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Verlag Fritz Gurlitt (Berlin) [Contr.]
Almanach auf das Jahr ... — 1920

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HEINRICH LAUTENSACK ZUM.GEDÄCHTNIS 33

Übergang zum Variete und Tingeltangel. In Berlin, einer Stadt,
die dem Dichter bis zu seinem Scheiden von dieser Welt als Fremde
vorkommt (noch im Irrenhaus schreibt er in sein Tagebuch diese
Zeilen: „Mein Vater wäre niemals in Berlin gediehen, denn ein
ehrlicher Mensch, der vertrauensvoll kommt, verdient sich hier sein
Geld nicht"), in Berlin ersteht der Dramatiker Lautensack mit seinem
„Hahnenkampf", der „Pfarrhauskomödie", dem „Gelübde" und
einem weiteren halben Dutzend Stücke, die niemals gedruckt wurden.
Das Komödien-Trio, das in Büchern vorliegt, brachte dem Verfasser
schnell literarischen Ruhm in kleinem Kreise, aber auch, sobald
eine Bühnenannahme erzielt wurde, das sofortige Veto der alten
Zensur. Wie sehr Lautensack unter diesem ständigen Verboten-
werden gelitten hat, wissen nur seine nächsten Freunde. Noch in
denTagen seiner geistigen Umnachtung schreit es aus seinem Tage-
buch auf: „Wer kauft meine Bücher, wer liest sie, wenn mich die
Zensur mit meinen besten Absichten verbietet und die Direktoren
feige sind!" Zwischen seinen Bühnenwerken erstehen einige Dut-
zende von Gedichten, sozusagen lyrische Soloszenen, gesammelt
in drei Flugblättern und dem Bande „Dokumente der Liebesraserei".
Aus dem Ringen der letzten Nerven, aus der höchsten Hysterie
heraus, um seine eigenen Worte zu gebrauchen, erwächst ihm seine
Kunst. 1912 schreibt der Dichter, aus tiefster unheimlicher Ahnung
seines Schicksals, im Vorwort zu seiner „Via crucis", im 2. Buch
Maiandros abgedruckt: „Und da nun seid nicht spöttisch und ge-
hässig und redet wegen der Hysterie meines Gedichts nicht von
Irren-, sondern vom Gotteshaus!" Dann sollte es zum Schluß
doch das Irrenhaus werden. Die psychische Nacht springt für
ihn schreckhaft am Grabe seines geliebten Meisters Frank Wedekind
auf, dem er in schlaflosen Nächten ein Requiem widmet, wie es vor-
dem niemals ein Mensch geschrieben hat und nicht Wieder schreiben
wird: in Prosa, Versen und in einer Pantomime für den Film.
 
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