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Heidelberger Journal (46) — 1852

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Nr. 1-26 (1. - 31. Januar 1852)
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https://doi.org/10.11588/diglit.66017#0100
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det ſich in 6 Sectionen: 1) für Geſetz-
gebung, Präſident Rouher; 2) für ſtrei-
tigeAngelgenheiten, Präſident Mail-
lard; 3) für Finanzſachen, Präſident
Parieu; 4) für innere Angelegenhei-
ten, VPräfident Delangle; 5) für Handel
und öffentliche Arbeiten, Präſident Magne;
6) für Marin eangelegenheiten, Präſident
Leblane. Zugleich iſt die Ernennnung von
24 Mitgliedern des Staatsraths erfolgt.

Durch heute im / Moniteur erſchienenes
Deeret des Präſidenten der Republit wird
die Verordnung der proviſoriſchen Regie-
rung vom 28. Sebr., die Abſchaffung der
Adelstitel belreffend, annullitt.“ Burch
ein anderes Decret wird dem Miniſter der
öffentlichen Arbeiten für das Jahr 1852
ein Credit von 2,950,000 Franfen eröffnet,
der für die Gürtelbahn um Paris und
für die Eiſenbahn von Lyon naͤch Avig«
non zur Verwendung koͤmmen ſoll! Eln
drittes Decret eröffnet dem Arbeitsminiſter
einen Credit von 3 Millionen zum Bau
der Weſtbahn zwiſchen Mans und Layal.

Die Decrete gegen die Guͤter der Fa-
milie Orleans haben verſchiedene Auf-
nahme gefunden. Ich beſchranke mich auf
die Loltoſtimmung in den Werfkftätten
und Vorſtädten. Vom Morgen an wa-
ren große weiße Anſchläge in großer An-
zahl in den volkreichen Straßen, Kaͤſernen,
an den Barrieren re. angeſchlagen, welche
der Bevölkerung die Mabregeln kund gaͤ—
ben, denen das bewegliche und unbeweg-
liche Gut der Familie Orleans verfällt.
Ich kann ſagen, daß Tauſende von Arbei-
tern ſich auf dieſe amtlichen Bekanntma-
chungen mit einer Haſt, einer Gierde, ei-
ner unbeſchreiblichen Ueberraſchung warfen.
Es war für ſie etwas ganz Unerwartetes, AÄber
nachdem ſie geleſen und wieder geleſen hatz
ten, fühlte ſich ihr demokratiſcher Inſtinkt
geſchmeichelt und in ſeinen tiefſten Falten
gekitzelt. Keiner unter ihnen dachte an die
Wohlthaten der königl. Familie, an die 18
Jahre Ruhe, die ihnen der alte König ge-
ſichert, keiner an die großen Arbeiten, die
er hatte vollenden laſſen 2C0., nein das Volt,
das Pariſer Proletariat hat der vom Prä-
ſidenten und von Hrn. v. VPerfigny ergrif-
fenen Maßregel großen Beifall gezollt.
Die Arbeiter haben in alle dem nur Eines
erblickt, die Ausrottung einer Königs-
familie. Das iſt doch wahr, riefen ſie mit
einer Stimme, der Prinz iſt kein Royaliſt;
er hat Recht, daß er der Nation die Güter
zurückgibt, die ihr L. Philipp genommen.
Er iſt ein guter Demokrat; er vergißt die
Arbeiter nicht, nicht die Unterſtützungstkaffen,
die alten Prieſter und Soldaten, Die kleine
Bourgeoiſie der Boutike, die der Blouſe
näher ſteht als dem Rock, geſellte ſich die-
ſer Betfallsbewegung der Maſſen beit,

England.

* @ondon, 22 Januar. Geſtern Abend
hat der neue Miniſter der auswärtigen An-
gelegenheiten Graf v. SGranville durch
eine erſie Soiree die Reihe der Empfangs-
feierlichkeiten eröffnet, die er in der heraͤn—
nabenden Saiſon zu geben gedenkt. Unter
den Gäſten bemerkte man den franzöſiſchen
Geſandten/ Grafen Walewski, den ruſ-
ſiſchen, Baron v. Brunnow, den preußi-
ſchen, Ritter Bunſen, den ſardiniſchen,
Marquis v. Azeglio, den belgiſchen Ge-
ſchäftsträger Drouet, Herrn v. Rehau-
fen2e. Ganz in der Nähe des Vertreters
des Prinzpräſidenten der franzöſiſchen Re-
publik gewahrte man den verbannten Au-
ior der Geſchichte des Conſulats und des
Kaiſerreichs“. Herr Thiers war der Ge-
genſtand allgemeiner Huldigungen und man
hat Männer aller Parteien ſich um ihn

herdrängen ſehen. Die Anweſenheit des
berühmten Geſchichtſchreibers in ben Sa-
lons des Lord Granville iſt ein keineswegs
bedeutungsloſer Umſtand in einem Augen-


Ebhafteſten Anpringens nicht erwehren kann,
ſie möge die Ausweiſung der politiſchen
Flüchtlinge anordnen. —DieMiffions-
gefellſchaft hatte 7 Perſonen, darunter
einen entlaſfenen Offizier und einen Arzt,
üb erredet, auf dem Feuerland eine Nie-
derlaſſung zu gründen. Am 7, Sept. 1850
haben ſie Liverpool verlaffen; in den letz-
len Tagen aber hat man erfahren, daß fie
ſämmtlich dem Klima des Feuerlandes unDd
den Mißhandlungen der Einwohner erle-
gen ſind.

Die Erwartung des leitenden Co-
mites der Maſchinenarbeiteraſfo-
ciation, daß die größeren Fabriken feine
Ausgleichungsborſchläge annehmen werden,
ſceint ſich nicht beſtätigen zu follen. Der
Widerſtreit zwiſchen beiden Theilen gewinnt
von Tag zu Tag weiteres Terrain und
droht eine Arbeiterbepölkerung von 60 bis
80,000 Pexſonen außer Beſchäftigung zu
bringen. Anfangs hatten nur 30 Faͤbri-
kanten ſich dazu vereinigt, den Forderungen
der Arbeiter entſchiedeſen Widerſtand ent-
gegenzuſetzen. Nun aber, da die Zahl der
Lrpeiter, welche ſich den Forderungẽn der
Aſſociation von London und Mandefter
anſchließen, ſteigt, mehrt ſich andererſeits
täglich die Zahl der Fabrikanten, welche in
die „Central=UAffoctation der Faͤbrikanten“
eintreten und gleichfalls ihre Werkftätten
ſchließen; fünf bedeutende Fabriken haben
dieſen Schritt am 17. d. gethan, mehrere
andere geſtern, ſo daß die Zahl der uͤnbe-
ſchäftigten Arbeitex, beſonders in Lancafhire
und der Grafſchaft Middleſex, wieder fehr
zugenommen hat. Die Arbeiteraſſociation
nennt ſich the amalgamated society (ver-
einigte Geſellſchaft); ihre Mitgliederzahl,
anfaͤnglich aus nur 7200 beſtehend, ſoll be-
reits auf mehr als 30,000 geſtiegen ſein.
Die Arpeiter treffen ſolche Vorkehrungen,
die ſie jedenfalls in den Stand ſetzen wer-
den, noch einige Zeit zu widerſtehen. Die
amalgamated society ſoll ein nicht unbe-
trächtliches Kapital durch Subſeriptionen
dex Arbeiter und durch Anlehen bei Kapi-
taliſten zuſammengebraͤcht haben; ſie ver-
ſpricht das Geld, welches ihr vorgeſchoſſen
wird, mit 412 pet. zu verzinſen; ſie will
nun große Werkſtätten in Olbham er-
öffnen, da ſie bereits von mehreren Seiten
Aufträge zur Anfertigung einer Anzahl Ma-
ſchinen erhalten hat! Dieſe erſten Maß-
nahmen werden die Arbeiter wahrſcheinlich
veranlaſſen, bei ihren Forderungen noch zu
zu beharren. Sie werden erſt dann nach-
gebey, wenn ſie die Erfahrung machen, daß
ihre Kapitalien nicht zureichen, ſo zahlreiche
Werkſtätten zu errichien, daß ſie alle darin
Unterkunft faͤnden, und daß die Beſtellun-
gen, welche ſie erhalten, nicht zureichend
ſind, um alle Vereinsmitglieder zu beſchäf-
iigen. Dann werden die Fabrikanten ſtẽgen
fönnen. Aber wenn der gegenwärtige Zu-
ſtand nur Monate fortdauert, werdẽn die


zudem laufen ſie Gefahr, einen Theil der
Maſchinenbeſtellungen zu verlieren, welche
ihnen von ihren belgiſchen und franzöſiſchen
Concurrenten entzogen werden könnten. Es
haben ſich aus dieſen Gründen bereits
mehrere angeſehene Männer ins Mittel ge-
legt, um eine gütliche Beilegung der Diffe-
renzen zu erwirken; bis jetzt aber ſcheiterten
ihre Bemühungen an der gegenſeitigen Er-
bitterung der Fabrikanten und Arbeiter.

Verantwortlicher Redacteur: K, Kieckher.

Aus dem Umgang mit Emanuel
Fellenberg.

Den Einwendungen, daß die landwirth-
ſchaftlichen Armenſchuien große Ausgaben,
demzufolge abex bedeutende Mittel erforz
derten, wußte Fellenberg durch die Praͤxis
energiſch zu begegnen. Weil es ſchwer iſt,
fremden Leuten eine Ueberzeugung aus dem
Reinertrag der Bücher zu verſchaffen, ſo
waͤhlte er ein in die Augen fallendes! ſiche-
res Beiſpiel. Er kaufte ein kleines, ſehr
vernachläſſigtes Bauerngut zu Maykirch,
etwa 2 Stunden von Hofwyl an einer
Berghalde dicht vor dem Wald gelegen,
welches er einem tüchtigen Lehrer mit 11
Knaben im Alter von 10—17 Jahren über-
gab, ſie mit einem ſehr kleinen, faſt dürf-
ligen Inventar verſah und zu ihnen ſagte:
Jetzt wirthſchaftet und ernährt euch felber.
Im erſten Jahre war freilich noch manche
Hülfe nothwendig denn ſelbſt der Lehrer
mußte ſich erſt in das neue Verhältniß ſchi-
cken. Dieſe Hülfe beſtand aber bloß In
Vorſchüſſen von Seiten Fellenbergs. Aber
ſchon im 3. Jahre waren dieſe zurückge-
zahlt, die Colonie ernährte ſich vortrefflich
und brachte es ſo weit, daß ſie zuletzt ihre
kleine, aber im trefflichſten Stand befind-
liche Wirthſchaft mit Vortheil verkaufen
konnte, alg die Zöglinge weit genug wa-
ren, in das wirkliche Leben eintreten zu
konnen. Denn es galt ja blos den Beweis
für eine Behauptung zu liefern, die man
ſeither immer alg utopiſtiſche Träumerei
bekrittelt hatte. Von Nichts habe ich Fel-
lenberg mit ſo reiner Freude ſprechenge-
hört, wie von dieſem Verſuch. Ich war
faum 8 Tage bei ihm angeſtellt, als es
mich ſchon drängte wenigſtens die Stätte
zu ſehen, wo dem Jahrhundert eine ſo ſe-
gensreiche Lehre gegeben worden war, In
Begleitung mehrerer Lehrer der Anflalt,
von welchen der tüchtige und gemüthreiche
May ſeitdem aber auch zu früh geſtorben
iſt, machte ic mich auf den Weg. Das
Haus der Maykircheolonie hat eine ent-
zückende Lage; von dort aus erblickte ich


länder Alpen im hellen Sonnenſchein. Lei-
der eniſprachen das Innere der Wohnung
und ihre Bewohner keineswegs dem heitern
freundlichen Bild, welches ich mir davon
entworfen. Das erſtere zeigte die Unrein-
lichkeit einer gewoͤhnlichen Bauernwohnung;
die letzteren wußien kaum etwas von dem
einſtigen Beſitzer des Guts! Als ich zu:
rückgekehrt dies Fellenherg erzählte, gerieth
er in einen heiligen Eifer. Es ift empoͤ⸗
rend, rief er aus, daß in dem Landvolt
eine höhere Ides ſo wenig Wurzel zu ſchla-
gen vermag. Jahre lang haben ſie ein
ſchönes und auch in ſeinen Früchlen bedeu-
tendes Beiſpiel vor Augen gehabt und es
iſt davon kaum die Erinnerung bei ihnen
haften geblieben. Da ſehen Sie nun recht
deutlich/ wie ſchwer es hält, den gewoͤhnli-
gen Bauernſtand zu ſich empor zu ziehen.
Deshalb iſt es aber auch doppelt nöthig,
zuerſt zu ihm herabzuſteigen, denn nur von
feines Gleichen nimmt er Lehre und Bei-
ſpiel willig an. Von allen durch Bildung
zder geſellſchaftliches Herkommen höher Ge-
ſtellten empfängt er beides nur mit Ver-
dacht und Argwohn. Daraus werden Sie
entnehmen koͤnnen, daß der erſte Schritt zu
einer verbeſſerten Landwirthſchaft nicht voͤn
oben nach unten, ſondern von unten nach
oben geſchehen muß; aber nicht von einer
einzigen ſchwachen Seite her, ſondern all-
ſeitig und mit den Kräften des Staats,
der Gemeinden. Wenn Sie darüber nach-
penken, werden Sie erkennen, was und wie
ich es meine.
 
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