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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Editor]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 16.1910

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Scheifele, Bernhard: Seidenbau und Seidenindustrie der Kurpfalz: ein Beitrag zu Industriepolitik des Merkantilismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.31252#0232
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Bernhard Scheifele

Königreichen Neapel und Sizilien? Ob in den fruchtbaren Gefilden
Italiens nicht ebenso viele herrliche Prüchte und Crescentien hervorge-
bracht würden, als in der Pfalz ? Und warum gerade dort die Bauern
neben den „grossen Feldbaugeschäften“, noch Zeit genug fänden, jähr-
lich für viele Millionen Gulden Seide zu ziehen? Diese Pragen, glaubte
Kigal, würde der Centgraf kaum beantworten können. Yon dem Pe-
tenten könnte man freilich nicht verlangen, dass er die „seidenreichen“
Ebenen zwischen Caserta und Neapel, zwischen Pisa und Florenz, das
fruchtbare „toskanische und bologneser Gebiet“, das Herzogtum Mailand
und Piemont gesehen habe; doch sollte der Centgraf wenigstens von
der Fruchtbarkeit der Lombardei, von jener Campaniens und von der
Gegend von Capus gehört haben. Denn sonst miisste er wissen, dass
die Seidenzucht in Piemont jährlich iiber 10 Millionen Gulden pfäl-
zischer Währung einbringe. Verona, das der Pfalz an Grösse und Be-
völkerung ziemlich gleich komme, erziele durchschnittlich 485 500 Pfund
Grege im Werte von 5 x/2 Millionen Gulden.

Dass die Seide, „sogar in nördlichen Gegenden gedeihe“, beweise
das „Beispiel von Preussen“, wo Friedrich der Grosse mit Erfolg die
Seidenzucht eingeführt hätte. Unter den dortigen klimatischen Yerhält-
nissen habe man von einem Loth „Seidensamen“ öS 1^ Efund Seide ge-
wonnen. Gegenüber Preussen besitze die Pfalz bedeutende klimatische
Yorzüge. Unter den sechsundzwanzig Seidenernten, die man bisher er-
zielt hätte, könnte nur eine einzige als Fehlernte bezeichnet werden.
Es entspreche daher nicht der Wahrheit, wenn Dachert behaupte, jedes
fiinfte Jahr sei eine Missernte gewesen. Die kurpfälzische Seidenzucht
habe vielmehr einen „so glücklichen Fortgang genommen“, dass sie
sogar die Aufmerksamheit des preussischen und kaiserlichen Ministeriums
im Jahre 1784“ auf sich gezogen habe. Der preussische Bergrat Bosen-
stiel und der österreichische Freiherr v. Potmaiusky seien daher „abge-
ordnet“ worden, „um die Einrichtungen des Seidenbaus und der Seiden-
spinnerei in der Pfalz zu erkunden.“ „Übertrieben“ findet Bigal des-
gleichen die „Kostenberechnung, die der Centgraf seiner Beurteilung der
Bentabilitätsverhältnisse der Seidenzucht zu Grunde gelegt hätte. Dem-
gegeniiber sucht der Seidenbau-Direktor den Nachweis zu führen, aass
die Seidenzucht eine ausgezeichnete Quelle des privatwirtschaftlichen
Erwerbes für die Seidenzieher sei. Innerhalb vier bis fünf Wochen
könnten, nach Angabe Bigals, dreissig bis vierzig Gulden „als Neben-
verdienst“ durch die Seidenzucht erworben werden. Es seien sogar
einzelne Fälle bekannt, wo geschickte Seidenzieher bei dem geringen
 
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