Kunstthematische und politische Rahmenbildung
in Des Knaben Wunderhorn
ULFERT RICKLEFS
Der Herausgeber von Fremdtexten wird seine eigene Stimme nur zurückhal-
tend zur Geltung bringen, sie allenfalls in Titel, Motto, Frontispiece, in Vor-
und Nachwort, Fußnoten und Erläuterungen artikulieren. Die Auswahl und
Zusammenstellung, gegebenenfalls die Titeigebungen, bekunden die Heraus-
geberintentionen. Texteingriffe, Kürzungen, Hinzudichtungen sind nicht ei-
gentlich sein Geschäft. Bei historischer Textüberlieferung gelten aus Gründen
der Verständlichkeit, der Rezeptions- und Adaptionsfähigkeit, auch der ästhe-
tischen Wirkung, bisweilen andere Maßstäbe. Dass auch jenseits von Text-
eingriffen Herausgebersignale den Rezipienten erreichen sollen, beweist die
,Komposition' der Wunderhorn-Bände, besonders an den Rahmenstellen, den
Bandeingängen und -Schlusspartien. Über Bedeutungsaspekte der gestoche-
nen Bildtitel, des Titelgedichts und vor allem des Programmessays Von Volks-
liedern hat Verf. unlängst gehandelt.1 Unterschiedlich sind die Methoden der
Titelgebung und der Textanordnung in Band I und in den zwei Folgebänden:
Deutende, subjektiv und pointiert kommentierende, sogar ironisierende Über-
schriften werden nicht die Regel, aber häufen sich. Die Titel im ersten Band
waren neutral, die kontrastive Anordnung hob die Individualität des Einzelge-
dichts hervor. In den Folgebänden ist die Anordnung reflektiert, thematisch,
zeigt Blockbildung.2 In allen drei Bänden finden sich Herausgebersignale an
den ,Scharnierstellen', am Übergang von I zu II, in der Korrespondenz des Ein-
gangs von II mit dem Ende von III, und an anderen dafür sensiblen Stellen.
Arabeskenhaften Charakter zeigen die Allegorisierungen und Arrangements,
die kunstallegorischen und kunstthematischen ,Kommentare' der Herausge-
ber an den Übergangsstellen. „Vom Ursprung her ist die Arabeske eine Kunst
des Rahmens":3 Durch die Zeitumstände, die politische Katastrophe Europas
im Zeitalter Napoleons, tritt mit politischer Referentialität ein appellatives Mo-
ment hinzu, mit ernstem, existentiellem Ton und prinzipiellen Gesichtspunk-
1 Ricklefs 2005,147-194.
2 Bode 1909 thematisiert die Anordnung (z. B. thematische Blockbildung) und Titelgebung der
Lieder, i39ff. u. i34ff.; auch die Art und Verlässlichkeit der Quellenangaben, i32ff.
3 Knauer 2000,69. Polheim 1966,46-54.
in Des Knaben Wunderhorn
ULFERT RICKLEFS
Der Herausgeber von Fremdtexten wird seine eigene Stimme nur zurückhal-
tend zur Geltung bringen, sie allenfalls in Titel, Motto, Frontispiece, in Vor-
und Nachwort, Fußnoten und Erläuterungen artikulieren. Die Auswahl und
Zusammenstellung, gegebenenfalls die Titeigebungen, bekunden die Heraus-
geberintentionen. Texteingriffe, Kürzungen, Hinzudichtungen sind nicht ei-
gentlich sein Geschäft. Bei historischer Textüberlieferung gelten aus Gründen
der Verständlichkeit, der Rezeptions- und Adaptionsfähigkeit, auch der ästhe-
tischen Wirkung, bisweilen andere Maßstäbe. Dass auch jenseits von Text-
eingriffen Herausgebersignale den Rezipienten erreichen sollen, beweist die
,Komposition' der Wunderhorn-Bände, besonders an den Rahmenstellen, den
Bandeingängen und -Schlusspartien. Über Bedeutungsaspekte der gestoche-
nen Bildtitel, des Titelgedichts und vor allem des Programmessays Von Volks-
liedern hat Verf. unlängst gehandelt.1 Unterschiedlich sind die Methoden der
Titelgebung und der Textanordnung in Band I und in den zwei Folgebänden:
Deutende, subjektiv und pointiert kommentierende, sogar ironisierende Über-
schriften werden nicht die Regel, aber häufen sich. Die Titel im ersten Band
waren neutral, die kontrastive Anordnung hob die Individualität des Einzelge-
dichts hervor. In den Folgebänden ist die Anordnung reflektiert, thematisch,
zeigt Blockbildung.2 In allen drei Bänden finden sich Herausgebersignale an
den ,Scharnierstellen', am Übergang von I zu II, in der Korrespondenz des Ein-
gangs von II mit dem Ende von III, und an anderen dafür sensiblen Stellen.
Arabeskenhaften Charakter zeigen die Allegorisierungen und Arrangements,
die kunstallegorischen und kunstthematischen ,Kommentare' der Herausge-
ber an den Übergangsstellen. „Vom Ursprung her ist die Arabeske eine Kunst
des Rahmens":3 Durch die Zeitumstände, die politische Katastrophe Europas
im Zeitalter Napoleons, tritt mit politischer Referentialität ein appellatives Mo-
ment hinzu, mit ernstem, existentiellem Ton und prinzipiellen Gesichtspunk-
1 Ricklefs 2005,147-194.
2 Bode 1909 thematisiert die Anordnung (z. B. thematische Blockbildung) und Titelgebung der
Lieder, i39ff. u. i34ff.; auch die Art und Verlässlichkeit der Quellenangaben, i32ff.
3 Knauer 2000,69. Polheim 1966,46-54.