Sinne personifiziert wie ihre Hal-
tungen. Diese Kongruenz des dargestellten Geistigen und des in bestimmter Weise ver-
geistigten Sinnlichen der malerischen Sicht ergibt sich aus der Dichte des Gesamtbezugs
der Erfahrungsweisen. Die einheitlich-genaue Abstimmung der verschiedenen Erfahrungs-
und Vorstellungsbereiche ermöglicht die Vereinheitlichung der Struktur, — die im Barock-
Porträt besonders vielschichtig ist, da sich in ihm der erwachende Wille zur individuellen
Repräsentation überschneidet mit einer sich gerade erst schrittweise vollziehenden Lösung
der »Sicht« und der Bilderwartung aus den überindividuellen Bindungen, so daß das
Individuum als Modifizierung eines sehr breiten Konzepts begriffen ist. Dabei ändert
sich bei Hals die Sicht rapid, nicht so rasch das äußere Thema. Die Sicht ist erst überwie-
gend »naturalistisch«, später »impressionistisch« — abstrahierend. In derselben Spanne
verändert sich die Skala der dargestellten Motive von (1614) festen Typen des Gestus
zu (seit 1616) subjektiv motiviertem Gestus objektiver Bedeutung, zu spontaner, durch
Einwirken einer unsichtbaren äußeren Handlung bedingter Bewegung (1626), zur dia-
logisch unmittelbaren Handlung auf den auslösenden Beschauer zu (1629/30), zur rein
subjektiv motivierten, von Gesicht und Körperbewegung gleichmäßig veranschaulichten
Aktion der Bilder nach 1646.

Untersucht man nun die Reihe der Bilder, die jener besonderen Dichte wegen zum »In-
begriff« für die von ihnen dargestellte Porträthaltung geworden sind, so fällt auf die
verschiedene innere Thematik:

Lachen und übersprudelnde Bewegung für die zwanziger Jahre (Ramp [Kat.A^],
Lachender Kavalier [Kat.iy], Lautenspieler [Kat.23], Malle Babbe [Kat.47]); gezeigt
ist damit die starke Bewegtheit des Darstellungsobjekts gegenüber der nur wenig in die
Beobachtung eindringenden Verhaltensweise des betrachtenden Subjekts.

Starke, doch bezähmte Emotion für die frühen dreißiger Jahre (Loo [Kat. 36], van den
Broecke [Kat. 38], Roosterman [Kat.67]); gezeigt ist damit ein eingeschränkter Spiel-
raum für die Launen des abgebildeten Objekts; die Subjektivität optischer Rezeption

140 Max Imdahl, Die Mühle von Wijk. Stuttgart (Reclam) 1968, S. 8 ff.

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