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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

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Nr. 25 - Nr. 33 (2. September - 30. September)
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V

zu decen gedachte. ö
gemäß vor dem Richter ausgeſagt und ſein weiches ein-
ſchmeichelndes Weſen, ſein tiefer Schmerz hätten, ver-

eint mit ſeiner wirklich idealen Schönheit, ſelbſt die
Den-
noch wurde er nach dem Buchſtaben des Geſetzes, als

Herzen dieſer trockenen Aktenmenſchen gerührt.

der Anmäßung falſcher Titel, Urkundenfälſchung und
des Betrugs ſchuldig erklärt und zu mehrjaͤhriger Zucht-
beustrafe verurtheilt.—

Weiche Mühe hatte ſich Cürt von Norrmann ge-
geben, den Unglücklichen vor dieſer gräßlichen Strafe

zu ſchützen und dahin zu wirken, daß er mind ſtens
nur zur Gefängnißhaft verurtheilt werde; allein es
war Alles vergeblich geweſen, denn an der Spitze des
Gerichtes ſtand der Präſident von Norrmann, der auf-

geſtachelt von der Majorin und aus Haß gegen Curt,

wegen deſſen ihm immer anſtößigen, freimüthigen Be-
nehmens und wegen ſeiner ſtandeswidrigen Verlobung

mit Johanna Moller, den armen Michael, wenn er es

gekonnt hätte, zum Tode verurtheilt haben würde. Und
welche Wohlthat wäre dies geweſen, gegen das Schick-
ſal, welches ihm jetzt bevorſtand!!
So war denn Michael Michailowitſch an einem
Nachmittage von der Reſidenz nach dem einige Meile
davon entfernten S... hinüber geführt und im Zucht-
hauſe abgeliefert worden. Der Direktor von Jerſowich

war in der Kanzlei zugegen, wohin man den Ankömm-

geführt hatte, und er empfing denſelben mit den Wor-
ten: „Run Michlailowitſch, welch' eine Verwandlung
iſt mit Dir vorgegangen, ſeit wir uns zum letzten Male
ſahen! Ja, ja, Hochmuth kommt vor dem Fall! In-
deß hier iſt der Ort, wo jeglicher Hochmuth zum Falle
kommt und mir wollen dahin wirken, Dir den Deini-
gen um Gotteswillen auszutreiben, denn der Herr will
nicht den Tod des Sünders, doch wohl ſeine Beſtra-
füng. Zu dieſer gab er uns die Mittel an die Hand
und wir wollen ſe zu Ehre des Herrn gebrauchen!“
Der Unglückliche ſtand mit geſenktem Haupte und
die vollen, dunklen Locken fielen über ſein todtenſtarres
Geſicht; es war zweifelhaft, ob er die höhniſche An-
ſprache gehört hatte oder nicht.

Hand auf die Schulter.
„Na, nimm Dich zuſammen mein Junge, 5 ſagte
er. „Was man ſich eingebrockt hat, muß man auch
den Muth haben auszueſſen. Was nützt das Verzwei-
feln! Getragen muß es doch ſein!“
„Man bringe den Hausanzug für den Sträfling!“
rief der Direktor in dieſe gutmüthigen Worten mit
ſchneidendem Tone hinein.
ſpektor Curt von Norrmann? Warum entzieht er ſich

ſeiner Pflicht, hier zugegen zu ſein? Man hole ihn!“

Bei der Nennung des Oberinſpektors ging ein
krampfhaftes Zucken durch Michael's ganzen Körper
und ein teufliches Grinſen der Freude zeigte ſich in
„den ſchlaffen Zügen Jerſowich's. Der S räflingsanzug
aus grauer Jacke und Beinkleid beſtehend, wurde ge-
ö bracht und der Direktor rief dem Gefangenen zu:

„Nun entkleide Dich Deiner Hoheit! In dem An-

Der Hausvater Mol-
ler, ein derber, doch gutmüthiger Mann legte ihm die

„Und wo iſt der Oberin-

Dies Alles hatte er der Wahrhei 6
wird's bald? Ei, man wird ihm wohl auf fühlbar
Weiſe Gehorſam“ beibringen müſſen“ Als Fürſt hat

zugk wirſt Du wohl keine Erorberungen

er nur béfehlen, nicht gehorchen gelernt; doch wenn er
nur erſt einmal den Stock des Profoßen geſchmeckt hat,
wird' 's ſchon beſſer gehen mit der Folgſamkeit“
Bei dieſen Worten zitterte der Arme wie Espen-

laub an allen Gliedern.

„O nein, nein, Herr!“ ſtammelte er. „Ich bitte!

Ich will ju —“

Eben trat der Oberinſpektor vor, der ſchon bei
den Worten des Direktors eingetreten war. Als Mi-
chael ihn erhlickte, ſank er ohnmächtig nieder. Der
betg fuhr den ſehr bleich ausſehenden Norrmann
eftig an.
„Warum ſind ſie nicht hier, wie es ihre Funktion
iſt? Iſt Ihnen wohl zu ſchmerzlich, Ihren Er⸗ Lonſin
zu begrüßen?“
FVHerr, ich verbitte mir alle Perſönlichkeiten k⸗
ſagte Curt mit eiſiger Ruhe und einer Stimme von
Erz. „Sie haben ein Recht, mir mein Ausbleiben zu
nicht. doch meine Empfindungen kümmern Sie
nicht
„Wohl kümmern ſie mich,“ entgegnete Jerſowich
zornig, „wenn ich mich deshalb — dem widerſpänſti-
gen Kerl befaſſen muß. Seh'n Sie doch 'mal, ob er
Ihnen beſſer gehorcht als mir; ich konnte ihn nicht
zum Umkleiden bewegen.“—
Unterdeſſen hatten der anweſende Inſpektor und
der Hausvater den Ohnmächtigen wieder zum Bewußt-
ſein gebracht. Norrmann trat zu ihm.
„Kleide Dich um, Michailowitſch!“ ſagte dieſer mit
gebietendem, doch nicht hartem Ton. 1.
V„Ja, Herr!“ entgegneter dieſer und ſeine Stimme
klang ſo weich und' ſchmeicheln, daß ſogar die beiden
rauhen Männer eine Rührung überkam. Sie halfen
ihm, der mit ſeinen zitternden Handen wenig thun
konnte. 5
„Nun ja, er braucht noch immer Kammerdiener! 2
lachte der Direktor höhniſch. „Na, Hausvater, Sie
können ihn nur alle Morgen anziehen, den feinen Herrn!“
„Wird's ſchon lernen!“ meinte⸗ Dieſer⸗ guthmüthig
„Iſt nur noch ſo voll Schreck und Angſt. Wird wohl
ruhiger und gefaßter werden. “
„Werd' ich mir auch ausbitten müſſen. Wiedener,
bringen Sie ihn hinüber in den Arbeitsſaal, daß er
heut noch die Arbeit lernt und morgen früh Hleith daran
gehen kann.““ 3⁴
Als er fortgehen wollte verbeugte ſich Micha 2.
„Die Verbeugungen kannſt Du Dir erſparen,
ſagte Jerſowich verächtlich „Wir ſind hier nicht im
Salon, ſondern im Zuchthauſe, und Du biſt ein. Ge-
ſchöpf, das ſich durch Nichts Hemrertwar machen darf,
ſelbſt nicht durch Höflichkeit.“
Der Inſpektor entfernte ſich mit dem Gefangenen.
Draußen lehnte ſich dieſer an die Wand.
„O Herr Inſpektor,“ bat er, „ich kann nicht wei-
ter! Haben Sie einen Augenblick Geduld mit mir!“
„Ja, Michailowitſch, aber faſſe Muth! Es hilft
 
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