DOI Heft:
Nr. 46
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.43436#0227
Nr. 46. HEIDELBERGER 1852.'
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Geschichte des Kantons Luzern während der letzten fünfzig Jahre. Von
der Staatsumwälzung im Jahr 1798 bis zur neuen Bundesverfas-
sung im Jahr 1848, von Dr. Kasimir Pfyffer. Zürich, bei
Orell, Füssli und Comp. 1852. XVI. 739 S.
In diesem Bande hat der Verfasser sein früher besprochenes Werk
(s. Jahrbücher 1850 Nr. 32.) bis hart an die Schwelle der laufenden
Gegenwart fortgeführt, mithin zeitlich abgeschlossen. Kein Schweizerkan-
ton kann sich einer ähnlichen Arbeit rühmen, welche den Entwicklungs-
process vom Dämmerschein der Sage an bis zum allerdings hier und da
trüben Licht des unmittelbaren Lebens und Selbstbewusstseins verfolgt.
Auf eine unbedingte Belobung desselben war es dabei nicht abgesehen;
eben so wenig aber sollte die Vergangenheit als solche herabgesetzt wer-
den; den Kräften und Bestrebungen jeder Zeit bleibt ihr Recht, mit ihm
und den Thatsachen das Mass der Würdigung. Wie wenig übrigens die
letzten Jahrzehnte der alten Eidgenossenschaft bei vielem Guten der Sitten
und Einrichtungen den staatsbürgerlichen und kulturgeschichtlichen Bedürf-
nissen entsprachen, wird in dem Vorwort kurz gezeigt. „Handel und Ge-
werbe, heisst es, gediehen zwar, aber tiefer Seelenschlaf drückte
jede Geisteskraft des Volkes wie Blei darnieder. Der schweizerische Ta-
citus, Johannes Müller, durfte sein unsterbliches Werk, die Schwei-
zergeschichte, nicht einmal in der Schweiz drucken lassen/·') und der in
ganz Deutschland gefeierte Prediger Zollikofer erhielt in seiner Vater-
stadt St. Gallen mit Mühe die Erlaubniss zu predigen. Alle höhere Bahnen
des Lebens waren dem gemeinen Bürger verschlossen; die Kinder des
Landes als Unterthanen vermochten es unter dem väterlichen Regimente
selten weiter zu bringen als zum Nachtwächter im Frieden, und zum
Trüllmeister im Krieg. — Das war die alte gute Zeit, welche, wie wir
so oft lesen , ruchlose Hände zerstörlen. Diese gute alte Zeit wird zu-
rückgewünscht! — Allerdings hat auch die Neuzeit ihre Schattenseite.
Manches, was geschehen, wäre besser unterblieben. Aber auf ungleich
höherer Stufe steht das Volk gegen ehemals und eine Errungenschaft
liegt in der Neuzeit, welche allein jeglichen Opfers werth war. Die
Freiheit nämlich wohnt in den ehemals aristokratischen Kantonen nicht
*) Als Druckort war Boston (Bern) angegeben. 1780.
XLY. Jahrg. 5. Doppelheft. 46
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Geschichte des Kantons Luzern während der letzten fünfzig Jahre. Von
der Staatsumwälzung im Jahr 1798 bis zur neuen Bundesverfas-
sung im Jahr 1848, von Dr. Kasimir Pfyffer. Zürich, bei
Orell, Füssli und Comp. 1852. XVI. 739 S.
In diesem Bande hat der Verfasser sein früher besprochenes Werk
(s. Jahrbücher 1850 Nr. 32.) bis hart an die Schwelle der laufenden
Gegenwart fortgeführt, mithin zeitlich abgeschlossen. Kein Schweizerkan-
ton kann sich einer ähnlichen Arbeit rühmen, welche den Entwicklungs-
process vom Dämmerschein der Sage an bis zum allerdings hier und da
trüben Licht des unmittelbaren Lebens und Selbstbewusstseins verfolgt.
Auf eine unbedingte Belobung desselben war es dabei nicht abgesehen;
eben so wenig aber sollte die Vergangenheit als solche herabgesetzt wer-
den; den Kräften und Bestrebungen jeder Zeit bleibt ihr Recht, mit ihm
und den Thatsachen das Mass der Würdigung. Wie wenig übrigens die
letzten Jahrzehnte der alten Eidgenossenschaft bei vielem Guten der Sitten
und Einrichtungen den staatsbürgerlichen und kulturgeschichtlichen Bedürf-
nissen entsprachen, wird in dem Vorwort kurz gezeigt. „Handel und Ge-
werbe, heisst es, gediehen zwar, aber tiefer Seelenschlaf drückte
jede Geisteskraft des Volkes wie Blei darnieder. Der schweizerische Ta-
citus, Johannes Müller, durfte sein unsterbliches Werk, die Schwei-
zergeschichte, nicht einmal in der Schweiz drucken lassen/·') und der in
ganz Deutschland gefeierte Prediger Zollikofer erhielt in seiner Vater-
stadt St. Gallen mit Mühe die Erlaubniss zu predigen. Alle höhere Bahnen
des Lebens waren dem gemeinen Bürger verschlossen; die Kinder des
Landes als Unterthanen vermochten es unter dem väterlichen Regimente
selten weiter zu bringen als zum Nachtwächter im Frieden, und zum
Trüllmeister im Krieg. — Das war die alte gute Zeit, welche, wie wir
so oft lesen , ruchlose Hände zerstörlen. Diese gute alte Zeit wird zu-
rückgewünscht! — Allerdings hat auch die Neuzeit ihre Schattenseite.
Manches, was geschehen, wäre besser unterblieben. Aber auf ungleich
höherer Stufe steht das Volk gegen ehemals und eine Errungenschaft
liegt in der Neuzeit, welche allein jeglichen Opfers werth war. Die
Freiheit nämlich wohnt in den ehemals aristokratischen Kantonen nicht
*) Als Druckort war Boston (Bern) angegeben. 1780.
XLY. Jahrg. 5. Doppelheft. 46