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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 16.1910

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Mayer, Adolf: Kunstgeschmack
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https://doi.org/10.11588/diglit.31252#0265
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Kimstgeschmack.

Von

Adolf Mayer.

Je grösser die Aktion, desto grösser die Reaktion.
Je grösser der Ausschlag des Pendels nach der einen,
desto grösser der Ausschlag nach der andereu Seite.

So ist es aher auch mit den verkehrten Rich-
tungen in Kunst und Wissenschaft. Je länger der
Klassizismus herrscht, desto stärker setzt der Na-
turalismus ein. Je länger die scholastische Metliode,
desto kecker der Empirismus.

In Bezug auf ästhetischen Geschmack gibt es eigentlicb nur eine
Definition, ebenso wie in Bezug auf das Schöne. Sowie man notwendig
Alles scbön nennen muss, was gefällt, so muss man einen Jeden als
von gutem Geschmack bezeichnen, dem das Schöne nun auch wirklich
gefällig ist. Aber man dreht sich mit dieser Erläuterung, die sich nur
clurch die Einfachheit zu empfehlen scheint, im Kreise herum; denn,
dass das, was gefällt, auch wirklich gefallen muss, versteht sich doch
wohl von selbst; und so müsste ein Jeder Geschmack besitzen, da einem
Jeden doch irgend etwas gefällt. Der Ausbruch aus diesem verhängnis-
vollen Zirkel gelingt indessen leicht, indem man zu dem „was gefällt“
noch das Adverb „allgemein“ hinzufügt. Geschmack wäre dann die
Befähigung zu einem ästhetischen Urteil, das mit dem Urteil der iiber-
wiegenden Menge übereinstimmt. — Aber auch mit dieser Definition
werden sich zunächst nur Wenige zufrieden geben; denn man wird gel-
tend machen, dass die grosse Menge ja notorisch meistens einen sehr
wenig guten Geschmack habe. Die Errettung aus diesem Widerspruch
liegt endlich darin, dass man nicht die grosse Menge, die sich gar nicht
regelmässig mit ästhetischen Dingen beschäftigt, als für das Endurteil
in Betracht kommend ansieht, sondern nur eine Majorität von Befähigten.
Denn in der Kunst und im Kunsturteil gibt es bekanntlich eine Ent-

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