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Herfarth, Christian [Hrsg.]; Bartsch, Helmut [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Gesundheit — Berlin, Heidelberg, New York, 50.2006 [erschienen] 2007

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https://doi.org/10.11588/diglit.3464#0136

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Paradigmenwechsel
in der Diagnostik und Therapie des Herzinfarkts

HUGO A. KATUS

Die Diagnose des Herzinfarkts als klinisches Problem

Im Jahre 1979 wird ein 58-jähriger Patient mit drückenden Schmerzen hinter dem Brustbein in
der Notaufnahme eines Krankenhauses in Boston, Massachusetts gesehen. Der Patient gibt an,
dass er ein ähnliches Druckgefühl in den letzten Tagen mehrfach - zuletzt auch in der Nacht
- verspürt habe. Die klinische Untersuchung, des inzwischen nahezu beschwerdefreien Pati-
enten, ist bis auf einen erhöhten Blutdruck und eine mäßige Adipositas unauffällig. Im sofort
durchgeführten EKG können keine richtungsweisenden Veränderungen gefunden werden. In
der laborchemischen Blutanalyse sind alle Werte bis auf eine Erhöhung des Cholesterins normal.
Auch die so genannten Herzenzyme Creatinkinase und Laktatdehydrogenase sind nicht signifi-
kant erhöht, liegen aber im oberen Bereich einer Normalverteilung. In Anbetracht der normalen
Befunde und bei Beschwerdefreiheit wird der Patient mit der Auflage nach Hause entlassen, sich
zur weiteren Abklärung der Beschwerden am nächsten Tag bei seinem Hausarzt vorzustellen.
Am Folgetag wird der Patient unter Reanimationsbedingungen bei plötzlichem Herztod auf
der Intensivstation des gleichen Krankenhauses aufgenommen. Bei anhaltender elektromecha-
nischer Entkopplung müssen die Reanimationsbemühungen erfolglos eingestellt werden. Die
nachfolgende Obduktion ergibt einen nicht mehr ganz frischen Hinterseitenwandinfarkt im
Versorgungsgebiet der Circumflexarterie. Die betroffenen Angehörigen verklagen das Kran-
kenhaus und die behandelnden Ärzte wegen grober Fahrlässigkeit. Im gleichen Jahr wurde im
wissenschaftlichen Labor des Medizinischen Universitätsklinikums Heidelberg ein neuer Blut-
test für die Diagnostik des Herzinfarkts entwickelt. Die nachträgliche Analyse der Blutproben
des Patienten zeigte, dass mit diesem neuen Bluttest ein akuter Infarkt bereits bei der ersten
Vorstellung in der Notaufnahme erkennbar gewesen wäre.

Dieser Fallbericht spiegelt ein erhebliches klinisches Problem wider. Das
Nichterkennen eines akuten Herzinfarkts und die Fehldiagnose „Myokardin-
farkt ausgeschlossen" sind die häufigsten Gründe für haftungsrechtliche
Schritte gegen Ärzte wegen grober Fahrlässigkeit. Dabei ist es keineswegs im-
mer mangelnde Sorgfalt der Ärzte, sondern auch die Beschränktheit der ver-
fügbaren Diagnosemethoden, die zu den Fehldiagnosen führt. In älteren retro-
und prospektiven Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Patienten, die
nach einer sorgfältig durchgeführten EKG- und Blutdiagnostik mit der Dia-
gnose „Infarktausschluss" von Notaufnahmen entlassen wurden, nach einem
Jahr die gleiche Mortalität aufwiesen wie die Patienten, die mit einer gesicher-
ten Diagnose „Akuter Myokardinfarkt" in die Klinik aufgenommen wurden
 
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