artigsten Trachten, durch die stärksten Schatten- und Lichteffekte hervorgehoben. Alle sind
voll Leben, alle handeln, aber in allen spiegelt sich nicht das apostolische Wunder, sondern
das — sehr werktägliche Wundern. Im Hintergrund bereichern Architekturen und Neugierige
den Reichthum der Scene. Alles ist kühn und leicht entworfen, alles äusserlich meisterhaft.
Der wahre Erbe Tizians, aber in einer schon veränderten Zeit (obschon er nur zwölf
Jahre nach Tizian starb) ist Paolo Veronese (eigentlich Caliari), der bewundernswerthestc
Maler der venetianischen Weltlust, des heitern, luxuriösen Lebens, der priveligirten Existenz
des geniessenden Adels. Sein Glanz, sein silberner, rosiger Ton, die freie, elegante Schönheit
seiner Gestalten, die prächtigen Costüme, die reichen Hallen, in welchen seine festfeiernden,
lebensfrohen, überaus naturwahren Lebemenschen sich ergehen, sind die letzte Weihe
des patricischen Venedigs und der klassischen venetianischen Kunst. Sie schliesst mit der
lebensvollsten, farbenwahrsten Dekoration eines venetianischen Banketsaales. Venedig ist nun
noch einmal in reichster Verschwendung die Stadt der Kostüme, des kaufmännischen Glücks,
der Feste und der sinnlichen Behaglichkeit. Seide, Sammt, Gold, Perlen, Juwelen, Marmor-
balustraden, Colonnaden, die reichsten Stukaturen und Vergoldungen erhöhen die vornehmen
Formen, und das Licht, das in wunderbarster Fülle über diese Welt ausgegossen ist, gibt
ihnen die Weihe. Anmuth und Poesie durchhaucht alle seine glänzenden Gestalten, und
selten fehlt die Schalkhaftigkeit des köstlichsten Humors. An Wahrheit und Lebendigkeit
des Vorganges, an Zauber der Farbe hat ihn Keiner übertroffen. Venezia hat er im grossen
Oval des Bibliotheksaales im Dogenpalast sehr charakteristisch in dieser neuen Bedeutung
verherrlicht. Die Adriabeherrscherin thront als zweite Roma im reichen Dogenmantel mit
Gold und Juwelen geschmückt, ein Perlengeschmeide um den vollen venetianischen Hals, in
der Linken ein Scepter, ihr vollkräftiges Haupt der Viktoria zugewendet, welche das reiche
prächtige Haupthaar der Herrscherin mit der goldenen Krone schmücken will. Die Gottheiten
des Olymps und Menschen aller Zonen schauen die Macht Venezias.
In der Sala dell’ Anticollegio, dem Gemache, in welchem die Gesandten weilten, bevor
der Doge und der Senat sie empfingen, hat Paolo sein reizendstes mythologisches Bild gemalt,
den Raub der Europa; der schöne göttliche Stier erfreut sich mit venetianischer Grazie an
dem verführerischen Füsschen der jugendlich üppigen Europa, welche sich auf den breiten
Rücken schwingen will, aber noch kaum weiss, wie ihr geschieht. Die Begleiterinnen ordnen
die Gewänder und neckische Eroten bieten himmlische Kränze und Blumen dar; in der Tiefe
der heitern, liebeathmenden Landschaft setzt sich das romantische venetianische Epos noch
fort. Im Gastmahl des Zöllners Levi (jetzt in der Akademie) ist jenes letzte Verklingen des
venetianischen Glückes noch einmal in riesiger Prachtkomposition vor die Augen geführt,
Christus in einer klassischen Bogenhalle am freudigsten Banket theilnehmend. Grösse der
Phantasie, Reichthum, symphonische Anordnung, einfache, heitere Wahrheit, das fröhlichste
Uebersetzen mitten in das vollsaftige venetianische Leben, silberne Transparenz des Colorits,
brillantes Licht, volle Entfaltung der Farbenpracht, naturwahrste Charakteristik der verschiedenen
Köpfe und Typen, meist Porträts von Zeitgenossen, erheben dieses Bild zu einem Inbegriff der
Meisterschaft Paolos. Aber die allzu drastischen humoristischen Kontraste brachten dem Maler
1573 eine Citation vor das Inquisitionstribunal; die Inquisition verlangte S. Magdalena statt eines
Hundes; die Diener und deutschen Hellebardenträger vermochte Paolo nur damit zu entschuldigen,
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voll Leben, alle handeln, aber in allen spiegelt sich nicht das apostolische Wunder, sondern
das — sehr werktägliche Wundern. Im Hintergrund bereichern Architekturen und Neugierige
den Reichthum der Scene. Alles ist kühn und leicht entworfen, alles äusserlich meisterhaft.
Der wahre Erbe Tizians, aber in einer schon veränderten Zeit (obschon er nur zwölf
Jahre nach Tizian starb) ist Paolo Veronese (eigentlich Caliari), der bewundernswerthestc
Maler der venetianischen Weltlust, des heitern, luxuriösen Lebens, der priveligirten Existenz
des geniessenden Adels. Sein Glanz, sein silberner, rosiger Ton, die freie, elegante Schönheit
seiner Gestalten, die prächtigen Costüme, die reichen Hallen, in welchen seine festfeiernden,
lebensfrohen, überaus naturwahren Lebemenschen sich ergehen, sind die letzte Weihe
des patricischen Venedigs und der klassischen venetianischen Kunst. Sie schliesst mit der
lebensvollsten, farbenwahrsten Dekoration eines venetianischen Banketsaales. Venedig ist nun
noch einmal in reichster Verschwendung die Stadt der Kostüme, des kaufmännischen Glücks,
der Feste und der sinnlichen Behaglichkeit. Seide, Sammt, Gold, Perlen, Juwelen, Marmor-
balustraden, Colonnaden, die reichsten Stukaturen und Vergoldungen erhöhen die vornehmen
Formen, und das Licht, das in wunderbarster Fülle über diese Welt ausgegossen ist, gibt
ihnen die Weihe. Anmuth und Poesie durchhaucht alle seine glänzenden Gestalten, und
selten fehlt die Schalkhaftigkeit des köstlichsten Humors. An Wahrheit und Lebendigkeit
des Vorganges, an Zauber der Farbe hat ihn Keiner übertroffen. Venezia hat er im grossen
Oval des Bibliotheksaales im Dogenpalast sehr charakteristisch in dieser neuen Bedeutung
verherrlicht. Die Adriabeherrscherin thront als zweite Roma im reichen Dogenmantel mit
Gold und Juwelen geschmückt, ein Perlengeschmeide um den vollen venetianischen Hals, in
der Linken ein Scepter, ihr vollkräftiges Haupt der Viktoria zugewendet, welche das reiche
prächtige Haupthaar der Herrscherin mit der goldenen Krone schmücken will. Die Gottheiten
des Olymps und Menschen aller Zonen schauen die Macht Venezias.
In der Sala dell’ Anticollegio, dem Gemache, in welchem die Gesandten weilten, bevor
der Doge und der Senat sie empfingen, hat Paolo sein reizendstes mythologisches Bild gemalt,
den Raub der Europa; der schöne göttliche Stier erfreut sich mit venetianischer Grazie an
dem verführerischen Füsschen der jugendlich üppigen Europa, welche sich auf den breiten
Rücken schwingen will, aber noch kaum weiss, wie ihr geschieht. Die Begleiterinnen ordnen
die Gewänder und neckische Eroten bieten himmlische Kränze und Blumen dar; in der Tiefe
der heitern, liebeathmenden Landschaft setzt sich das romantische venetianische Epos noch
fort. Im Gastmahl des Zöllners Levi (jetzt in der Akademie) ist jenes letzte Verklingen des
venetianischen Glückes noch einmal in riesiger Prachtkomposition vor die Augen geführt,
Christus in einer klassischen Bogenhalle am freudigsten Banket theilnehmend. Grösse der
Phantasie, Reichthum, symphonische Anordnung, einfache, heitere Wahrheit, das fröhlichste
Uebersetzen mitten in das vollsaftige venetianische Leben, silberne Transparenz des Colorits,
brillantes Licht, volle Entfaltung der Farbenpracht, naturwahrste Charakteristik der verschiedenen
Köpfe und Typen, meist Porträts von Zeitgenossen, erheben dieses Bild zu einem Inbegriff der
Meisterschaft Paolos. Aber die allzu drastischen humoristischen Kontraste brachten dem Maler
1573 eine Citation vor das Inquisitionstribunal; die Inquisition verlangte S. Magdalena statt eines
Hundes; die Diener und deutschen Hellebardenträger vermochte Paolo nur damit zu entschuldigen,
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