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Harth, Dietrich [Hrsg.]
Die Erfindung des Gedächtnisses — Frankfurt am Main, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.2940#0086
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DAVID HUME
Die Erinnerung entdeckt und schafft Identität*

Wie eine Republik nicht allein ihre Glieder, sondern auch
ihre Gesetze und Konstitutionen wechseln kann ohne ihre
Identität einzubüßen, ebenso kann eine Persönlichkeit
nicht nur ihre Eindrücke und Vorstellungen, sondern auch
ihren Charakter und ihre Sinnesart wechseln, ohne da-
bei ihre Identität zu verlieren. Was für Veränderungen auch
die Persönlichkeit erleidet, ihre Elemente bleiben immer
durch die Beziehung der Ursächlichkeit verknüpft. Vermöge
der Herstellung solcher kausaler Beziehungen läßt auch
schließlich die Identität in den Affekten die Identität in der
Einbildungskraft noch eine Verstärkung gewinnen. Dies
geschieht, sofern jene bewirkt, daß auch einander ursprüng-
lich fremde Perzeptionen sich gegenseitig beeinflussen; daß
in uns in der Gegenwart ein Interesse auch für unsere ver-
gangenen oder zukünftigen Freuden oder Unlustempfin-
dungen entsteht.
Daß uns die Erinnerung allein Kunde gibt von der Unun-
terbrochenheit und [zeitlichen] Ausdehnung der Aufeinan-
derfolge der Perzeptionen in uns, dies ist es hauptsächlich,
was sie für uns zur Quelle der persönlichen Identität macht.
Hatten wir kein Erinnerungsvermögen, so wüßten wir
nichts von Ursächlichkeit, folglich auch nichts von jener
Kette von Ursachen und Wirkungen, die unser Ich oder un-
sere Person ausmachen. Haben wir aber einmal vermöge der
Erinnerung dieses Bewußtsein der Ursächlichkeit gewon-
nen, so können wir jene Kette von Ursachen, folglich auch
die Identität unserer Persönlichkeit über die Grenzen unse-
rer Erinnerung hinaus ausdehnen und sie Zeiten, Umstände
* A Treatise of Human Nature IV 6 (1739/40)
 
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