Heideiberger Tagebuch
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Nehmen Sie noch Eine Anekdote von diesem Werner zur Nach-
schrift. Er speisete gestern bei Voss. Dieser lässt den Eirchenrat
Schwarz zu sich bitten, um den berühmten Verfasser des Kreuzes an
der Ostsee kennen zu lernen. Er kömmt. Werner, der schon lange
seinen Lohnbedienten erwartet hat, glaubt endlich seines Wartens über-
hoben sein zu können. Kaum tritt Schwarz herein, so tönt ihm ein
„wo bleibt er denn so lange?" entgegen. Schwarz wird beinahe ausser
Fassung gebracht, sowie die ganze Gesellschaft nicht schnell genug dieses
Missverständnisses sich entledigen kann. Der junge Professor Voss prä-
sentiert jetzt den missgekannten Lohnbedienten als den Herrn Kirchen-
rat Schwarz, der nun freilich] in eine andre Rolle tritt, aber dabei nicht
froh über den Empfang mochte gewesen sein. Er soll den ganzen Abend
kein Wort gesprochen haben.
Donnerstag am 5ten November.
An meine Mutter.
Klugen Hausfrauen spricht man gern von häuslichen Ersparnissen,
nicht wahr, liebe Mutter. So hören Sie dann auch mich geduldig, wenn
ich Ihnen ein Vorteilchen für die Haushaltung mitteile. Etwas Neues
freilich ist es nicht, was ich Ihnen sage, aber dies tut wohl nichts,
immer kommts doch nur bei solchen Erfahrungen darauf an, ob man
sie recht ordentlich wisse und dann wieder erzählen könne. Dass ich
meine Sache ordentlich weiss, dafür bürgt mir der Erzähler, der alles
selbst erprobt hat. Sie werden ungeduldig über diesen Präliminarien?
— Es gilt den vorteilhaften Gebrauch der Knochen, der wohl an vielen
Orten eingesehen, aber wenig gehandhabt wird. Der lange in Paris ge-
wesene Professor Michaelis erzählte mir soeben folgendes Verfahren mit
den Knochen, um sie zu Suppe etc. gebrauchen zu können. Ein Pfund
Knochen wird zu feinem Pulver zerstampft, woran 2 Mann bis 4 Stunden
Zeit gebrauchen. Während des Stossens muss bisweilen Wasser, wenn
auch nur weniges, in die heiss werdenden Knochen geschüttet werden.
Der feine Knochenstaub wird nun langsam gekocht, auf französische
Weise mit hinzukommendem Gemüse. Nach und nach wird eine Menge
Fett oben abgeschöpft, dessen Ertrag gerade die Kosten des Stampfens
aufwiegt. Die Suppe ist gar. Sechs bis acht Personen können sich daran
sättigen, und rein umsonst. Aber nicht genug; noch eine auf dem
Boden bleibende Gallerte, die einen angenehmen und durchaus nahr-
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Nehmen Sie noch Eine Anekdote von diesem Werner zur Nach-
schrift. Er speisete gestern bei Voss. Dieser lässt den Eirchenrat
Schwarz zu sich bitten, um den berühmten Verfasser des Kreuzes an
der Ostsee kennen zu lernen. Er kömmt. Werner, der schon lange
seinen Lohnbedienten erwartet hat, glaubt endlich seines Wartens über-
hoben sein zu können. Kaum tritt Schwarz herein, so tönt ihm ein
„wo bleibt er denn so lange?" entgegen. Schwarz wird beinahe ausser
Fassung gebracht, sowie die ganze Gesellschaft nicht schnell genug dieses
Missverständnisses sich entledigen kann. Der junge Professor Voss prä-
sentiert jetzt den missgekannten Lohnbedienten als den Herrn Kirchen-
rat Schwarz, der nun freilich] in eine andre Rolle tritt, aber dabei nicht
froh über den Empfang mochte gewesen sein. Er soll den ganzen Abend
kein Wort gesprochen haben.
Donnerstag am 5ten November.
An meine Mutter.
Klugen Hausfrauen spricht man gern von häuslichen Ersparnissen,
nicht wahr, liebe Mutter. So hören Sie dann auch mich geduldig, wenn
ich Ihnen ein Vorteilchen für die Haushaltung mitteile. Etwas Neues
freilich ist es nicht, was ich Ihnen sage, aber dies tut wohl nichts,
immer kommts doch nur bei solchen Erfahrungen darauf an, ob man
sie recht ordentlich wisse und dann wieder erzählen könne. Dass ich
meine Sache ordentlich weiss, dafür bürgt mir der Erzähler, der alles
selbst erprobt hat. Sie werden ungeduldig über diesen Präliminarien?
— Es gilt den vorteilhaften Gebrauch der Knochen, der wohl an vielen
Orten eingesehen, aber wenig gehandhabt wird. Der lange in Paris ge-
wesene Professor Michaelis erzählte mir soeben folgendes Verfahren mit
den Knochen, um sie zu Suppe etc. gebrauchen zu können. Ein Pfund
Knochen wird zu feinem Pulver zerstampft, woran 2 Mann bis 4 Stunden
Zeit gebrauchen. Während des Stossens muss bisweilen Wasser, wenn
auch nur weniges, in die heiss werdenden Knochen geschüttet werden.
Der feine Knochenstaub wird nun langsam gekocht, auf französische
Weise mit hinzukommendem Gemüse. Nach und nach wird eine Menge
Fett oben abgeschöpft, dessen Ertrag gerade die Kosten des Stampfens
aufwiegt. Die Suppe ist gar. Sechs bis acht Personen können sich daran
sättigen, und rein umsonst. Aber nicht genug; noch eine auf dem
Boden bleibende Gallerte, die einen angenehmen und durchaus nahr-
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