M 88
Mittw-ch, »7. April L8SL.
Polens Untergang und WieLer-
erwachen.
IV.
(Schluß.)
Polen kommt, eS sri versammelt
ZedeS Alter, jeder Stand,
Jeder, deffen Lippe stammelt
Deinen Namen, Vatrrland!
Sei dem Leben hold der Fetge,
Aber wer den Tod bcgehrt,
Flicht mit Muth Cypressenzwetge
Um das vaterländ'sche Schwert.
P l a t e n.
Wir habkn schon früher im Allgcmeincn
hervorgchoben, worin die Ursachen des Zer-
falles des polnischm Rciches bestanden. Dic-
selbcn sind gleichthcilig in der mangelhaften,
zuleßt ganz abnvrni gewordcnen politischcn
Berfaffung, svwie den socialen Verhältniffen
dcffelbcn zu suchen. Dic Könige warcn ohne
Gewalt, zuletzt bloße Figuranten, an einem
krästigen, wvhlhabenden Bürgerstande gebrach
es durchaus, der Baucrnstaud war leibeigen
und politisch rcchllos, die ganze Staatsgcwalk
bcruhte in dem, in der Zahl von 160,000 Fa-
milien durch das Land vertheiltm Adel, die
Unordnung aber des durch dicsen gebildcten
Rcichstages ist sprüchwörtlich geworden. —
Än dcr polnischen Nalivn hal kS sich gerächt,
oaß der rechtzeitige Ucbergang aus niittelalicr-
lichcn Feudalverhäliniffcn in dic Ordnungen
der neueren Zeiten versäumt, daß der Bund
zwifchen Kvnig und Vvlk, der dic Starrheit
deS Lchcnswesens in andern Staaten aushob,
verfchlt worden ist. Dic Mißbxäuche abcr
der alten Adclsherrschaft legtcn seincrzeit das
iunere Gedcihen lahui, und öffneten glcichzeiiig
ausländischer Eroberunassucht das Thor. An-
gcsichtS der dcm Vakcrlande droheuden Gcsah-
rcn setztc der Adel immer noch die Verfolgung
seiner individuellen Zntcreffcn Aibor die Ver-
thcidigung des bcdrohten Gkiiieinwesens fort.
Der edlc Koöciuskv sah sich daher genöihigt,
seine Hauptstütze im Bauernstandc zu suchen;
mit nur halbgcübten, aus deffcn Mitte ent-
uommencn, oft blos mit Sciisen bewaffneten
Kriegcrn vollbrachte er bei Krakau, Dubienka
„nd Raklawicz seine Wunder dxr Tapferkeit.
Auch kie zicmlich ansehnliche und zahlreiche
reguläre polnische Armee i» dem Unabhängig-
keitskampfe von 1830/31 war selbstvcrständlich
zumeist aus Lem. Bauernstanve rekrutirt, und
es blutete derselbe auf dcn Schlachtfeldern von
Grochow und Ostrolenka ncbcn dem Edelmann.
Uni so mehr ist dieser Stand einer ernstlichen
Befferstellung werth. Derselbe ist in Russisch-
Polen zumal eineS Stammes mit dem Adel
(in Galizirn ist dies bekanntlich anders) und
war ursprünglich, d. h. vor einer Reihe von
Jahrhunderten, in weit beffern Verhältniffen.
Der Adel, der dort nicht wie in manchen an-
dern Ländern seine Rechtc an Grund und
Boden, sowie an der bewohncnden Bcvölke-
rung selbst, durch das Recht der Eroberung
erworben hatle, maßtc sich diese Befugnisse
erst nach und nach willkürlich an, troß der
Linsprache mancher frühcrer Könige, namcnt-
lich Casimirs (der daher spottweise der Bauern-
könig genannt wurde). Trotz Jahrhundert-
langer Unterdrückung ist in dem pvlnischen
Baucr, bei sonftiger Rohheit und Unwiffen-
heit, daS Gcfühl für Zusamincngchörigkeit mit
»cm Adel, der patriotische Sinn für das ge-
meinsame Vaterland nicht vcrloren gegangen.
Der jetzige polnische Adcl scheint in Folgc
einer längercn Schule bcs Lcidens dieses Al-
IkS jetzt auch wohl einzusehen, wie denn lang-
jährige Untcrdrückung unb Verbannung unier
den Polen überhaupt einc bcffere Einsichx in
ihre Verhältniffe ziemlich allgemcin hervorge-
»ufen haben. Auch ist cincm früher aüzu-
kühlcn und sorglosen Nationalgefühle bekann-
lermaßen schon längst em vielsach übermäßig
glühcndes gefolgi. Dicje letzlere.Erscheinuug
jedoch erklärl sich ganz naiürlich, und es wäre
hart, sie irgend zu ladelu. Der Krcislauf Lcr
Lebenskrästc nämlich, der in cinem ungchcmm-
ten und freicn Staatsorganismus sich gleich-
mäßig und harmonisch nach aüen Theilen hin
verbreitel, wird in cincm gehcmmten und un-
freien nur nach gewiffen Richtungen hinstür-
men und .das cine Ende mit dem Ueberfluffc
des LebenS erfüllen, das bem andern enkzogen
wird. Es verbraucht dcßhalb die politische
Ausregung in dem zcrriffenen Polen zu gewis-
sen Zeiten alle andcrn vitalen Elcmcnte.
Daß die Lem frühcrn polnischen Adel mit
Nccht gcmachten Vorwürfe nicht mehr dem
gcgriiwärtigen, zur beffern Einsicht gekomme-
ncn Geschlechke gelten sollen, haden wir be-
reits kurz angedeuict. Es hat bieser Stand,
als Träger dcr Bilbung und Gesittung stn
Polen in »euercr Zeii vielfach einen beffern
Gebrauch von seiner bevorzugten Stellung zu
macheu gesucht und war, wenigstens zum Theile,
noch uuker Kaiser Nikolaus, zu einer liberalen
Lösung der, Frage über die bäuerlichen Ver-
hältniffe bereit. Die russische Regierung fürch-
tete aber hievvn ungünstige Folgen sür ihre
Herrschaft und verhindertc die Ausführung
dieses Vorhabens. Auch in ncucster Zeit suchte
man, wie es schien, dem pvlnischen Adel den
Ruhm nicht zu gönnen, welcher tzem russtschcn
eingeräumt wurde. Während im eigentlichen
Rußland Regierung und Abel bei dem Emancipa-
lionSgeschäfte zusammenwirkeo, schien bis jetzt
die Regierung gesvnnen, dem Adel in Polen die
Sache ganz aus der Hand zu nehmen. Um
so mehr darf man nach den neuesten Ereig-
nissen, *) in Folge deren dieses Land »ine Art
von Selbstverwaltung erhalten wird, bie stchere
Hoffnung hegen, daß der polnische Abel mit-
telst eines großen Actes von uneigennütziger
Ausopferung und Selbstüberwindung dem
Bauernstande, der trotz aüer erfahrener Unbill
und Zurücksetzung den Sinn für das gemein-
same Vaterland mit ihm theilte, seine natür-
lichen, menschlichen und selbst historisch ange-
hörigen unv im Laufe der Zeiten entzogenen
Rechte zurückgibl, und sich in dieser LebenS-
frage nicht von der rnssischcn Regierung über-
flügeln läßt, bie, nach der Bauernemancipation
in Rußland unmöglich länger mit der in Po-
len zögern kann. Daß mit dcr Schaffung
eines selbststänvigcn Bauernstandes in Polen
nur der erste wichtige Schritt geschehen und
noch langc nicht Alles zum Befferwerden der
innercn Verhältniffe gethan ist, geben selbst
namhafte Anhänger der polnischen Democra-
tie zu. Es läugnen diese nicht, daß diese
nothwendige geistige Regcncration eines gro-
ßen Theils des Volkcs Jahrzehnte crfordert,
und daß es lange dauern wird, bis der Strahl
der Ausklärung von den höchsten Gipfeln bis
zu den untersten Schichten der Geseüschaft,
vom Adej bis zum Bauerndorf dringen kann.
Wir führen schließlich zum Belege unserer
Behauptuiigen eine sehr treffenbe Stelle bes
früher von uns erwähuten polnischen Publi-
cisten M. Mochnacki an. Derselbe sagt. „An-
dere Nationen mögen iü einer Umänderung
der Regierungsform ihr Heil suchcn unv fin-
ben — uns Polen ist sv etwas nichk genü-
gend. Wir bedürfen einer socialen Umän-
derung, weil unser Uebel ein sociales ist. Un-
ser Uuglück wurbe durch unsere gesellschaftliche
Steüung herbeigeführt, durch bas Allvermögen
dcs Avels und bas Nichtsvcrmögen des Bauers.
Diesem unserem Grundübel kann keine poli-
tische Befreiungstheorie abhelfcn. Die Lcib-
eigenschaft auszuheben, ohne bem Bauer zu-
*) Dte in Aussicht gestellten Reformen werden trotz der
neuesten bluttgen Vorfälle in Warschau allem Anschetn
nach doch auSgeführt werden. Es bcwähren jene Vorfälle
auss Neue, waS wir oben vom politifchen EnthusiasmnS
der Polen sagten, der nur allzu oft daS richtige Maß über-
schreitet und seines ZieleS verfehlt. DaS Herz überstuthet
bei denselben, wte gewöhnlich, allzu letcht den Kopf.
Ein Äbcnteuer unter Äelttrrn.
Mitgetheilt von Ed. Franke.
(Fortsetzung).
17.
Einige Minutcn »erstrichen mir so peinlich, dann
wurde es im Jnnern sehr lebcndig. Die Thüre
öffncte sich. ein wenig — ich erkannte dik Hand
mcines Führers und schlüpfte hinein.
Eine lange Tafel durchschnitt dcn Raum der
Länge nach und war so dicht mit Couverts bclegt,
daß wohl für hundert Personcn gcdcckt schien.
Mein Bcgleiter postirtc sich am untern Ende, ich
ncben ihn. — Man suchte jetzt allgcmein Platz zu
gcwinnen. Während der Zeit faßte tch Raum und
Anordnung in's Auge. Es «ar ein auö Lehm-
wänden bestehender, mit Holz bedcckter Schuppen.
Die qucrlausenden Tragbalken des Dachsruhlcs waren
mit grünen Guirlanden umwundcn-, von «clchen
blumengezierte Bogcn herniedcrwalltcn, in dcren
Mittc einc HLngcnde Lampe angebracht war. Dic
Lehmwände waren mit grüncn Zweigcn bedcckt,
zwischcn welchen Wandleuchter prangten. Für dicse
Iahreszeit selten blühende Biumen standen, ge-
schmackvoll geordnet, in Vascn auf der Tafcl. Tisch-
gcdcck von Damast, Mcffer und Gabel zum Theil
von Silber. Dic Serviettcn in dcn vcrschieden-
artigstcn Formen gelcgt und aufgestellt. Bis auf
dic Stühle, welche in dcr hcllen Beleuchtung Alter
und Verschiedenhcit nicht verbergen konnten, glich
das Ganze dem Speisesaalc eincs clegantcn Gast-
hauses.
Am oberen Ende der Tafel befand sich ein mit
Blumen bekränzter Sitz, erhöht und für zwci Per-
sonen, welchcr leer blicb.
Ein fortwährcnd lauteS Gcsprach, welches jede
Nachbarschaft unterhiclt, machte es ganz unmöglich,
ctwas genau zu verstehen. Es «ar ein Durchein-
ander von Lostümen und ein Gewirre, wie bei dcm
Thurmbaue zu Babel.
Männer in Uniform mit Orden und Stern,
llniformsübcrröcke, elegante Fracks, Oberröcke, ja
sogar Priestercostüme «aren hier zu finden. Fast
AUen sah man es an, daß diese Kleider nicht für
ihrcn Körpcr gcmacht warcn, sie schlottcrtcn ent-
wcder oder warcn zu engc. Die Uniformträger
setzten sich rcchts und links, zunächst dem geschmück-
ten Sitzc, daun die Frack-undOberxockherrn, nun
dic Priester und zuletzt die minder-gut geklesdeten
Personen.
Zch fragtc meinen Bcgleiter leise um den Grund
dicser Ordnung.
„Die mit Orden oder Stern sind Chargen", sagte
er. „Die einfachen Uniformen odcr Uniformröcke
Unteranführer; die Frackherren Räthe und Strei-
tigkeitsschlichter; die Priestcr vcrcinigen und tren-
nen, wenn eS Noth thut. — Alles, «as von dresen
Richterstühlen entschieden «ird, hat für uns nur
Gültigkeit. Jhrem Ausspruchc muß sich Jeder von
uns fügen. - Meint Jhr, wir «ären gesetzlos? ---
Weil die Welt uns ausschließt, schließen wir sie
wieder aus, bildcn ein eigenes Reich, in weichem
dic wahre Freiheit herrscht und doch Alles unter
einem Oberhaupte steht. — Alle für Einen und
Einer für Alle. — Trotz dem Range ist so unter
uns die wahre Glcichheit zu finden, und wenn uns
die Verhältnisse von cincm Orte vertreiben, treffen
«ir i« andcrn Brüdcr, Lie sich unserer annehmen.
DaS allgemeine Jntercffe ist das jedeS Einzclncn.
— Wir besitzcn Alles und bcsitzcn Nichts, «etl Aeder
im Nothfalle Anspruch darauf hat."
Dicse Grundsätze flößten mir, trvtz dcs abscheu-
Mittw-ch, »7. April L8SL.
Polens Untergang und WieLer-
erwachen.
IV.
(Schluß.)
Polen kommt, eS sri versammelt
ZedeS Alter, jeder Stand,
Jeder, deffen Lippe stammelt
Deinen Namen, Vatrrland!
Sei dem Leben hold der Fetge,
Aber wer den Tod bcgehrt,
Flicht mit Muth Cypressenzwetge
Um das vaterländ'sche Schwert.
P l a t e n.
Wir habkn schon früher im Allgcmeincn
hervorgchoben, worin die Ursachen des Zer-
falles des polnischm Rciches bestanden. Dic-
selbcn sind gleichthcilig in der mangelhaften,
zuleßt ganz abnvrni gewordcnen politischcn
Berfaffung, svwie den socialen Verhältniffen
dcffelbcn zu suchen. Dic Könige warcn ohne
Gewalt, zuletzt bloße Figuranten, an einem
krästigen, wvhlhabenden Bürgerstande gebrach
es durchaus, der Baucrnstaud war leibeigen
und politisch rcchllos, die ganze Staatsgcwalk
bcruhte in dem, in der Zahl von 160,000 Fa-
milien durch das Land vertheiltm Adel, die
Unordnung aber des durch dicsen gebildcten
Rcichstages ist sprüchwörtlich geworden. —
Än dcr polnischen Nalivn hal kS sich gerächt,
oaß der rechtzeitige Ucbergang aus niittelalicr-
lichcn Feudalverhäliniffcn in dic Ordnungen
der neueren Zeiten versäumt, daß der Bund
zwifchen Kvnig und Vvlk, der dic Starrheit
deS Lchcnswesens in andern Staaten aushob,
verfchlt worden ist. Dic Mißbxäuche abcr
der alten Adclsherrschaft legtcn seincrzeit das
iunere Gedcihen lahui, und öffneten glcichzeiiig
ausländischer Eroberunassucht das Thor. An-
gcsichtS der dcm Vakcrlande droheuden Gcsah-
rcn setztc der Adel immer noch die Verfolgung
seiner individuellen Zntcreffcn Aibor die Ver-
thcidigung des bcdrohten Gkiiieinwesens fort.
Der edlc Koöciuskv sah sich daher genöihigt,
seine Hauptstütze im Bauernstandc zu suchen;
mit nur halbgcübten, aus deffcn Mitte ent-
uommencn, oft blos mit Sciisen bewaffneten
Kriegcrn vollbrachte er bei Krakau, Dubienka
„nd Raklawicz seine Wunder dxr Tapferkeit.
Auch kie zicmlich ansehnliche und zahlreiche
reguläre polnische Armee i» dem Unabhängig-
keitskampfe von 1830/31 war selbstvcrständlich
zumeist aus Lem. Bauernstanve rekrutirt, und
es blutete derselbe auf dcn Schlachtfeldern von
Grochow und Ostrolenka ncbcn dem Edelmann.
Uni so mehr ist dieser Stand einer ernstlichen
Befferstellung werth. Derselbe ist in Russisch-
Polen zumal eineS Stammes mit dem Adel
(in Galizirn ist dies bekanntlich anders) und
war ursprünglich, d. h. vor einer Reihe von
Jahrhunderten, in weit beffern Verhältniffen.
Der Adel, der dort nicht wie in manchen an-
dern Ländern seine Rechtc an Grund und
Boden, sowie an der bewohncnden Bcvölke-
rung selbst, durch das Recht der Eroberung
erworben hatle, maßtc sich diese Befugnisse
erst nach und nach willkürlich an, troß der
Linsprache mancher frühcrer Könige, namcnt-
lich Casimirs (der daher spottweise der Bauern-
könig genannt wurde). Trotz Jahrhundert-
langer Unterdrückung ist in dem pvlnischen
Baucr, bei sonftiger Rohheit und Unwiffen-
heit, daS Gcfühl für Zusamincngchörigkeit mit
»cm Adel, der patriotische Sinn für das ge-
meinsame Vaterland nicht vcrloren gegangen.
Der jetzige polnische Adcl scheint in Folgc
einer längercn Schule bcs Lcidens dieses Al-
IkS jetzt auch wohl einzusehen, wie denn lang-
jährige Untcrdrückung unb Verbannung unier
den Polen überhaupt einc bcffere Einsichx in
ihre Verhältniffe ziemlich allgemcin hervorge-
»ufen haben. Auch ist cincm früher aüzu-
kühlcn und sorglosen Nationalgefühle bekann-
lermaßen schon längst em vielsach übermäßig
glühcndes gefolgi. Dicje letzlere.Erscheinuug
jedoch erklärl sich ganz naiürlich, und es wäre
hart, sie irgend zu ladelu. Der Krcislauf Lcr
Lebenskrästc nämlich, der in cinem ungchcmm-
ten und freicn Staatsorganismus sich gleich-
mäßig und harmonisch nach aüen Theilen hin
verbreitel, wird in cincm gehcmmten und un-
freien nur nach gewiffen Richtungen hinstür-
men und .das cine Ende mit dem Ueberfluffc
des LebenS erfüllen, das bem andern enkzogen
wird. Es verbraucht dcßhalb die politische
Ausregung in dem zcrriffenen Polen zu gewis-
sen Zeiten alle andcrn vitalen Elcmcnte.
Daß die Lem frühcrn polnischen Adel mit
Nccht gcmachten Vorwürfe nicht mehr dem
gcgriiwärtigen, zur beffern Einsicht gekomme-
ncn Geschlechke gelten sollen, haden wir be-
reits kurz angedeuict. Es hat bieser Stand,
als Träger dcr Bilbung und Gesittung stn
Polen in »euercr Zeii vielfach einen beffern
Gebrauch von seiner bevorzugten Stellung zu
macheu gesucht und war, wenigstens zum Theile,
noch uuker Kaiser Nikolaus, zu einer liberalen
Lösung der, Frage über die bäuerlichen Ver-
hältniffe bereit. Die russische Regierung fürch-
tete aber hievvn ungünstige Folgen sür ihre
Herrschaft und verhindertc die Ausführung
dieses Vorhabens. Auch in ncucster Zeit suchte
man, wie es schien, dem pvlnischen Adel den
Ruhm nicht zu gönnen, welcher tzem russtschcn
eingeräumt wurde. Während im eigentlichen
Rußland Regierung und Abel bei dem Emancipa-
lionSgeschäfte zusammenwirkeo, schien bis jetzt
die Regierung gesvnnen, dem Adel in Polen die
Sache ganz aus der Hand zu nehmen. Um
so mehr darf man nach den neuesten Ereig-
nissen, *) in Folge deren dieses Land »ine Art
von Selbstverwaltung erhalten wird, bie stchere
Hoffnung hegen, daß der polnische Abel mit-
telst eines großen Actes von uneigennütziger
Ausopferung und Selbstüberwindung dem
Bauernstande, der trotz aüer erfahrener Unbill
und Zurücksetzung den Sinn für das gemein-
same Vaterland mit ihm theilte, seine natür-
lichen, menschlichen und selbst historisch ange-
hörigen unv im Laufe der Zeiten entzogenen
Rechte zurückgibl, und sich in dieser LebenS-
frage nicht von der rnssischcn Regierung über-
flügeln läßt, bie, nach der Bauernemancipation
in Rußland unmöglich länger mit der in Po-
len zögern kann. Daß mit dcr Schaffung
eines selbststänvigcn Bauernstandes in Polen
nur der erste wichtige Schritt geschehen und
noch langc nicht Alles zum Befferwerden der
innercn Verhältniffe gethan ist, geben selbst
namhafte Anhänger der polnischen Democra-
tie zu. Es läugnen diese nicht, daß diese
nothwendige geistige Regcncration eines gro-
ßen Theils des Volkcs Jahrzehnte crfordert,
und daß es lange dauern wird, bis der Strahl
der Ausklärung von den höchsten Gipfeln bis
zu den untersten Schichten der Geseüschaft,
vom Adej bis zum Bauerndorf dringen kann.
Wir führen schließlich zum Belege unserer
Behauptuiigen eine sehr treffenbe Stelle bes
früher von uns erwähuten polnischen Publi-
cisten M. Mochnacki an. Derselbe sagt. „An-
dere Nationen mögen iü einer Umänderung
der Regierungsform ihr Heil suchcn unv fin-
ben — uns Polen ist sv etwas nichk genü-
gend. Wir bedürfen einer socialen Umän-
derung, weil unser Uebel ein sociales ist. Un-
ser Uuglück wurbe durch unsere gesellschaftliche
Steüung herbeigeführt, durch bas Allvermögen
dcs Avels und bas Nichtsvcrmögen des Bauers.
Diesem unserem Grundübel kann keine poli-
tische Befreiungstheorie abhelfcn. Die Lcib-
eigenschaft auszuheben, ohne bem Bauer zu-
*) Dte in Aussicht gestellten Reformen werden trotz der
neuesten bluttgen Vorfälle in Warschau allem Anschetn
nach doch auSgeführt werden. Es bcwähren jene Vorfälle
auss Neue, waS wir oben vom politifchen EnthusiasmnS
der Polen sagten, der nur allzu oft daS richtige Maß über-
schreitet und seines ZieleS verfehlt. DaS Herz überstuthet
bei denselben, wte gewöhnlich, allzu letcht den Kopf.
Ein Äbcnteuer unter Äelttrrn.
Mitgetheilt von Ed. Franke.
(Fortsetzung).
17.
Einige Minutcn »erstrichen mir so peinlich, dann
wurde es im Jnnern sehr lebcndig. Die Thüre
öffncte sich. ein wenig — ich erkannte dik Hand
mcines Führers und schlüpfte hinein.
Eine lange Tafel durchschnitt dcn Raum der
Länge nach und war so dicht mit Couverts bclegt,
daß wohl für hundert Personcn gcdcckt schien.
Mein Bcgleiter postirtc sich am untern Ende, ich
ncben ihn. — Man suchte jetzt allgcmein Platz zu
gcwinnen. Während der Zeit faßte tch Raum und
Anordnung in's Auge. Es «ar ein auö Lehm-
wänden bestehender, mit Holz bedcckter Schuppen.
Die qucrlausenden Tragbalken des Dachsruhlcs waren
mit grünen Guirlanden umwundcn-, von «clchen
blumengezierte Bogcn herniedcrwalltcn, in dcren
Mittc einc HLngcnde Lampe angebracht war. Dic
Lehmwände waren mit grüncn Zweigcn bedcckt,
zwischcn welchen Wandleuchter prangten. Für dicse
Iahreszeit selten blühende Biumen standen, ge-
schmackvoll geordnet, in Vascn auf der Tafcl. Tisch-
gcdcck von Damast, Mcffer und Gabel zum Theil
von Silber. Dic Serviettcn in dcn vcrschieden-
artigstcn Formen gelcgt und aufgestellt. Bis auf
dic Stühle, welche in dcr hcllen Beleuchtung Alter
und Verschiedenhcit nicht verbergen konnten, glich
das Ganze dem Speisesaalc eincs clegantcn Gast-
hauses.
Am oberen Ende der Tafel befand sich ein mit
Blumen bekränzter Sitz, erhöht und für zwci Per-
sonen, welchcr leer blicb.
Ein fortwährcnd lauteS Gcsprach, welches jede
Nachbarschaft unterhiclt, machte es ganz unmöglich,
ctwas genau zu verstehen. Es «ar ein Durchein-
ander von Lostümen und ein Gewirre, wie bei dcm
Thurmbaue zu Babel.
Männer in Uniform mit Orden und Stern,
llniformsübcrröcke, elegante Fracks, Oberröcke, ja
sogar Priestercostüme «aren hier zu finden. Fast
AUen sah man es an, daß diese Kleider nicht für
ihrcn Körpcr gcmacht warcn, sie schlottcrtcn ent-
wcder oder warcn zu engc. Die Uniformträger
setzten sich rcchts und links, zunächst dem geschmück-
ten Sitzc, daun die Frack-undOberxockherrn, nun
dic Priester und zuletzt die minder-gut geklesdeten
Personen.
Zch fragtc meinen Bcgleiter leise um den Grund
dicser Ordnung.
„Die mit Orden oder Stern sind Chargen", sagte
er. „Die einfachen Uniformen odcr Uniformröcke
Unteranführer; die Frackherren Räthe und Strei-
tigkeitsschlichter; die Priestcr vcrcinigen und tren-
nen, wenn eS Noth thut. — Alles, «as von dresen
Richterstühlen entschieden «ird, hat für uns nur
Gültigkeit. Jhrem Ausspruchc muß sich Jeder von
uns fügen. - Meint Jhr, wir «ären gesetzlos? ---
Weil die Welt uns ausschließt, schließen wir sie
wieder aus, bildcn ein eigenes Reich, in weichem
dic wahre Freiheit herrscht und doch Alles unter
einem Oberhaupte steht. — Alle für Einen und
Einer für Alle. — Trotz dem Range ist so unter
uns die wahre Glcichheit zu finden, und wenn uns
die Verhältnisse von cincm Orte vertreiben, treffen
«ir i« andcrn Brüdcr, Lie sich unserer annehmen.
DaS allgemeine Jntercffe ist das jedeS Einzclncn.
— Wir besitzcn Alles und bcsitzcn Nichts, «etl Aeder
im Nothfalle Anspruch darauf hat."
Dicse Grundsätze flößten mir, trvtz dcs abscheu-