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Wert einer Vase, ob sie etwa geometrisch sei oder korinthisch —,
so wenig wie die Erkenntnis der Stilentwicklung vom Gebundenen
zum Klassischen und Barocken irgend etwas über den absoluten
Wert der in einem dieser Abschnitte hervorgebrachten Kunstwerke
ausmacht, so wenig erfassen wir auch den ästhetischen Kern von
Beispielen spielender Gestaltung, wenn wir vom Standpunkt einer
späteren darstellerischen Entwicklungsstufe her ihre technischen
und seelischen Hemmungen nachweisen, ihr Nichtwollen und Nicht-
können. Wir reden vielmehr von einem in sich vollendeten ästhe-
tischen Eigenwert von Kinderleistungen einer bestimmten Stufe —
wobei höchstens zugegeben sein mag, daß das Ästhetische hier mehr
als Keimanlage, als Ansatz, selten in voller Auswirkung anschaulich
wird. Daß das Kind gemeinhin, wie wir sahen, Spiel nicht Kunst
will, daß es nicht mit bewußt künstlerischer Absicht schafft und
weder auf das Verstehen noch auf das Bewerten der anderen rechnet,
daß es endlich selbst wenig ästhetisches Urteilsvermögen hat, alle
diese von uns selbst erwähnten Tatsachen sind kein logischer Grund,
die hervorgebrachten Gebilde nicht nachträglich ästhetisch bewerten
zu dürfen. Auch die fälschlich sogenannten „Kunstformen der Natur"
bis zu den Blumen und Sternen sind vom Schöpfer kaum als Kunst-
werke angelegt; haben wir etwa kein Recht, sie schön zu finden?
Allerdings erschöpft sich ästhetische Bewertung nicht mit der Fest-
stellung der „Schönheit". Damit ein Ding künstlerisch vollkommen
sei, muß es, bedünkt uns, vor allem dreierlei Forderungen erfüllen.
Das, was es ausdrücken will, muß ein allgemein nachzuerlebendes,
allgemein bedeutsames Gefühlserlebnis des menschlichen Gesamt-
bewußtseins sein (das „Allgemeinmenschliche" nannte man es
früher). Ob es ein enges oder weites, entwickeltes oder keimhaftes,
ahnendes oder verstehendes, aktives oder passives Erlebnis sei, ist
ästhetisch nicht entscheidend. Ferner muß die Art, wie es diese
Gefühle ausdrückt (Farbe, Linie, Fläche, Körper und Raum als Aus-
drucksgebärden und Sinnbilder für Gefühle), „wahr" sein, das heißt
dem gemeinten Gefühl wirklich entsprechen. Endlich müssen, wie
wir schon bei Betrachtung der schmückenden Fähigkeiten des Kindes
sahen, die ausdruckgebenden Mittel auch schön sein, das heißt:
es müssen jene Mittel bei aller „Wahrheit" doch aufeinander
abgestimmt und zur Einheit gebracht sein, wodurch sie von der
gewöhnlichen Wahrheit des Lebens abgeschlossen und zugleich
für den Sinn des Betrachters leicht auffaßbar gemacht werden.

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