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Verlag Fritz Gurlitt (Berlin) [Mitarb.]
Almanach auf das Jahr ... — 1919

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IBSENDÄMMERUNG

Hysterikerin an — und wie unmenschlich! Unmöglich, ein Lächeln
zu verbergen, wenn dieses egozentrische, sterile Frauenzimmer die
Nachricht vom Tode des bedeutendsten Menschen, der in ihrer Nähe
auf getaucht ist, mit der banal romantisierenden Frage aufnimmt:
„Trug er Weinlaub im Haar?“ Plötzlich sahen wir den Ibsenschen
Symbolismus so an, wie wir heute die ersten symbolistischen Bilder
aus den neunziger Jahren betrachten. Es ist in diesen Werken Ibsens
aus seiner Münchener Periode eine Dosis Gabriel Max oder Bruno
Piglheim enthalten.
IV.
Vor ein paar Tagen sah ich „Rosmersholm“ wieder. Das haben
wir vor zwanzig Jahren mit heiliger Andacht angehört. Und weil man
Pietät gegen sich selber haben will, war man auch jetzt zur Andacht
entschlossen. Els ging eine Zeitlang ohne innerliches Kichern ab. Die
Figuren sind novellistisch fein geformt, das Stück ist mit der besten fran-
zösischen Technik auf gebaut. Allerhand Respekt vor dem wählerischen
Schüler Sardous und unwillkürliches Behagen an der novellistischen
.Nüanciertheit Ibsens! Aber als die Sache wieder geistig bedeutsam
werden wollte, da rutschte man neuerdings etwas irritiert auf seinem
Sessel herum. Pastor Rosmer, ein Landgeistlicher a. D., will in
seinem Amtsbezirk Adelsmenschen erzeugen. Wieder hatte man das
Gefühl, daß Ibsen, wenn er gedanklich pathetisch wird, um eine
Oktave zu hoch greift. Warum, um Gottes willen, sollen die Adels-
menschen gerade aus diesem norwegischen Landkreise kommen? Und
warum kommt der Pastor Rosmer, wenn er die Menschheit auf eine
höhere Stufe hinaufzüchten will, nicht über die banalsten Redensarten
hinaus? In einem jener langen Seelengespräche, die er mit Fräulein
Rebekka West abhält, souffliert ihm seine Egeria: „Du wolltest wie
ein befreiender Gast von Heim zu Heim ziehen. Wolltest die Geister
und die Willen dir gewinnen. Adelsmenschen schaffen ringsumher, —
 
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