Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Löwe: Die Philosophie Fichte’s.

329

habe. Anstössiger sei die positive Bestimmung, dass die mora-
lische Welt ordnung Gott sei, weil dadurch Gott als feste Rea-
lität völlig zu verschwinden drohte und an seine Stelle ein abstrac-
tes Gesetz trat, eine pure Form, die nicht einmal sein, sondern erst
werden sollte, und zwar durch menschliche Freiheit geschaffen
werden sollte. Nun war freilich dies alles nur halbwahr und keines-
wegs die ganze Wahrheit; allein das Missverständniss lag um so
näher, als ein Anlass dazu schon in der Kantischen Philosophie ge-
geben war, obgleich Kant keineswegs beabsichtigt habe, die Idee
Gottes in jene der moralischen Weltordnung aufgehen zu lassen.
Uns kommt es, sagt der Verf., nicht darauf an, in welchen Schran-
ken Kant, mit dem einen Fusse innerhalb des populären Bewusst-
seins stehend, die gegen dasselbe von ihm erregte speculative Be-
wegung einzudämmen gewillt war, sondern im Gegentheil zu er-
kennen, wohin diese führen musste, sobald der ihr inwohnenden
Triebkraft gestattet wurde sich mit vollster Freiheit auszuwirken.
Nicht im Namen Gottes, sondern im Namen der Vernunft ergingen
die sittlichen Imperative und selbst an Gott glauben, sollte man nicht
um Gottes, sondern um der Vernunft willen, weil sie solches als
zuträglich empfahl. Dieser Glaube wurde von ihr nur angerathen,
nicht zur Pflicht gemacht, und wenn Jemand sich stark genug fühlte,
auch ohne Glauben an Gott dem Moralgesetze wirklich zu entspre-
chen, so konnte die Vernunft ihn nicht verantwortlich machen. Diese
Stärke nun, ohne irgend eine anderweitige Unterstützung aus Achtung
vor dem Moralgesetze seine Gebote zu erfüllen, glaubte die Wissen-
schaftslehre zu besitzen und verlangte das Gleiche von Jedermann.
Mit der rücksichtslosen Energie, welche einer ihrer hervorstehenden
Charakterzüge ist, zögerte sie nicht die Idee des höchsten Gutes,
die moralische Weltordnung als das wofür sie schon im Kantischen
System hätte anerkannt werden sollen, als das sich postulirende
Absolute — als Gott zu proklamiren.
Aber unter dieser Weltordnung, die er gleich anfangs als eine
lebendige wirkliche bezeichnet, verstand Fichte die ihr Dasein sich
selber schaffende Thätigkeit der absoluten Vernunft, nicht eine Auf-
gabe für ein Anderes, sondern gleich der aristotelischen Entelechie
eine Einheit von Zweck und Kraft, eine Thätigkeit die Selbstzweck
und einen Zweck der Selbstthätigkeit ist. So war Gott zugleich
Reales und zu Realisirendes, ein Gegebenes und Aufgegebenes, weil
ein lebendiger, sich selbst als Gesetz setzender und vollziehender
unendlicher Wille; Ordnung der geistigen Welt, aber auch ein Ord-
ner und Schöpfer. Kurz, wenn Fichte die moralische Weltordnung
Gott nannte, so meinte er damit ganz dasselbe, was er später als
das Urabsolute, als die allen Begriff und daher auch die synthetische
Einheit des Urbegriffs oder absoluten Wissens übersteigende Einheit
des überwirklichen reinen Seins dargestellt hat, nämlich die im end-
lichen Darsein sich darlebende unendliche Spontanietät. Hat man
einmal dieses Verständnigs gewonnen, dann kann man nicht umhin
 
Annotationen