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Heidelberger Zeitung — 1865 (Januar bis Juni)

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Nr. 102-126 Mai
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Mlage M Heidelberger Ieilung.

M ! 17

D e n t s ch l a n d.

Karlsruhe, 6. Mai. (Fortsetzung ^er 29.
öffeutilchcn Sitzung der 1. Kammer.) «staats-
rath Dr. Lamey fährt fort: Hr. v. Stotzin-
gen hat insbesondere auf die mehrfach öffent-
lich beiprochene Entschließung des Staatsmini-
steriums hingewiesen. Die Sache ist aber so
klar, daß nur eine vollständige Verirrung in
dieser Entschließung eine Beschränkung des Pe-
titionsrechts sehen kann. Zm Verhältniß zu den
Kammern ist das Petitionsrecht ausdrücklich ge-
währleistet, aber die Petitionen müssen schrift-
lich eingereicht werden, uud noch Niemand sah
darin eine' Beschränkung des Petitionsrechts.
Hr. v. Stotzingen selbst wird wohl das per-
sönliche Erscheinen der Pctenten, auch der Schul-
petenten, in diesem hohen Hause nicht wünschen.
Auch der Ausübung des Versammlungs- und
VereinSrechts durch die Katholiken hat die Re-
gierung nirgends etwas in den Weg gelegt.
Das Schlimme in diefer Sache besteht in der
außerordentlich provokatorischen Art und Weise,,
mit welcher von der Gegenpartei anfgetreten
wnrde. Wer in solch' provokatorischer Weise
Volksversammlungen betreibt, setzt fich immer
der Gefahr schlimmer Erfahrungen aus. Nach-
dem einmal bei einer solcheu, entschieden wider-
rechtlich und gegen das gesetzliche Verbot der
Bchörden versuchten Versammlung die schlimm-
sten Erfahrungen gemacht waren, handelten die
Behörden durchaus pflichtgemäß und im Geist
des Vereinsgesetzes, wenn sie Versammlungen
verboten, bei welchen nach den örtlichen Ver-
hältnissen Aehnliches zu befürchten war. So
war z. B., wie ich glaube, zu dem Vcrbot der
Ladenburger Versammlung voller Grund vor-
handen; was würdeu Diejenigcn, die in Mann-
heim gern ein Bataillon Soldaten aufgeboten
gehabt hätten, gesagt haben, wenn wenige Tagc
darnach in dem benachbarten Ladcnburg bei
einer gleichartigeu Versammlung ähnliche Sce-
uen sich wiedcrcholt HLtten. Jm Uebrigen kann
sich die großh. Regierung das Zeugniß geben,
daß sie in dieser ganzen Frage bis zu dem
jetzigen Augcnblick im versöhnlichsten Sinn ver-
fahren ist, und dieses Verfahrcn wird sie auch
in Zukunft einhalten. Gleichwohl stehen wir
der tief zu beklagenden Thatsache gegenüber,
daß ein Theil dcr Bevölkerung geängstigt ist,
die Religion sei in Gefahr, namentlich cS soll-
ten die Katholiken protestantisch gemacht wer-
den. Es fchlt an jedem thatsächlichen Anhalt
für diese Besorgniß, und ich kann mit Wahr-
heit versichern, daß mir nichts ferner licgt, ja
niehr zuwider ist, als jede Art Proselyten-
macherei. Gleich unbegrüudet ist der Vorwurf,
die Regierung begünstige den Rationalismus
nnd Materialismus. Jm Gegentheil, sie erkennt
vollkommen an, daß ein religiöser Sinn im
Volk von höchstem Werth auch sür eiu gesun-
des Staatsleben ist. Sie will zwar nicht, daß
die Religion die Arbeit aufzchrt, wohl aber,
daß die Neligion die Arbeit der Menschen und
ihre ganze Thätigkcit.durchdringt. Was die
Anfrage dcs Hrn. v. Stotzingen betrifft, die
übrigens mit seinem schließlichen Antrag, in
welchem er sich die Petita der Petitionen an-
eignet, im Widerspruch steht, so ist die Ant-
wort darauf einfach: Die Regicrnng steht cinem
gegebenen Gesetz gegenüber. das sie vollziehcu
muß. Sie ist nicht in der Lage, Zusagcn über
eine Modification desselben zu machcn. Beson-
tere Maßregeln für die Durchführnng des Ge-
sctzes sind nicht nöthig, es ist durchgeführt;
wo sich Mängel zeigen, wird sie dicselben zu
beseitigen suchen. Die Anklagc, die Regiernng
sei feindlich gegen Religion und Kirche gcsinnt,
ist absolut grundlos. Wir schlagen die Peti-
tionen und Beunruhigung, die sich in ihnen
kunbgibt, nicht gering an, und würden lc^fere
gern heben. Wir verkennen aber auch mcht,
daß den Petenten eine große Anzahl Andcrs-

Freitag, den 18 Mai

18«S

gesinnter gegenübersteht. und dag die Befrie-
digung Jener, wenn sic der Regiernng mög-
lich wäre, einen Stnrm von der andern Seile
hcrbeifnhren wnrde. Die Anfhebung dcs ange-
fochtenen Gcjetzes würde, weit entfernt, Heil
und Sege» über daS Land zu verbreiten, dle
Zustindc desselben auf daS Tiesste zcrrütten
und fast uiiheilbarc Mißstände herbciführen.
Die großc Zahl der leidenschaftlicheii Bittftellcr,
von dcnen gesprochen wird, ist nicht so gcfihr-
lich. Jch nnterfchätze nicht die Zahl, ich schlage
aber daS Gewicht solcher Unterjchriflen über-
haupt nicht schr hoch an, mcht bloß deßhalb,
weil rin großer Theil der Untcrschreibenden
ohne klarcs Urtheil handclt, iondcrn noch mchr
deßhalb, weil bei jehr vielcn ihre Uiitcrlchrift
kcineswegS ein Symptom cincs ernsten Willens
ist. Zch liebe nicht den Wettkampf mit Peti-
tionen, sonst könnte ich aus dic bei dem Staats-
ministcrium licgenden der entgegengesetzten Rich-
tung vcrwcisen; eS werden gegen 400 sein.
Anf dicscm Wege ist nichts auszntragcn; gibt
inan heutc den cinen Biltstellcrn nach, so kom-
men morgen anderc mit andern Wünjchen.
Man kann nur nach selbstständigem, ftaats-
inännischem Ermessen verfahren. Was die Frage
betrifft, wic die großh. Regiermig dic beftehen-
den Anstände bcseitigen will, so beabstchtigen
wir, ohne der eingetretcnen Spannung ein
allzn großcS Gcwichl beizulegen, in uüsercr vcr-
söhnlichen Haltung zn verharren. Wir werden
nach allen Seiten bemüht scin, nöthlge oder
wünschenswerthc Verbesserungcn ohnc Eigen-
stnn hcrbeizufnhren; aber dic Möglichkeit des
Ersolges wird sehr verringert, wenn in cinem
immer weitcr gesührten Kampjc dic Partcien
sich als schroffc Feinde gegenüber irelen. Jeden-
salls wird stch bei dcm wcitern Vcrlauf der
Schuigesctzgebung noch Gelcgenhcit ergeben,
über manchc Fragen sich schlüssig zu niachen,
da durch daS vorliegende Gesetz, das sich nur
auf die Aufsichisbehörden der VolkSschule bezitht,
dcm Marleriellen nicht vorgegrissen ist. Uebcr
das gegcnscitige Verhältniß der Eonfessionen
sprcchc ich nicht gern. Dic Regierung hat aber
in dicser Bczichung mehr gethan, als Hr. Graf
v. Hennin wünscht. Von dcn ültitgliedern des
Oberschulraths sind 5 katholisch, 4 protestan-
tisch, unter den Kreisschulräthen befinden sich
7 Katholikcn und 4 Protestantcn; cs bcsteht
also nicht bloS Parltät, sondern cin uiigefähr
der Stärkc dcr Confessionen ensprechendeS Ver-
hältniß. Ob die Kreisschulräthe cvnfessionell
wcrden können, will lch.dahingeftelll jein lassen;
vollständig wäre dicS bei der confcssionellen
Mijchung so vieler Gcmcindcn ohnc Verwir-
rung nicht wohl burchznführen. Auch geht eS
doch wohl zu weit und tritt selbst der Ehre
der Kirche zu nahe, wenn man eine Gefahr
sür die kaiholijche Kirche darin erblickt, daß
ctwa cin protestanlijchcr Kreisschulratl) allc
Paar Jahrc einc Prüsung im Rcchncn u. Lesen
oornimmt. Ein soichcr rvangcl. Kreisschulralh
muß fich ängstlichcr als cin katholischer hütcn,
irgcnd eincn Anstoß zu gcbe» üiachdcm dic
grohh. Regierung die confcssioncllc Schule fcst-
gcstellt hal, bcruhen in der That allc Bcsorg-
nissc dcr Kirchc aus einer irrthümlichen Auf-
fassuug dcr Sachiagc. Zch bin überzengt, daß
in Folge dcs Gesctzes von 1860 und des Schul-
ausjichtsgesctzeS die Kirchcn cinen größern Ein-
fluß in dcn Schulen gewinncn wcrden, als
nnter der altcn Einrichtung. Nach dicser waren
dcr OrtSschulinspecidr und dcr Lehrer dle eigcnl-
iichen Hcrren der Schule; zwischcn Bcidcn be-
jtand nicht seltcn -in gcjpannteS Vcrhältniß.
Zn Zuknnsl hat drr Geislliche cincn Orlsschul-
rath zur Scite, an welchen, cr, wcnn er nüt I
Jntcressc und Liebc sür dic Schulc wirkcn will,
cine mächtigc Untcrftüyung finden wird. Uebec-
dtcs steht der Kirche oer Religionsnnterricht
zn, und bci richtiger Auffassung ihrer Stellung
kaun ihr ein großer Einfluß in den conses-

stonellen Schulen nicht entgehen. Daß sie nicht
allzu viel zu regieren hat, darüber beklage ste
sich nicht; das ist kcin Nachtheil. Uebrigens
wird die Regierung gern jedes ihr möglichc
Mittel ergreifen, um dicsen Conflict in Frie-
den zu verwandeln. Sie hat sich auch nie ge-
weigcrt, dies zu thun; nnd lasscn sich dic Mit-
tel auSfindig machen, jo wird die großh. Re-
gierung stc sreudig begrüßen.

Miiüsterialrath Dr. Jolly: Dem Commis-
sionsantrag stnd zwei andere cntgegengestcllt
wordcn, ein mit großer Mäßigung begründeter
ncrmittelnder, und einer, der aus scharf ent-
gegengesetzten'Anschauungcn beruht. Jch werde
den CominissioiiSantrag vertheidigcn. Freiherr
v. Stotzingen hält daS Schnlaussichtsgesetz sür
undurchfnhrbar; nach sciner Mcinung hat man
unter Aufgebot allcr Ränke der List und Ge-
walt, selbst, wie cr glaubt, widerrechtliche Ge-
walt versucht, das Gesctz durchznsetzen, und
als Erfolg soll sich hccansgestcllt haben die
UnauSführbarkeit dcs Gesctzes. Mir scheint
Liescs erschreckende Gemäldc nach beidcn Sciten
hin unrichtig. Thatsache ist nur, daß eine ge-
wisse Biunruhlgnng bcsteht; im Uebrigen wird
die Sache sehr übertricben. Jch beklage auf-
richtig, daß das kathol. Kirchcnregimeni die der
Kirche angcbotcnc Stellung abgelshnt hat, wo-
durch allein dic vorhandcne Beängstigung ver-
anlaßt ist. Wir sind aber hicr nicht in der
Lage, daS Vcrhalten der Kirchenbehörde zu kriti-
siren, und ich bin im Gcgcnsatz zu manchen
andercn Frcundcn des Schulgcsetze« der An-
stcht, daß dic Geistiichcn, indem ste ihrem Kir-
chenregiment solgten, nur ihre Pflicht thatcn.
Wenn die Kirche innerhalb deS Gcsetzes von
dem ihr zugcstandencn Rccht kcincn Gebrauch
macht, so mag dies nach unsercr Ansicht in
verschiedenen Bezichnngcn zn beklagen sein, sie
hat-aber für sich zn entschcidcn, was sie für
zweckmäßig und ihren Jntcrcffen entsprechend
häit. Dagegen dnrfen und mnssen wir lant
aussprechcn, daß cinc Partei innerhalb der
Kirche ihre staatsbürgcrlichen Pflichten schwer
verletzte; die Grenzen deS mvralisch Erlaubten,
ja selbst des gcsctziich Zuläffigen sind mehrfach
überschrittcn wvrdcn. Man hat wissentlich odcr
weiügstcns in nicht entschuldbarer Leidenschaft
unbkgrnndete Bejorgniffc zu erregen gesucht.
Das Gesetz soll zur Jrreligiosität nnd Gott-
lostgkcit verlciten und doch ist am ReligionS-
untcrricht gar nichtS geändert; er ist in dem
noch gelteuden Schulplan als wichtigster Unter-
richtSgcgenstand erklärt, unä er svll cs auch in
Zukunst bleiben. Man wolle, hieß es, die Lcute
protestantisch machen, und das Gesctz hat auf's
Neuc dic conscffionelle Schule bestätigt. Einc
Anzcchl von Gcistlichen licß sich bis zu wirk-
lichen Vcrbrechcn fortreißcn; wic die öffentlichen
Bläitcr berichten, mußtc» wiederhvlt Privatper-
soncn zum Schutz ihier von der Kanzcl ange-
griffcnen Ehre die Gerichte anruscn; erst knrz.
lich wurde cin Gcistlichcr wcgen einer in höchst
roher Form vcrübten MajestäiSbeleidignng ver-
urlheiit. NebcnAlledem wurde cine bekspiellose
Untcrdrückung der sreien Meinung vcrsucht.
Jch wciß, daß nach dem vberstcn Grundsatz
dcr katholischen Kirchc der Glänbige in allen
dogmatischen Frazen der Autvrität der Kirchc
sich unbedingt zu unterwerfen hat; aber er ist
nicht vcrpflichtct, jederzeit jkde Regierungsmaß-
rcgcl dcsKirchenrcgimcnts zu billigen. Jch würde,
zmnai da ich nicht Kathvlik bin, über dicsen de-
likaten Punkt nicht jprcchen, wenn ich nicht dic
jchlagcndjten Bcispiele dcr Gcschichte für mich
hätte. Wie oft haben in sehr viel wichtigern
Fragen kätholischc Lahcn anderc Ansichtcn ver-
sochtcn, als daS zeitwcilige Kirchenregimenl,
ohne daß sic dcshalb aushörten, Katholikcn zu
sein. Jcne Lchrc ist daS jesnitische, nichi daS
kalholischc System. Das jesuitischc System scha-
det d^n Staat und dcr Kirche llnd erzielt schließ-
lich doch keine Erfolge; das hat sich auch in
 
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