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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 9.1899

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Vossler, Karl: Die Lyrik des Angelo Poliziano
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https://doi.org/10.11588/diglit.29061#0143
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l)ie Lyrik des Angelo Poliziano

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Liebeslyriker steht dem Boccaccio am nächsten, entfernt sich bedeutend
von Petrarca und unendlich von Dante. Was Wunder, wenn ihm die
geistliche Lyrik, in der er sich auch versucht hat, nur mittelmässig
gerieth. Wir haben aus seiner Peder zwei lateinische Hymnen und eine
italienische Canzone auf die Jungfrau Maria. Aber die einzige Religion, an
welcher der damalige Dichter sich noch begeistern konnte, wenn er auf-
richtig bleiben wollte, war der Kult des Schönen.

Das Schöne hat Polizian auch überall gesucht. Nicht nur bei den
Alten und bei den Trecentisten, sondern auch in den Liedern des Volks.

— Auf der Eeise nacli Kom begriffen schreibt er am 2. Mai 1488
aus Acquapendente an Lorenzo de’Medici: „Wir sind allesammt ver-
gniigt und lassens uns wohl sein und unterwegs lesen wir da und dort
eine Canzone oder einen Maigesang auf, denn die hiesigen romanesken
Lieder kommen mir phantastischer als die Unsrigen vor, in der Porm
sowohl als im InhaltV) — Diese Notiz, die uns Polizians Privatlieb-
haberei verrät, war sicherlich nicht fiir die Nachwelt berechnet; auch
steht sie nicht in seinem lateinischen Epistolarium, sondern in den vul-
gären Briefen. Seine Beschäftigung mit dem Volkslied wollte er so
wenig wie irgend ein anderer Humanist in die Oeffentlichkeit gelangen
lassen, und hat darum aucli seinerseits nichts gethan, um die Zeugnisse
davon der Nachwelt zu retten. Seine Canzonetten, Ballaten und Eis-
petti sind uns in Sammelhandschriften erhalten und bei sehr vielen
wissen wir nicht, ob sie ihm oder einem andern zugehören. Wir können
natiirlich nur diejenigen berücksichtigen, bei denen Polizians Autorschaft
feststeht.

Die populärste Liedform in der Toscana war damals das Eispetto

— eine Abart des Strambotto, das, wie allgemein angenomraen wird,
in Sicilien und Süditalien entstanden ist. Es besteht ursprünglich in
einer Keihe von meist drei, selten vier Dystichen mit gekreuztem Keim.
Sämtliche Verse des Strambotto sind Elfsilbler. Die ursprüngliche Porm
wurde schon frühzeitig dahin modifiziert, dass man das letzte Verspaar
unabhängig von den übrigen machte und mit paarweisem Keime band.
Das Rispetto nun unterscheidet sich vom Strambotto nicht formell,
sondern nur inhaltlich, indem es seinen volkstümlichen Charakter bei-
behielt, während das Strambotto im 15. Jahrhundert litterarisch geadelt
und ironisch zugespitzt wurde zunächst von Giustiniani in Venedig und
von Serafino in Neapel, weiterhiti von Pamfilo Sassi, Benedetto Accolti
und endlich am besten von unserem Polizian. So waren Rispetto und

1) Prose volgari inedite etc. p. 75.
 
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