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Pietro Aretino’s künstlerisches Bekenntnis.

Von

K. Yossler.

Eine vor kurzem erschienene Geschichte der literarischen Kritik
mit besonderer Berücksichtigung Italiens, die fleissige Arbeit eines jungen
amerikanischen Gelehrten, J. E. Spingarn J), gedenkt mit keinem Ein-
zigen Worte des Pietro Aretino. Wenn man Spingarns enge Begren-
zung des Begriffs „literary criticism“ gelten lässt, so ist sein Stillschweigen
auch vollständig gerechtfertigt. Was er im Auge hat, ist immer nur
die Darstellung der herrschenden poetischen Theorien, er
spricht von einem „body of rules“ und „common body of Renaissance doc-
trine“, und was er meint, ist das System poetischer Theorien wie es in
den systematischen Lehrbüchern der Poetik des 16. Jahrhunderts fixiert
wurde. Dieses ist allerdings ein so geschlossenes und absolutes, dass
man es ohne weiteres als die Poetik der Renaissance bezeichnen kann.
Aber Poetik und literarische Kritik sind zweierlei Dinge, und es ent-
steht die Frage, ob es unter den Vertretern der letzteren nicht etwa
auch Gegner der ersteren gegeben hat. Ohne allen Zweifel hat es solche
gegeben, und den hervorragendsten Platz unter ihnen verdient Pietro
Aretino.

Seine Stellung ist rasch präzisiert: er leugnet die Poetik als solche,
er verneint ihre ganze Berechtigung.

Was soll man aber sagen, wenn er das Erscheinen einer der ersten
vulgären Poetiken in einem enthusiastischen Briefe an ihren Verfasser
Bernardo Daniello mit posaunendem Lobe begrüsst1 2), wenn er dem Ver-
fasser der „Prose della volgar lingua“ in zahlreichen Briefen und Sonetten

1) A kistory of literary criticism in tlie Renaissance with special reference to
the influence of Italy in the formation and development of modern classicism by
J. E. Spingarn, New York 1899.

2) Lettere di M. Pietro Aretino, Parigi 1609. 6 Bände, vol. I fol. 67.
 
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