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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

DOI Kapitel:
Nr. 25 - Nr. 33 (2. September - 30. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43805#0109
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den 9. „Sertenber 1868.

I. Johrg-

Erſcheint mitemoh und Samſiag Preis Wnonalich 12 kr.
uind ber den Trägern

Einzelne Nummer à 2 kr.
R bei ven Landboten und Poſtanſtalten.

Man abonnirt in der Drucereh, Untereſr. 0

.—
— —

W

20 Iun Zachtauſe *
i¹ Erzählung aus'der Wirklichkeit von W. Wauer.
„GSortſetzung. 0 ö

23 „Fau Najorin, Sie hätten Gott zu danken,“ rief
Norrmann mit ſcharfem, bezüglichem Tone, „wenn un-

ſere Familie keine⸗ andere Beſchimpfung⸗ als dieſe er-

fahren hätte!“
Dieſe Worte mußten nach allen. Seiten hin ge-

wirkt haben, denn die drei anderen Perſonen erbleich⸗ ö

ten. Die Majorin faßte ſich zuerſt wieder.
„Geh, geh, Abſcheulicher!“ rief e
Dich mehr ſehen!ꝰ
5½% Nein, nein, Mitterchen!“ bat Michael er ſchrocen,
Nicht dieſe Worte! Ich bitte Sie um Alles!

„Laſſen Sie mich, Schwächling, der Sie ſind!

rief jene im höchſten Zorn. Curt aber ſprach mit ſanf-
tem Ton zu dem Fürſten: 9267

„Beunruhigen Sie ſich nicht um meinetwillen! ö
Es wirdomir nicht. Aſchwer⸗ auseiner Familie Zu ſchei-

den, die nur ehrgeizige Pläne, doch nie die geringſte
Liebe an mich geknüpft!
Er verbeugte ſich und wollte gehen, Demidoff, aber
eilte ihm nach, ſtellte ſich mit dem Rücken gegen die
FThür, vergriff. beide Hände des Oberinſpektors und bat
ihn, zu bleiben. Im ſelben Augenblick öffnete ſich dieſe

Thür; ein Polizeibeamter, gefolgt von mehreren Ser-
geanten, trat herein und legte ſeine Hand auf die

Schulter des Fürſten.
ö „Michael Michailowitſch, ½. ſprach er mit ſcharfem,
lautem Ton, „ich verhafte Sie! Sie ſind angeklagt:
der Anmaßung falſcher Titel, der Urkundenfälſchung
und des Betrugs.“ “,
Miichael ſtieß einen durchdringenden Schrei aus,
er ſtürzleyor Norrmann nieder und umklammerte, wie
um Schutz flehend, deſſen Knie, ſank aber gleich darauf
ohnmächtig hin. Alle ſtanden erſtarrt vor dieſem furcht-
bar Unerwarteten, Ungeahnten.
Curt gewann ſeine Faſſung zuerſt wieder. Mit
unendlich ſchmerzlichein Blick hob er den Lebloſen auf
und wollte ihn auf das Sopha legen; doch die Malorin
rief mit entſetzlicher Härte
„Fort! hinaus mit dem Ungeheuer!“
„Lina, willſt auch Du ihn hinaus ſtoßen?“ wandte
ſich Curt an Roſaline.
„Gewiß! Gewiß!“ rieh ſie mit faſt tonloſer Stimme.
„Fort mit dem Betrüger!“ ö

„Nie will ich ö

Da wandte ſich Curt, ohne ein Wort zu verlieren,
mit ſeiner Bürde zur Thür, winkte den Poliziſten, zu
folgen und trug den Unglücklichen hinab in den Wagen,
Ba n für immer hinaus rubrte aus der Welt Dn
G ücks. ö ö

2. —— *
Schon im erſten Verhör geſtand Michael Alles,
weſſen er angeklagt war, und alle ſeine Schuld war
nur aus der leidenſchaftlichen. Liebe zu Roſaline; ent-
ſprungen.
Michailowitſch war der Sohn eines reichen. Kauf-
manns in Petersburg; er hatte eine ſehr ſorgſame-
Erziehung erhalten und der Vater ſandte ihn, als die-
ſelbe vollendet war, hinaus in die Welt, damit er
ſeine Ausbildung vollende. Freilich that er dies nicht
ohne Beſ ſorgniß, denn der unendlich liebenswür-
dige, aber eben ſo ſchwache Charakter Michael's war
nur zu ſehr geeignet, denſeben mit Gefahren zu be-
drohen. Leider gingen dieſe Vefürchtungen in⸗Erfüllung,
wenn auch der Vater ſo glücklich war, dieſe Kataſtrophe
nicht zu erleben. Die Mutter war bereits ebenfalls
verſtorben, und ſo beſaß Michael wenigſtens Niemand,
den ſeine ſchmachvolle Strafe mit entehrt hätte. 6
hatte Roſaline auf der Bühne ein anderen Stadt,
ſie Gaſtrollen gab, geſehen und ſich mit dem ganzen
Feuer ſeines Temperaments in ſie verliebt. Er ſtrebte
in ihre Nähe zu kommen, allein man ſagte ihm, er
möge ſich nicht unnütz bemühen, denn die Mutter der
Schauſpielerin habe wiederholt erklärt, daß ſie ihre
Tochter nur an einen Fürſten oder Grafen vermähle.
Ein langer, fruchtloſer Kampf in Michael's Herzen en-
dete damit, daß er der angebeteten Schauſpielerin nach-
reiſte, und in der Reſidenz, wo ſie engagirt war, ſich
als Fürſt Michael Demidoff bei ihr einführte. Natür-
lich bedurfte er, um ſich als ſolcher vor den Behörden
auszuweiſen, der Legitinotionepaviere, und er war
alſo gezwungen, ſich dieſelben ſelber anzufertigen. Fer-
ner brauchte er ſowohl zur Repräſentation eines Für-
ſten, als zu den ſehr koſtſpieligen Geſchenken für Ro-
ſaline und ihre Mutter große Summen, und da die
Zinſen ſeines eigenen Vermögens, ſo bedeutend ſie auch
immer ſein mochten, hiezu bei weitem nicht ausreichten,
das Vermögen ſelbſt aber nicht aus Rußland heraus
durfte, ſo hatte er ſowohl für entnommene Koſtbarkei-
ten, als auch durch Aufnahme baaren Geldes eine ge-
waltige Schuldenlaſt auf ſich gehäuft, die er jedoch nach

und nach von den Zinſen ſeines eigenen Vermögens
 
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