Uebersetzungen Griechischer und Römischer Classiker.
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wenigsten bei günstigen Erfolgen, davon musste sich Jedermann
damals durch die Schicksale des Marcus aufs Deutlichste überzeu-
gen. Denn Derjenige, welcher kurz zuvor den geschlagenen Fein-
den keine Gnade noch Verzeihung schenkte, wurde selbst vor sie
geführt, um sie fussfällig um sein Leben zu bitten. Und was einst
Euripides treffend gesagt: „dass ein einziger weiser Rathschlag über
grosse Massen den Sieg gewinne“, bat sich damals durch die That
bewährt. Denn ein einziger Mann und ein einziger Rathschluss
vernichtete auf der einen Seite die wegen ihrer Tüchtigkeit im
Kriege für unüberwindlich gehaltenen Schaaren, und erhob auf der
andern Seite den augenscheinlich darniederligenden Staat und den
völlig gesunkenen Muth des Heeres. Ich aber habe diese Ereignisse
in der Absicht berichtet, dass die Leser meiner Geschichte Beleh-
rung daraus ziehen mögen. Denn von der zweifachen Art, auf
welche jeder Mensch zum Bessern geführt werden kann, durch
eigenes Unglück und durch fremdes, ist die eine, durch selbsterlebte
Unfälle, wirksamer, die andere, durch fremde, aber unschädlicher.
Niemals ist deshalb die erstere freiwillig zu wählen, da bei ihr die
Belehrung nur durch grosse Leiden und Gefahren erkauft wird;
stets aber sollen wir die letztere zu gebrauchen streben, da sie ohne
Schaden uns das Bessere erkennen lehrt. Wer dies einsieht, der
muss als die trefflichste Schule für das wirkliche Leben die aus der
Staatengeschichte geschöpfte Erfahrung betrachten. Denn diese allein
verschafft ohne Schaden, zn jeder Zeit und in jeglicher Lage, eine
wirkliche Erkenntniss des Besseren. So viel mag hierüber ge-
nug sein!“
Herodian’s Kaisergeschichten verdienten gewiss so gut wie
die Kaiserbiographien des Suetonius, eine üebersetzung, schon um
deswillen, als sie eine Hauptquelle, ja in Manchem unsere
einzige Quelle bilden für die auf den Tod des Marcus Aurelius fol-
gende nächste Periode des römischen, steten Schwankungen in der
Wahl der Monarchen, unterworfenen Kaiserthums, also von circa 180
bis nicht ganz 240 post Chr. n. Der Verfasser, ein Grieche, der
für Griechen zunächst schrieb, ist uns zwar nach seinem Leben
nicht näher bekannt, die Vermuthung des Uebersetzers, die ihn zu
einem Sohne des von Marc Aurel in seine nächsten Umgebungen
berufenen, und mit den Unterricht des jüngeren Sohnes und Thronfol-
folgers betrauten Grammatikers Herodianus macht, jedenfalls eine
ganz ansprechende. Und wenn der Sohn, der offenbar erst in spä-
tem Lebensjahren diese Geschichten niederschrieb, in Bezug auf die
Quellenforschung, ja selbst in Bezug auf die kritische Prüfung des
überlieferten Stoffes dem Suetonius nachsteht, wenn in seiner Dar-
stellungsweise, wie überhaupt in seiner ganzen Art und Weise die
Geschichte zu behandeln, noch manche andere Missstände und selbst
Gebrechen hervortreten, so verdient er doch andererseits in seinem
redlichen, stets auf Wahrheit gerichteten Streben, bei der ruhigen,
besonnenen, leidenschaftslosen Haltung, die er selbst mitten in den
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wenigsten bei günstigen Erfolgen, davon musste sich Jedermann
damals durch die Schicksale des Marcus aufs Deutlichste überzeu-
gen. Denn Derjenige, welcher kurz zuvor den geschlagenen Fein-
den keine Gnade noch Verzeihung schenkte, wurde selbst vor sie
geführt, um sie fussfällig um sein Leben zu bitten. Und was einst
Euripides treffend gesagt: „dass ein einziger weiser Rathschlag über
grosse Massen den Sieg gewinne“, bat sich damals durch die That
bewährt. Denn ein einziger Mann und ein einziger Rathschluss
vernichtete auf der einen Seite die wegen ihrer Tüchtigkeit im
Kriege für unüberwindlich gehaltenen Schaaren, und erhob auf der
andern Seite den augenscheinlich darniederligenden Staat und den
völlig gesunkenen Muth des Heeres. Ich aber habe diese Ereignisse
in der Absicht berichtet, dass die Leser meiner Geschichte Beleh-
rung daraus ziehen mögen. Denn von der zweifachen Art, auf
welche jeder Mensch zum Bessern geführt werden kann, durch
eigenes Unglück und durch fremdes, ist die eine, durch selbsterlebte
Unfälle, wirksamer, die andere, durch fremde, aber unschädlicher.
Niemals ist deshalb die erstere freiwillig zu wählen, da bei ihr die
Belehrung nur durch grosse Leiden und Gefahren erkauft wird;
stets aber sollen wir die letztere zu gebrauchen streben, da sie ohne
Schaden uns das Bessere erkennen lehrt. Wer dies einsieht, der
muss als die trefflichste Schule für das wirkliche Leben die aus der
Staatengeschichte geschöpfte Erfahrung betrachten. Denn diese allein
verschafft ohne Schaden, zn jeder Zeit und in jeglicher Lage, eine
wirkliche Erkenntniss des Besseren. So viel mag hierüber ge-
nug sein!“
Herodian’s Kaisergeschichten verdienten gewiss so gut wie
die Kaiserbiographien des Suetonius, eine üebersetzung, schon um
deswillen, als sie eine Hauptquelle, ja in Manchem unsere
einzige Quelle bilden für die auf den Tod des Marcus Aurelius fol-
gende nächste Periode des römischen, steten Schwankungen in der
Wahl der Monarchen, unterworfenen Kaiserthums, also von circa 180
bis nicht ganz 240 post Chr. n. Der Verfasser, ein Grieche, der
für Griechen zunächst schrieb, ist uns zwar nach seinem Leben
nicht näher bekannt, die Vermuthung des Uebersetzers, die ihn zu
einem Sohne des von Marc Aurel in seine nächsten Umgebungen
berufenen, und mit den Unterricht des jüngeren Sohnes und Thronfol-
folgers betrauten Grammatikers Herodianus macht, jedenfalls eine
ganz ansprechende. Und wenn der Sohn, der offenbar erst in spä-
tem Lebensjahren diese Geschichten niederschrieb, in Bezug auf die
Quellenforschung, ja selbst in Bezug auf die kritische Prüfung des
überlieferten Stoffes dem Suetonius nachsteht, wenn in seiner Dar-
stellungsweise, wie überhaupt in seiner ganzen Art und Weise die
Geschichte zu behandeln, noch manche andere Missstände und selbst
Gebrechen hervortreten, so verdient er doch andererseits in seinem
redlichen, stets auf Wahrheit gerichteten Streben, bei der ruhigen,
besonnenen, leidenschaftslosen Haltung, die er selbst mitten in den