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Strack, Friedrich [Hrsg.]; Becker-Cantarino, Barbara [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: 200 Jahre Heidelberger Romantik — Berlin, Heidelberg, 51.2007 [erschienen] 2008

DOI Heft:
II: Volksdichtung und ihre romantische Poetisierung
DOI Artikel:
Scherer, Stefan: Arnims Idee einer Volksdramatik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11459#0244

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Arnims Idee einer Volksdramatik

STEFAN SCHERER

Achim von Arnim ist derjenige Autor der literarischen Romantik, der die radi-
kalsten romantischen Dramen verfasst hat, was die experimentelle Variabilität
und die generische Entgrenzung der Formensprache betrifft. Ein besonderes
Kennzeichen seiner Werke in der Zeit der ,Heidelberger Romantik' besteht
in einer Strategie der „modernisierenden Textfortschreibung"1 durch Anver-
wandlung älterer literarischer Produkte, in der Regel von Texten aus der Zeit
vor der Aufklärung vom Mittelalter bis zum Barock. Die Publikation dieser
gesammelten, an den formgeschichtlichen Möglichkeiten der eigenen Zeit ge-
schulten Texte dient dem Zweck der Gemeinschaftsbildung, verhandelt über
den semantischen Komplex ,Volk'.2 Angestrebt wird eine „Poetisierung der
Welt mittels Volksbildung".3 Dieses Literaturprogramm geht auf eine poeti-
sche Praxis zurück, die um 1800 maßgeblich Ludwig Tieck als literarisierende
Adaptation frühneuzeitlicher Quellen betreibt. Kursorisch sei hier auf Tiecks
Sammlung Volksmährchen von 1797 und auf das frühromantische Hauptwerk,
Tiecks Lustspiel Kaiser Octavianus (1804), verwiesen, das eine ,Volksbuch'-
Vorlage in eine 400 Seiten umfassende Wortoper verwandelt; ganz abgesehen
natürlich von den ebenso vorbildhaften Minneliedern aus dem schwäbischen
Zeitalter (1803) mit ihrer bedeutenden , Vorrede' über die Idee der ,Einen Poe-
sie' in der Vielfalt ihrer Spielarten.4 Ein entscheidender Unterschied zu Arnim
besteht allerdings darin, dass Tieck die Literarisierung älterer Quellen von po-
litischen Zwecken freihält. Arnim dagegen betreibt das „ruhige Anschließen
an das Vergangene, um zur Zukunft zu gelangen", wie er im Nachlasstext Was
soll geschehen im Glücke schreibt, der nach der Schlacht bei Jena und Auer-
stedt im Oktober 1806 entstanden ist.5 „Alles zu sammeln (Stimmen der Völ-
ker etwa) wird erst dort wieder attraktiv, wo die Sinnzentrierung schon in die
Ablagefächer des Zukünftigen eingetragen worden ist."6

1 Nitschke 2003,103; vgl. auch Nitschke 2004.

2 Vgl. dazu am Beispiel von Arnims Wintergarten Nitschke 2003.

3 Spoglianti 2000,191.

4 Vgl. dazu insgesamt Scherer 2003.

5 Arnim, DKV VI: 202.

6 Pompe 2002,147.
 
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