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Harth, Dietrich [Hrsg.]
Die Erfindung des Gedächtnisses — Frankfurt am Main, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.2940#0106
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ARTHUR SCHOPENHAUER
Gedankenassoziationen, oder Leitfaden
ins Gedächtnis*

Stets sucht wer eine Erinnerung hervorrufen will, zunächst
nach einem Faden, an dem sie durch die Gedanken associa-
tion hängt. Hierauf beruht die Mnemonik: sie will zu allen
aufzubewahrenden Begriffen, Gedanken, oder Worten, uns
mit leicht zu findenden Anlässen versehn. Das Schlimme
jedoch ist, daß doch auch diese Anlässe selbst erst wiederge-
funden werden müssen und hiezu wieder eines Anlasses be-
dürfen. Wie viel bei der Erinnerung der Anlaß leistet, läßt
sich daran nachweisen, daß Einer, der in einem Anekdoten-
buch fünfzig Anekdoten gelesen und dann es weggelegt hat,
gleich darauf bisweilen nicht auf eine einzige sich besinnen
kann: kommt jedoch ein Anlaß, oder fällt ihm ein Gedanke
ein, der irgend eine Analogie mit einer jener Anekdoten hat;
so fällt diese ihm sogleich ein; und so gelegentlich alle fünf-
zig. Das Selbe gilt von Allem, was man liest. - Im Grunde
beruht unser unmittelbares, d. h. nicht durch mnemonische
Künste vermitteltes, Wortgedächtniß, und mit diesem un-
sere ganze Sprachfähigkeit, auf der unmittelbaren Gedan-
kenassociation. Denn das Erlernen der Sprache besteht
darin, daß wir, auf immer, einen Begriff mit einem Worte so
zusammenketten, daß bei diesem Begriff stets zugleich die-
ses Wort, und bei diesem Wort dieser Begriff uns einfällt.
Den selben Proceß haben wir nachmals bei Erlernung jeder
neuen Sprache zu wiederholen. Erlernen wir jedoch eine
Sprache bloß zum passiven, nicht zum aktiven Gebrauch,
d.h. zum Lesen, nicht zum Sprechen, wie z.B. meistens das
Griechische; so ist die Verkettung einseitig, indem beim
* Die Welt als Wüle und Vorstellung 2. Bd., I 14 (1844)
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