KÜNSTLERS ERDENWALLEN
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als die Richtschnur mit dem gekohlten Holzscheit anzuschwärzen
und dann die Länge nach an den Balken zu halten und fest auf
einen Punkt mit dem Finger gedrückt. Dann fing er an, mit dem
Beil das Holz zu bearbeiten, bis ein schöner, viereckiger, gleich-
mäßig grader Balken aus dem Baum sich herausschälte. Meine
Freude an dieser Arbeit war groß, aber dennoch gab es das Aller-
schönste, und das war der eigentliche Magnet, welcher mich zu
dem Zimmermann Beekmann hingezogen hatte: Er zeichnete mir
nämlich allerlei Tiere und Menschen auf. So wurde er unbewußt
mein erster Lehrer in der Kunst, und ihm soll dieses Loblied ge-
widmet sein. Der Zimmermann Beekmann war aus einem Dorf
aus den Sanditter Fichten, ein kleiner, viereckiger Kerl mit blau-
schwarzem, an geklatschtem Haupthaar und langer Hängenase. Schade,
daß ich seine Karrikatur nicht mehr besitze, denn wir zeichneten uns
auch gegenseitig. Er zeichnete mit seinem Zimmermannsstift und
ich schnitt aus Papier aus, was ich sah: Tiere — hauptsächlich
Pferde war mein Leibfach —, auch einige auffallende Bürger des
Städtchens porträtierte ich mit der Schere, darunter war der dicke
„Buchau“. Mein Freund Beekmann war der einzige Mensch, welchen
ich nicht ob seines Könnens beneidet habe, denn nur zu meiner
Freude entstanden seine Zeichnungen; ganz anders als der Barbier
Feuersänger. Der schnitt gerade so geschickt aus wie ich, und
wenn jemand meine Künste sah, kam er immer auf den Rivalen zu
sprechen, statt mich zu bewundern. Ich gestehe, daß diese fremden
Loblieder mich stets verärgert haben. Mit Beekmann war’s dagegen
ein richtiges, kollegiales Verhältnis. Und was machte er alles?
Einen Menschenfresser, groß über einen Zeitungsbogen, mit Hörnern,
rollende Augen und Klauen, mit Zähnen und heraushängender Zunge.
Ich entsetzte mich schrecklich vor dem Scheusal, als er ihn auf mich
hetzte. Bis in die Gesindestube, wo die Knechte bei dem Abendbrot
saßen, lief ich vor ihm fort, und versteckte mich in einem finstern
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als die Richtschnur mit dem gekohlten Holzscheit anzuschwärzen
und dann die Länge nach an den Balken zu halten und fest auf
einen Punkt mit dem Finger gedrückt. Dann fing er an, mit dem
Beil das Holz zu bearbeiten, bis ein schöner, viereckiger, gleich-
mäßig grader Balken aus dem Baum sich herausschälte. Meine
Freude an dieser Arbeit war groß, aber dennoch gab es das Aller-
schönste, und das war der eigentliche Magnet, welcher mich zu
dem Zimmermann Beekmann hingezogen hatte: Er zeichnete mir
nämlich allerlei Tiere und Menschen auf. So wurde er unbewußt
mein erster Lehrer in der Kunst, und ihm soll dieses Loblied ge-
widmet sein. Der Zimmermann Beekmann war aus einem Dorf
aus den Sanditter Fichten, ein kleiner, viereckiger Kerl mit blau-
schwarzem, an geklatschtem Haupthaar und langer Hängenase. Schade,
daß ich seine Karrikatur nicht mehr besitze, denn wir zeichneten uns
auch gegenseitig. Er zeichnete mit seinem Zimmermannsstift und
ich schnitt aus Papier aus, was ich sah: Tiere — hauptsächlich
Pferde war mein Leibfach —, auch einige auffallende Bürger des
Städtchens porträtierte ich mit der Schere, darunter war der dicke
„Buchau“. Mein Freund Beekmann war der einzige Mensch, welchen
ich nicht ob seines Könnens beneidet habe, denn nur zu meiner
Freude entstanden seine Zeichnungen; ganz anders als der Barbier
Feuersänger. Der schnitt gerade so geschickt aus wie ich, und
wenn jemand meine Künste sah, kam er immer auf den Rivalen zu
sprechen, statt mich zu bewundern. Ich gestehe, daß diese fremden
Loblieder mich stets verärgert haben. Mit Beekmann war’s dagegen
ein richtiges, kollegiales Verhältnis. Und was machte er alles?
Einen Menschenfresser, groß über einen Zeitungsbogen, mit Hörnern,
rollende Augen und Klauen, mit Zähnen und heraushängender Zunge.
Ich entsetzte mich schrecklich vor dem Scheusal, als er ihn auf mich
hetzte. Bis in die Gesindestube, wo die Knechte bei dem Abendbrot
saßen, lief ich vor ihm fort, und versteckte mich in einem finstern