Was hier am Beispiel der Karte Türsts gezeigt wird, trifft grund-
sätzlich auch für alle andern Schweizer Landkarten bis Ende des
18. Jahrhunderts zu. Anhand von astronomischen Messungen entwor-
fene Gradnetze und Geländeaufnahmen waren zweierlei Dinge, die
fast beziehungslos nebeneinander hergingen und sich erst nach und
nach annäherten. Viele Kartographen verzichteten daher darauf, in
ihre Karten ein Gradnetz einzutragen oder Gradangaben am Rande
zu machen. Der Wert der Karte Türsts liegt in der frischen, unmittel-
bar empfundenen Darstellung des Landes mit dem saftigen Grün der
Hügel, dem tiefen Blau der Seen und den mit geübter Hand treff-
sicher und munter hingesetzten leicht bräunlich kolorierten Ortsan-
sichten. Diese Darstellung kontrastiert tatsächlich angenehm mit den
etwas papieren oder pergamenten wirkenden ähnlichen Karten der
Zeit. Falls Türst die Karten selbst gezeichnet hat, kann man ihm künst-
lerische Begabung nicht absprechen. Es steht somit am Anfang der
fünfhundert]ährigen Entwicklung der Schweizer Landkarten schon
das, was ihnen auch heute noch anhaftet: die Verbindung des Techni-
schen mit dem Künstlerischen. Solches konnte nur aus unmittelbarer
Naturanschauung und aus Liebe zum Lande entstehen.
Im einzelnen ist manches fehlerhaft, und die Fehler sind auch in
der Literatur zur Genüge aufgezählt worden: Der Zürichsee ist ge-
streckt, der Walensee weit von ihm entfernt, die Gestalt des Vier-
waldstättersces ganz ungenügend erfaßt, Thuner- und Brienzersee in
gestreckter Linie, Bicler-, Neuenburger- und Murtensee zu weit von-
einander entfernt und zu klein, der Bodensee dagegen erstaunlich gut
dargestellt. Die Kettenstruktur des Gebirges ist noch kaum heraus-
gearbeitet, die große Gliederung des Landes nur durch die Flüsse an-
gedeutet, deren Verlauf auch in manchem noch fehlerhaft ist. Die
Glatt fließt unterhalb von Baden in die Limmat und mit dieser erst
weit unterhalb der Vereinigung von Aare und Reuß in die Aare. Die
Töß fehlt. Die Saane ist im Oberlauf Saane, im Mittellauf Simme und
im Unterlauf wieder Saane. Es bestehen auch Unterschiede zwischen
demWicncr und dem Zürcher Exemplar. So fehlen im Wiener Exem-
plar Hallwiler-, Baldegger- und Scmpacherscc mit der Aa und Suhr.
Im Zürcher Exemplar sind diese Flüsse eingezeichnet. Die Ortsbilder
102 zeigen bisweilen Züge unmittelbarer Anschauung, so etwa Bern, wo
der Kran auf dem Münsterturm sichtbar ist, an dem damals tatsäch-
lich gebaut wurde, ferner Biel mit den Rosiustürmen und Erlach mit
der charakteristischen Hangspornlage. In Zürich erkennt man im
Wiener, nicht aber im Zürcher Exemplar, die zwei Großmünster-
türme, die damals Spitzhclmc trugen. Der dicke Turm dabei könnte
St. Peter sein. Das Fraumünster erscheint nicht, da seine Türme damals
noch kurz waren. Fast will es scheinen, als ob Türst seine Ortsbilder
nach Teilansichten der betreffenden Ortschaften gezeichnet habe. In
Luzcrn erkennt man deutlich die Ringmauer auf der Musegg und die
lange Hof brücke, die nach der damals noch nicht in den Stadtbereich
einbezogenen Hof kirche hinüberführte. Das Hochgebirge ist in sei-
nem ewigen Schnee noch nicht erfaßt, sondern grün wie die Hügel
des Mittellandes, aber doch in seinen schrofferen und steileren For-
men angedeutet. Bemerkenswert ist im ganzen Kartenblatt die gegen-
seitige Ausgewogenheit der Kartenelemente, Gewässernetz, Gelände-
formen und Ortschaften.
Gemessen am Können der Zeit ist die Karte Türsts trotz aller ihrer
Mängel eine hervorragende, originelle und in ihrer Art einmalige Lei-
stung. Die vorliegende Veröffentlichung gibt Gelegenheit, die Karte,
die schon 1893 in Nachzeichnung reproduziert und 1942 durch Orell
Füssli faksimiliert wurde (Lit. 11), neu in einer möglichst genauen
Faksimile-Reproduktion herauszubrin gen und der Wissenschaft und
allen Kartenfreunden zugänglich zu machen, da auch die Ausgabe
von 1942 längst selten geworden ist.
In den Ausgaben der Ptolemäischen Geographie, die 1513 und
1520 bei J. Schott in Straßburg herauskamen, und in der bei Joh. Grü-
ninger erschienenen Straßburger Ptolemäus-Ausgabe von 1522 sind
in Holzschnitt gedruckte Schweizer Karten, die auf die Karte von
Konrad Türst zurückgehen. Sie gehören zur Gruppe der «neuen Kar-
ten», das heißt der Karten, die nicht zum alten Bestand der aus dem
Mittelalter überlieferten Ptolemäus-Karten gehören. Deshalb führen
die Karten von 1513 und 1520 die Bezeichnung Tabula nova. Die
102
Renaissance fühlte sich als Fortsetzerin der Antike und mehrte deren
Erbe. So wuchsen die Ptolcmäus-Atlanten stetig an. Der Straßburger
Ptolcmäus von 1520 enthält bereits 20 tabulae novae, die späten Vene-
zianer und Kölner deren 3 7 bis 3 8. Die Schweizer Karten in den Ptole-
mäenvon 1513 und 1520 sind grundverschieden. Diejenige von 1513 2
führt den Titel Tabula nova heremi helvetiorum - Neue Karte des
Schweizerlandes. Wörtlich heißt die Übersetzung «der Einöde der
Helvetier». Der Begriff (\\)eremus, Einöde, ist aber wie das gleich-
bedeutende desertum im Mittelalter juristisch aufzufassen, als ein Ge-
biet, das einem Feudalherrn an Abgaben nichts einbringt. Die deserta
unterstanden unmittelbar dem Reich. Das Wort heremus im Kartcn-
titel will also offenbar die Reichsunmittelbarkeit der Eidgenossen-
schaft betonen. Die Karte lehnt sich in ihrer Bildhaftigkcit an das Vor-
bild an. Die Berge sind in ihrem Charakter eher noch stärker differen-
ziert, besonders das Hochgebirge erscheint «alpiner ».Der Zusammen-
hang der Berge und damit die Gliederung der Landschaft sind besser.
Die Seen dagegen sind unförmiger und plumper, doch erscheint eine
deutlichere Abwinkelung der Achsen von Thuner- und Brienzersee.
Der Perimeter der Karte ist im Osten und Westen etwas kleiner, bei
ungefähr gleichen Dimensionen der Karten. Der mittlere Maßstab
ist demnach größer, gegen 11400 000. Der Bielersee ist in der Holz-
schnittkarte von 1513 vergessen worden, der Neuenburger- und der
Murtensee liegen außerhalb des Perimeters. Aa und Suhr, Hallwiler-,
Baldegger- und Scmpachersee fehlen wie im Wiener Exemplar der
Türst-Karte. Die Ortsveduten nehmen in der Holzschnittkarte viel
größeren Raum ein. Dazu zwang vielleicht schon die gröbere Technik
gegenüber der Federzeichnung. Die Harmonie des Kartenbildcs geht
aber verloren. Die Ortsbilder dominieren zu stark gegenüber den
anderen Elementen. Bei näherem Hinsehen erkennt man, daß die Orts-
veduten in der Holzschnittkarte zwar Anklänge an diejenigen Türsts
zeigen, jedoch viel reicher an Einzelheiten und bisweilen sogar selb-
ständig zu sein scheinen. Die Ansicht von Zürich ist vor allem viel
besser, zeigt eher Anlehnung an das Wiener Exemplar Türsts: Es
scheint eine Ansicht von Südwesten vorzuliegen. Die zwei schlanken
Türme sind diejenigen des Großmünsters, die damals Spitzhclmc tru-
gen. Die Fraumünstertürme waren noch kurz. Der hohe Turm in der
Mitte ist St. Peter, der kurze Turm links vorn das Rennwegtor. Die
höheren Türme rechts und links außen dürften Wchrtürme der nord-
östlichen Umwallung sein. Dem Zeichner oder Holzschneider lag
eine recht gute Ansicht vor, die er vereinfachte. Jedenfalls muß eine
wesentlich bessere Vorlage bestanden haben als die uns bekannten
Karten Türsts. Die Ansicht von Luzern ist im Holzschnitt ganz anders 103
konzipiert als bei Türst. Es scheint - der horizontalen Basislinie nach
5
sätzlich auch für alle andern Schweizer Landkarten bis Ende des
18. Jahrhunderts zu. Anhand von astronomischen Messungen entwor-
fene Gradnetze und Geländeaufnahmen waren zweierlei Dinge, die
fast beziehungslos nebeneinander hergingen und sich erst nach und
nach annäherten. Viele Kartographen verzichteten daher darauf, in
ihre Karten ein Gradnetz einzutragen oder Gradangaben am Rande
zu machen. Der Wert der Karte Türsts liegt in der frischen, unmittel-
bar empfundenen Darstellung des Landes mit dem saftigen Grün der
Hügel, dem tiefen Blau der Seen und den mit geübter Hand treff-
sicher und munter hingesetzten leicht bräunlich kolorierten Ortsan-
sichten. Diese Darstellung kontrastiert tatsächlich angenehm mit den
etwas papieren oder pergamenten wirkenden ähnlichen Karten der
Zeit. Falls Türst die Karten selbst gezeichnet hat, kann man ihm künst-
lerische Begabung nicht absprechen. Es steht somit am Anfang der
fünfhundert]ährigen Entwicklung der Schweizer Landkarten schon
das, was ihnen auch heute noch anhaftet: die Verbindung des Techni-
schen mit dem Künstlerischen. Solches konnte nur aus unmittelbarer
Naturanschauung und aus Liebe zum Lande entstehen.
Im einzelnen ist manches fehlerhaft, und die Fehler sind auch in
der Literatur zur Genüge aufgezählt worden: Der Zürichsee ist ge-
streckt, der Walensee weit von ihm entfernt, die Gestalt des Vier-
waldstättersces ganz ungenügend erfaßt, Thuner- und Brienzersee in
gestreckter Linie, Bicler-, Neuenburger- und Murtensee zu weit von-
einander entfernt und zu klein, der Bodensee dagegen erstaunlich gut
dargestellt. Die Kettenstruktur des Gebirges ist noch kaum heraus-
gearbeitet, die große Gliederung des Landes nur durch die Flüsse an-
gedeutet, deren Verlauf auch in manchem noch fehlerhaft ist. Die
Glatt fließt unterhalb von Baden in die Limmat und mit dieser erst
weit unterhalb der Vereinigung von Aare und Reuß in die Aare. Die
Töß fehlt. Die Saane ist im Oberlauf Saane, im Mittellauf Simme und
im Unterlauf wieder Saane. Es bestehen auch Unterschiede zwischen
demWicncr und dem Zürcher Exemplar. So fehlen im Wiener Exem-
plar Hallwiler-, Baldegger- und Scmpacherscc mit der Aa und Suhr.
Im Zürcher Exemplar sind diese Flüsse eingezeichnet. Die Ortsbilder
102 zeigen bisweilen Züge unmittelbarer Anschauung, so etwa Bern, wo
der Kran auf dem Münsterturm sichtbar ist, an dem damals tatsäch-
lich gebaut wurde, ferner Biel mit den Rosiustürmen und Erlach mit
der charakteristischen Hangspornlage. In Zürich erkennt man im
Wiener, nicht aber im Zürcher Exemplar, die zwei Großmünster-
türme, die damals Spitzhclmc trugen. Der dicke Turm dabei könnte
St. Peter sein. Das Fraumünster erscheint nicht, da seine Türme damals
noch kurz waren. Fast will es scheinen, als ob Türst seine Ortsbilder
nach Teilansichten der betreffenden Ortschaften gezeichnet habe. In
Luzcrn erkennt man deutlich die Ringmauer auf der Musegg und die
lange Hof brücke, die nach der damals noch nicht in den Stadtbereich
einbezogenen Hof kirche hinüberführte. Das Hochgebirge ist in sei-
nem ewigen Schnee noch nicht erfaßt, sondern grün wie die Hügel
des Mittellandes, aber doch in seinen schrofferen und steileren For-
men angedeutet. Bemerkenswert ist im ganzen Kartenblatt die gegen-
seitige Ausgewogenheit der Kartenelemente, Gewässernetz, Gelände-
formen und Ortschaften.
Gemessen am Können der Zeit ist die Karte Türsts trotz aller ihrer
Mängel eine hervorragende, originelle und in ihrer Art einmalige Lei-
stung. Die vorliegende Veröffentlichung gibt Gelegenheit, die Karte,
die schon 1893 in Nachzeichnung reproduziert und 1942 durch Orell
Füssli faksimiliert wurde (Lit. 11), neu in einer möglichst genauen
Faksimile-Reproduktion herauszubrin gen und der Wissenschaft und
allen Kartenfreunden zugänglich zu machen, da auch die Ausgabe
von 1942 längst selten geworden ist.
In den Ausgaben der Ptolemäischen Geographie, die 1513 und
1520 bei J. Schott in Straßburg herauskamen, und in der bei Joh. Grü-
ninger erschienenen Straßburger Ptolemäus-Ausgabe von 1522 sind
in Holzschnitt gedruckte Schweizer Karten, die auf die Karte von
Konrad Türst zurückgehen. Sie gehören zur Gruppe der «neuen Kar-
ten», das heißt der Karten, die nicht zum alten Bestand der aus dem
Mittelalter überlieferten Ptolemäus-Karten gehören. Deshalb führen
die Karten von 1513 und 1520 die Bezeichnung Tabula nova. Die
102
Renaissance fühlte sich als Fortsetzerin der Antike und mehrte deren
Erbe. So wuchsen die Ptolcmäus-Atlanten stetig an. Der Straßburger
Ptolcmäus von 1520 enthält bereits 20 tabulae novae, die späten Vene-
zianer und Kölner deren 3 7 bis 3 8. Die Schweizer Karten in den Ptole-
mäenvon 1513 und 1520 sind grundverschieden. Diejenige von 1513 2
führt den Titel Tabula nova heremi helvetiorum - Neue Karte des
Schweizerlandes. Wörtlich heißt die Übersetzung «der Einöde der
Helvetier». Der Begriff (\\)eremus, Einöde, ist aber wie das gleich-
bedeutende desertum im Mittelalter juristisch aufzufassen, als ein Ge-
biet, das einem Feudalherrn an Abgaben nichts einbringt. Die deserta
unterstanden unmittelbar dem Reich. Das Wort heremus im Kartcn-
titel will also offenbar die Reichsunmittelbarkeit der Eidgenossen-
schaft betonen. Die Karte lehnt sich in ihrer Bildhaftigkcit an das Vor-
bild an. Die Berge sind in ihrem Charakter eher noch stärker differen-
ziert, besonders das Hochgebirge erscheint «alpiner ».Der Zusammen-
hang der Berge und damit die Gliederung der Landschaft sind besser.
Die Seen dagegen sind unförmiger und plumper, doch erscheint eine
deutlichere Abwinkelung der Achsen von Thuner- und Brienzersee.
Der Perimeter der Karte ist im Osten und Westen etwas kleiner, bei
ungefähr gleichen Dimensionen der Karten. Der mittlere Maßstab
ist demnach größer, gegen 11400 000. Der Bielersee ist in der Holz-
schnittkarte von 1513 vergessen worden, der Neuenburger- und der
Murtensee liegen außerhalb des Perimeters. Aa und Suhr, Hallwiler-,
Baldegger- und Scmpachersee fehlen wie im Wiener Exemplar der
Türst-Karte. Die Ortsveduten nehmen in der Holzschnittkarte viel
größeren Raum ein. Dazu zwang vielleicht schon die gröbere Technik
gegenüber der Federzeichnung. Die Harmonie des Kartenbildcs geht
aber verloren. Die Ortsbilder dominieren zu stark gegenüber den
anderen Elementen. Bei näherem Hinsehen erkennt man, daß die Orts-
veduten in der Holzschnittkarte zwar Anklänge an diejenigen Türsts
zeigen, jedoch viel reicher an Einzelheiten und bisweilen sogar selb-
ständig zu sein scheinen. Die Ansicht von Zürich ist vor allem viel
besser, zeigt eher Anlehnung an das Wiener Exemplar Türsts: Es
scheint eine Ansicht von Südwesten vorzuliegen. Die zwei schlanken
Türme sind diejenigen des Großmünsters, die damals Spitzhclmc tru-
gen. Die Fraumünstertürme waren noch kurz. Der hohe Turm in der
Mitte ist St. Peter, der kurze Turm links vorn das Rennwegtor. Die
höheren Türme rechts und links außen dürften Wchrtürme der nord-
östlichen Umwallung sein. Dem Zeichner oder Holzschneider lag
eine recht gute Ansicht vor, die er vereinfachte. Jedenfalls muß eine
wesentlich bessere Vorlage bestanden haben als die uns bekannten
Karten Türsts. Die Ansicht von Luzern ist im Holzschnitt ganz anders 103
konzipiert als bei Türst. Es scheint - der horizontalen Basislinie nach
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