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Heidelberger Zeitung — 1865 (Januar bis Juni)

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Nr. 102-126 Mai
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Mlage M Hndetberger Zettung.

M 122 Donnerstag, den 23 Mai 18«S

Dentschlanv.

Bcrlin, 20. Mcii. Das Abgeordnttenhaus
berieth heute deu Etat oer Justizoerwallung.
Aus Aulaß der für den Oberstaais-Anwalt
beim Obertribunal verlangten Gehaltscrhvhung
von 600 Thlr. ergrcift Abg. Hennig das
Wort: M. H., Wir sind es leider schon ge-
wöhnt, daß die Bcamten der Staatsanwalt-
schaft nicht daS Jnterefse deS Staatcs, sondern
das cinjcitige Partciinteresse vcrtreten. Wäh-
rcnd dic Organe der liberalcn Partei auf das
schärfste versolgt werden, können die fcudalcn
Blalter ungestrast sich jedc Lüge, jede Vcrlcnm-
dnng, jede Bcschimpsung gegcn diescs HanS
nnd dessen Mitglieder erlauben. Zch will Sie
nnr daran crinnern, wic kürzlich eine Erklä-
rnng von Wahlmännern veröffcntlicht wordcn
ist, in der dic Majorität dcs Abgeordneten-
hauseS beschuldigt wird, daß sie bei den Wahl-
prüfnngen nicht nach dem Rcchte, sondcrn nach
Willlühr und factiösen Rücksichtcn zu Werkc
gehe; ich erinncre Sie an rine Adrcsse, die an
Hrn. v. Bismark gerichtct und sstäter in ofst-
ciösen Blättern abgedruckt ist, in wklcher der
Majorität dcS HauseS der Vörwurf dcS Eid-
bruches gemacht ist. Gegen solchc AuSschrci-
tnngen geschieht SeitenS der Staatsanwaltschaft
nichis, wir sehcn dieselbe nach der eineii Seite,
nämlich gegen die liberale Partei, in ungeheu-
rer Thätigkcit, nach der andrrcn Seite aber voll-.
ständig lahm gelegt. Die Staatsanwaltschaft
hat in Prcußen eine durchaus falsche Stellung,
und sie handhabt in uicht minder vcrkchrtcr
Weise ihr Amt. Das Jnstitut isi der sran-
zosischen Znstitution nachgcbildct, aber es ist
bei unS noch weitcr ausgebildet worden. Der
Minister beruft zu derartigcn Stellen nur Solche,
deren er gauz stcher ist, und die Angestelltcn
wissen, daß ste jedeu Augenblick mit halbem
Gehalte zur Disposition gestellt «crden könncn.
Die Staatsanwaltschast hat cinc überstarke
Stellung gegcnüber dcm Angeklagtc», da ihr
die größten Hilfsmittel zu Gebote stchen, da sie zu
jeder Zeit in die Vornntersuchung Einsicht er-
hält und einzugrcifen vermag, während der
Angcklagte ganz hilflos dafteht, da ste cndlich
dcm Gcrichtshofe gegenüber viel zu weit gehende
Rechte hat. Zhr Monopol wird in jcder Weise
nnd in dem weitesten Maße benutzt. Ruft
Jemand ihre Hilfc an, der nicht zu der Regie-
rungspartci gehört, so verwcigcrt sie dieselbc,
und wenn man sich beschwert, stiinmt dcr Zustiz-
niinister dem bctreffenden Beamteu bci. Da
hört doch allcS Recht anf. Wir haben ein
drakonisches Preßgesetz, und dasselbe wird cr-
weitert durch eine traurigc AuSlegungskunst.
Dazu tritt nun die üblc Praxis dcr Gerichtc,
welche auf einc Anklage nur zu leicht eingehen,
mit dcr Reserve, daß der Angeklagtc, wcnn un-
schnldig befunden, freigesprochen werdcn würde.
Allein dabci vergißt man ganz, daß cs wirklich
kcine Annehmlichkeit ist, Angeklagtcr zu scin,
nnd daß ein solcher immer fchon gegenübcr dcr.
Staatsanwaltschaft schr übel gestellt ist. Meine
Herren, der Justizminister hat allcS Mögliche
gcthan, um dieses Uebel noch zu vergrößern, er
hat die Rechtsverweigerung gebilligt und die
Verfolgung ermuntert. Zn Sachen, wo di-
Regierung sclbst Partei ist, hat 'cin Mitglied
tcr Regierung so gehandclt (hörtl), wie kann'
man es unS nun zumuthcu, daß-wir dic
Stellung diescr Beamtcn dec Staatsanwalt-
schaft noch verbcsscrn und den Reiz vermehren
sollen für diejcnigen, welche stch der Rcgierung
bereit stellcn möchten, um nach den Winken
tes JustizministcrS zu handeln. (Bravo.) —
Abg. Hahn (Ratibor): Der Vorredncr hat
einen Mangel an Kenntniß des Strafproccsses
nnd StrafgesetzeS verrathen, wclchen ich bci ihm,
da er nicht Zurist ist, erklärlich finden kann.
Namentlich ist es ja, wenn man nur eincn
Blick in daS Strafgesetzbuch thut, crfichtlich,
daß die Verfolgung dcr Prcßerzeugnisie, übcr ^

dercn Straflostgkeit er Beschwerde führt, nur
auf den Antrag dieses Hauses selbst crfolgcn
konnte und daß, wenn ein solcher fchlte, die
Staatsanivaltschast stch nicht für berufen er-
achten konnte, ihrerseits vorzugehen. Abge-
ordneter LaSker: Der Abgeordnete Hahn ist
selbst nicht bloS Staatsanwalt, sondern er ist anch
gerade auf dem Felde der politischen und Preß-
processe schr thätig gewesen, so zwar, daß seine
Vcrdienste durch sehr raschc Beförderung An-
erkcnnung gefundeu haben; da ist es doch zu
verwunderu, daß cr einc so frappante Unkcnnt-
niß unscrcs Strafgcsetzbuches verräth. Was
dcr Abg. v. Hennig gesagt hat, ist vollkoinmen
richtig. DaS Strafgesetzbuch setzt für die Ein-
leitung einer Anklage wegen Beleidignng eincs
KainmerniitglicdeS den Antrag derselben, sür
dic Anklage wcgen Beleidigung dcr Kammcr
abcr deren Ermächtigung voraus. Der Unter-
schied ist so klar, daß ich dem Abgeordneten
Hahn nicht den Mangcl an Verständniß zn-
trauen darf, um denselben zu übcrschen; es
kann also blos seine Unkenntniß des Gesetzes
die,Schuld tragen. Dadei mag ihm denu frei-
lich zu Eutc kommen, daß die Beamtcn der
Staatsanwaltschaft mit dem § 103 des Straf-
gesetzbuches nicht leicht zu schaffen habcn; Be-
lcidigungen dcr Kaminer werden ja eben nicht
verfolgt. Was dcr Abgeordnete Hennig im
Uebrigen gesagt hat, war nur ein kleiner Thcil
. von dem, waS nbcr diesen Gegenstand in aller
Munde lebt: Es muß gesagt werdsn, daß der
Angeklagte in Prenßen cin gehetztes Wild ist,
desien Verfolgcr Alles für sich hat, während
jener, zumal wcnn er verhaftet, gelähmt und
blind, den Angriffen ausgesetzt ist. Und diescs
Jnstitut der StaatSanwaltschast sollten wir noch
svrdern nnd ftärken? Wir sollten die Ruthe
küssen, init der man uns gcschlagcn? M. H.!
Wir haben bci der jctzigen Rcgierung keine AuS-
sicht auf eineAenderung iinlegiSlatorischen Wege,
so muß eS wenigstens nnsere Aufgabe scin, Alles
zu streichcii, was das Znstitut weiter hebt, und
handclt eS fich auch nur uin kleinc Bcträge, so
niüssen wir eS des Princips halber schon thuu.
(Bravo.)— Der Zustizminister: Die Staats-
anwaltschaft hat cin schwcreS Amt und man
solltc sich hüten, so schwere Vorwürfe gcgen
dicselbe zu erheben; ich habe früher wiederholt
Anträgc anf Einleitung einer Untrrsuchung bei
diescm Hause gestcllt, wcnn dasielbc bclcidigt
war; dicsclben sind zurückgcwiejcn, weil das
Hans sich übcr die Angrisie erhaben hielt. Da
daS konstante Praxis geworden (Widcrspruch),
so habe ich später keinc Anträg« mehr gestellt.
Dcr Angcklagtc ist in Prcußen kein gehctztes
Wild, er wird gleich zu Anfange der Unter-
suchung vcrhört, weiß also, um waS es flch
gegen ihn handelt. Zch muß gegcn die er-
hobencn Vorwürfe protcstircii. (Gelächtcr.) —
Präsident Grabow: Der Justizminister hat
nur einmal einen Antrag bei dem Präsidium
auf Untersnchuug wegcn Beleidigung deS Hau-
ses gesiellt, auf diesen ist allcrdings nicht ein-
gegangen, weil dcr bctrcffende Angriff — dcs
Witzblattes „der kleine Rcaktionär", das dic
Mitglicder dcs HauseS als Schufte bezeichuet
hattc — ein zn clendcr «ar, als daß er Be-
achtung verdicnte. Zn keinem Falle ist sonst
vom Minister cin Antrag gestcllt, und ich weise
dahcr desscn Aeußcrung, daß cs Praxis deS Hauscs
sei, dieAnklage abzulehnen, als nnwahrznrück.—
Abgeordnetcr von Hennig citirt einzelne Bei-
spielc, namentlich einen Fall aus dem Polen-
prvcesse, un> darzuthnn, wic cS mit der Praxis
dcr Staatsanwaltschast gehalten werde; cr
schließt mit dciu AuSruse: Das Volk trauert
über dcn Vcrsall seincr Zustiz! — Abgcordnc-
tcrTwcsten: Meine Herren, die GerichtShöfe,
auf welche ich Jhre Aufmerksamkeit jetzt mehr,
als auf die Staatsanwaltschaft lenken will, die
Preußischen Gerichtshöfe, wurden früher von
der Tribüne nicht genannt, weil man die Ab-
straction, die Lhcorie sesthielt, daß dic legiSla-

tive Gewalt in die rechtsprcchende sich nicht ein-
mischen sollc. Diese Theorie ist jetzt aufgege-
ben. Wcnn eine Zllnston, wic'ich sic ange-
deutet habe, den offenbaren Mißbräuchen gegen-
über festgehalten wird, so wird sie zur Heu-
chclei. Die Wendungen, wic, „Es gibt ein
Kammergericht in Berlin", „Die trcfflichcn
preußischen Richter" und dergleichen, haben
ihren Werth verloreN. Als der Znstizminister
Simons sein Amt nicdergelegt hatte, sagte ein
anderer chcmaliger Minister von ihm: die un-
verzeihlichste seincr Sünden sci die, daß er
systematisch das Obertribunal korrunipirt habe.
(Hört!) M. H.! Der jetzige Jusiizminister dchnt
diefes System auch aus andere EcrichtShvfe aus.
(Sehr wahrl) Er setzt dic Gerichtshöfe seinen
Zntcntionen gemäß zusainmen, cr besördcrt
die ihm Dienlichen, setzt andere zurück. Das
weiß daS ganze Land, und wer aus loyaler
Scheu es nicht öffentlich ansspricht, der sagt es
doch unter vier Augen. „DaS Ober-Tribunal,
sagt dcr Rcdncr, soll keinen Unterschied machen,
wo daS Gesetz keinen machc. Za meine Herren,
aber der Richter soll auch keinen Blödsinn
sprechen! (Bravol) Ein englischcr Oberrichter
hat gesagt: Der gesundc Menschenvcrstand ist
das oberstc Gesetz. Ein Spruch in Mecklcn-
burg aber sagt: Hier fängt der gesunde Men-
schenverstand an, hier hört das Rvstocker Stadt-
rechtauf. Meine Herren, ich befürchte, daß bei
unS der Spruch austauchen wird: Hier hört
der gesunde Alenschenverstand auf, hier fängt
das Obertribunal an!" (Lebhafter Beifall.
Große Heiterkeit). Der Redner kritisirt weiter
die Urtheile, welche wegen Erregung von Haß
gegen dic Feudalen ergangen, sogar wegen
eines gegen einen politifchen Artikel im AmtS-
blatte gerichteten Angriffs, indem man diesen
Artikcl als Anordnung und Einrichtung der
Obrigkeit ausgegcben. (Gelächter). Er rcsu-
mirt, daß das'Bestreben allgcmcin darauf ge-
richtet sei, mit Hilfc der Gcrichtshöfe jede Oppo-
sition zum Schweigen zu briugen. Sodann
vergleicht er die in Frankreich crgangenen Slraf-
llrtheile in Preßsachcn mit den in Preußen er-
gangcnen. Während dort 24 VerwarnMigen,
4 SuSpensationcn auf 2 Monatc und 40
Straferkenntnisse gegen Zeitungcn im Jahre
1864 crgangcn, feic» in Berlin allein in dcr-
sclben Zeit 175 Strasnrtheile gefällt. (Hört!)
Er bespricht dann denkckannten Fall dcr Be-
lcidigung dcs Gumbinner Magistrats durch die
Norddeutschc allgcmxine Zeituiig. — Jm weite-
ren Verlans dcr Nedc wird der Polcnproceß,
dieDisciplinarprozesse, dic B-fördcrung-n, welche
den Richtcrn, dic in d-n Stellvertrctungspro-
cessen zu Gunsten des FiScuS gcurtheilt haben,
zu Theil geworden u. s. w., eiuer scharfen
Kritik untcrworfen. Dic Rcdc macht unge-
hcure Scnsation.

Kiel, 16. Mai. Dcr für das Recht des
Herzogs Friedrich »on Angustenburg unermüd-
lich thätige hannövcrische Regierungsrath Warn-
stedt veröffcntlicht soebcn eine sehr ausführliche
Denkschrist gegen dic preußischen und olden-
bnrgischcn Erbansprüche aus Schleswig-Holstein.

Frankreich

Paris, 16. Mai. Der „Monitenr" gibt
den Entschluß der Regierung zu erkennen, daß
sic nicht ferner die Südstaaten Nordaiucrika's
als Kriegsührende anerkennen wolle. Das
Blatt sagt nämlich: Dic Regierung dcs SidcnS,
ihrer Hauptstadt beraubt und auSeinanderge-
jagt, scheint außer Stand, dcn Krieg fortzu-
setzcn. Demnach HStte die von den Seemächten
beobachtete Neutralität kcinen Grund mehr. Es
ist ibrigens zu erwarten, daß die südstaatlichen
Fahrzcuge, welche noch in L>ce haltcn, nicht
zögern, zn entwaffnen, wenn fic die wahre
Sachlage erfahren wcrden.
 
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