Nr. 32. HEIDELBERGER 1869-
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Freie: Hindoo-'Legends.
(Schluss.)
No. 22. Chandra’s Rache (Chandra’s Vengeance). Eine
Kaufmannsfrau, eine Königin und eine Tänzerin, die einander be-
gegnen, suchen zusammen den Gott Mahadeo (den Schöpfer, eine
Incarnation Schiwa’s) auf, um von ihm Kinder zu erflehen. Nach
zwölf Jahren vergeblichen Umberirrens eines Tages an einem Feuer-
fluss angelangt, fürchten sie ihn zu durchwaten, bis endlich die
Kaufmannsfrau den Muth dazu findet. Sie langt unverletzt auf der
andern Seite an, und wirklich auch erscheint ihr dort der Gott,
der ihr auf ihr Flehen um Kinder eine Mangofrucht reicht, durch
deren Genuss ihr und ihrer Gefährtinnen Wunsch erfüllt wurde.
Nach Hause zurückgekehrt gebiert sie selbst einen Sohn, den sie
Koila (der vom Mangostein) nennt, die Tänzerin und die Königin
aber jede eine Tochter, welche die Namen Moulee (die vom Mango-
fleisch) und Chandra Bai (die Monddame, wegen der wunder-
baren Schönheit der neugeborenen Prinzessin) erhalten. Da letztere
der Weissagung eines Braminen zufolge das ganze Land mit Ver-
brennung bedroht, so wird sie von dem Könige, ihrem Vater, in
einem Kasten den Fluss überlassen, der sie in das Land des Kauf-
manns führt, wo dieser zufällig am Ufer sich befindend, das Kind
aus dem Wasser- rettet und auferzieht, später auch mit seinem
Sohne Koila verheirathet. Nach dem Tode seines Vaters geht die-
ser einst im Walde spazieren und hört einen zauberischen Gesang,
dem er zwölf Tagereisen weit nacbgeht; es war die Stimme der
wunderschönen Moulee, die so weit schallte, so dass sie deshalb,
wie ihres reizenden Tanzens wegen von den Bewohnern der Stadt,
in deren Nähe sie eben ihre Gauklerkünste producirte, fernerfort
dazubleiben aufgefordert wurde, da sie zum Manne haben sollte,
wen sie wolle, worauf der zum Zweck der Wahl von ihr ausge-
worfene Kranz Koila trifft. Dieser leistet zwar Widerstand, doch
ein Vergessenheitstrank beseitigt denselben, und er heirathet Moulee.
Nach einiger Zeit soll auch er zum Unterhalt der Gauklerfamilie
beitragen, und von der Schwiegermutter deshalb gequält, eilt er,
da sein Gedächtniss ihm inzwischen wieder gekommen, zu seiner
ersten Gattin Chandra, berichtet ihr das Vorgefallene und bittet
sie um einen der kostbaren Fussringe, die sie mit zur Welt ge-
bracht, auf dass er sich durch denselben lösen und zu ihr zurück-
kommen könne. Sie willigt ein, begleitet ihn aber selbst und bleibt
LXII. Jahrg. 7. Heft. 32
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Freie: Hindoo-'Legends.
(Schluss.)
No. 22. Chandra’s Rache (Chandra’s Vengeance). Eine
Kaufmannsfrau, eine Königin und eine Tänzerin, die einander be-
gegnen, suchen zusammen den Gott Mahadeo (den Schöpfer, eine
Incarnation Schiwa’s) auf, um von ihm Kinder zu erflehen. Nach
zwölf Jahren vergeblichen Umberirrens eines Tages an einem Feuer-
fluss angelangt, fürchten sie ihn zu durchwaten, bis endlich die
Kaufmannsfrau den Muth dazu findet. Sie langt unverletzt auf der
andern Seite an, und wirklich auch erscheint ihr dort der Gott,
der ihr auf ihr Flehen um Kinder eine Mangofrucht reicht, durch
deren Genuss ihr und ihrer Gefährtinnen Wunsch erfüllt wurde.
Nach Hause zurückgekehrt gebiert sie selbst einen Sohn, den sie
Koila (der vom Mangostein) nennt, die Tänzerin und die Königin
aber jede eine Tochter, welche die Namen Moulee (die vom Mango-
fleisch) und Chandra Bai (die Monddame, wegen der wunder-
baren Schönheit der neugeborenen Prinzessin) erhalten. Da letztere
der Weissagung eines Braminen zufolge das ganze Land mit Ver-
brennung bedroht, so wird sie von dem Könige, ihrem Vater, in
einem Kasten den Fluss überlassen, der sie in das Land des Kauf-
manns führt, wo dieser zufällig am Ufer sich befindend, das Kind
aus dem Wasser- rettet und auferzieht, später auch mit seinem
Sohne Koila verheirathet. Nach dem Tode seines Vaters geht die-
ser einst im Walde spazieren und hört einen zauberischen Gesang,
dem er zwölf Tagereisen weit nacbgeht; es war die Stimme der
wunderschönen Moulee, die so weit schallte, so dass sie deshalb,
wie ihres reizenden Tanzens wegen von den Bewohnern der Stadt,
in deren Nähe sie eben ihre Gauklerkünste producirte, fernerfort
dazubleiben aufgefordert wurde, da sie zum Manne haben sollte,
wen sie wolle, worauf der zum Zweck der Wahl von ihr ausge-
worfene Kranz Koila trifft. Dieser leistet zwar Widerstand, doch
ein Vergessenheitstrank beseitigt denselben, und er heirathet Moulee.
Nach einiger Zeit soll auch er zum Unterhalt der Gauklerfamilie
beitragen, und von der Schwiegermutter deshalb gequält, eilt er,
da sein Gedächtniss ihm inzwischen wieder gekommen, zu seiner
ersten Gattin Chandra, berichtet ihr das Vorgefallene und bittet
sie um einen der kostbaren Fussringe, die sie mit zur Welt ge-
bracht, auf dass er sich durch denselben lösen und zu ihr zurück-
kommen könne. Sie willigt ein, begleitet ihn aber selbst und bleibt
LXII. Jahrg. 7. Heft. 32