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https://doi.org/10.11588/diglit.2940#0157
ERNST BLOCH
Utopisches Eingedenken*
Relativ ist die Lagebeziehung der Körper nur im Raum-
Zeit- Kontinuum der Physik, als einem unqualitativen, pro-
zeßlosen, zielfreien. Im Weltprozeß dagegen und seiner
Philosophie relativiert ein verschiedener Standort nicht, so-
bald und sofern er nur vom objektiven Früher oder Später,
Unten oder Oben der Sache selber bestimmt ist; er eröffnet
dann in diese eben den objektiven Zugang. Und das vor al-
lem in den Zugangsakten der überlegten Erinnerung, der
überlegten Vorwegnähme, ja in ihnen gehen nun - ein wich-
tiger Bestand im Nicht-Mehr, im Noch-Nicht - die sonst
getrennten Reihenglieder: Früher und Unten, Später und
Oben zusammen, als verwandte. Sie gehen zusammen als
nach unten gelagerte archaische Vergangenheit hier, als
nach oben ansteigende utopische Zukunft dort. Der Zugang
zur Vergangenheit wird durch das überwiegend betrach-
tende Sich-Vergegenwärtigen der Erinnerung eröffnet, der
Zugang zur Zukunft durch das überwiegend gespannte, wo
nicht aktive Gewärtigsein (in Furcht oder Hoffnung) der
Vorwegnahme. Da Furcht und Hoffnung als Erwartungsaf-
fekte ebenso auch intellektuelle Verhaltungsweisen sind,
mit Vorstellung und Gedanke als ihrer intellektuellen
Form, so kann die Erinnerung, die üblicherweise ganz als
Vorstellungsfunktion erscheint, mit Furcht und Hoffnung
als Vorstellungsfunktionen parallelisiert werden - obzwar
ganz und gar nicht in der Richtung ihrer Parallelen, welche
eine entgegengesetzte ist. Beide mithin, Erinnerung wie
Vorwegnahme, treten als ebenso einander zuordenbare wie
in ihrer Richtung entgegengesetzte Zugangsakte auf: der
eine, retentionale, wendet sich gegen die fressende Zeit, ver-
Z«r Ontologie des Nocb-Nicbt-Seins (1961)
Utopisches Eingedenken*
Relativ ist die Lagebeziehung der Körper nur im Raum-
Zeit- Kontinuum der Physik, als einem unqualitativen, pro-
zeßlosen, zielfreien. Im Weltprozeß dagegen und seiner
Philosophie relativiert ein verschiedener Standort nicht, so-
bald und sofern er nur vom objektiven Früher oder Später,
Unten oder Oben der Sache selber bestimmt ist; er eröffnet
dann in diese eben den objektiven Zugang. Und das vor al-
lem in den Zugangsakten der überlegten Erinnerung, der
überlegten Vorwegnähme, ja in ihnen gehen nun - ein wich-
tiger Bestand im Nicht-Mehr, im Noch-Nicht - die sonst
getrennten Reihenglieder: Früher und Unten, Später und
Oben zusammen, als verwandte. Sie gehen zusammen als
nach unten gelagerte archaische Vergangenheit hier, als
nach oben ansteigende utopische Zukunft dort. Der Zugang
zur Vergangenheit wird durch das überwiegend betrach-
tende Sich-Vergegenwärtigen der Erinnerung eröffnet, der
Zugang zur Zukunft durch das überwiegend gespannte, wo
nicht aktive Gewärtigsein (in Furcht oder Hoffnung) der
Vorwegnahme. Da Furcht und Hoffnung als Erwartungsaf-
fekte ebenso auch intellektuelle Verhaltungsweisen sind,
mit Vorstellung und Gedanke als ihrer intellektuellen
Form, so kann die Erinnerung, die üblicherweise ganz als
Vorstellungsfunktion erscheint, mit Furcht und Hoffnung
als Vorstellungsfunktionen parallelisiert werden - obzwar
ganz und gar nicht in der Richtung ihrer Parallelen, welche
eine entgegengesetzte ist. Beide mithin, Erinnerung wie
Vorwegnahme, treten als ebenso einander zuordenbare wie
in ihrer Richtung entgegengesetzte Zugangsakte auf: der
eine, retentionale, wendet sich gegen die fressende Zeit, ver-
Z«r Ontologie des Nocb-Nicbt-Seins (1961)