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Heidelberger Volksblatt (2) — 1869

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Nr. 2 - Nr. 9 (6. Januar - 30. Januar)
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— 100.

eben nicht gefördert habe.
liche Pauſe.
Anna, aus dem Fenſter ſchauend, unterbrach die-
ſelbe. „Was giebt es denn nur heute? Was laufen
die Leute ſo? Da Knaben mit Körben und Netzen
und Männer mit Flinten und Jagdtaſchen! Ach, unſer
Freund, Tante! Herr Thomſen. was iſt heute?“
„Möwenpriis!“ Ein junger Menſch, deſſen Aeu-
ßeres den Schüler verrieth, blieb am Fenſter ſtehen.
Tief neigte er ſich vor Hilda. Seine Augen mit der
innigſten Bewunderung an ihr hängend, waren die
einzigen Dolmetſcher ſeiner Empfindungen. Befangen
wie die meiſten jungen Leute ſeines Alters dem erſten
Wetande der Verehrung gegenüber, fand er kein
ort.
Sein Benehmen und ſein Schweigen ſchien ihr je-

doch nicht zu mißfallen, wenigſtens ſchaute ſie ihn nicht“

unfreundlich an. Auch daß ſie in der letzten Zeit faſt
beſtändig am Fenſter ſaß, welchen Grund konnte das
HU— haben, als ſeine häufigen Promenaden hier vor-
über?

Anna hatte ſich, an dem lebhaften Geſpräch der
Andern theilnehmend, dem Innern des Zimmers zu-

gewandt. Hilda fand gleichfalls kein Wort. Endlich ſagte
ſie leiſe, mit glühenden Wangen und niedergeſchlagenen
Augen: „Die Straße iſt heute ſo belebt. Es könnte
Ihnen gemißdeutet werden, ſähe man Sie hier bei uns
verweilen“
wollte lebhaft erwiedern, ohne Zweifel, daß er
bereit ſei, der ganzen Welt Trotz zu bieten. Allein zu·
fällig war ſein Blick an ihr vorüber geſtreift, auf den
Magiſter gefallen, der im Hintergrund des Zimmers
ſtand und ihn zornig anſtarrte. „Wann ſehe ich Sie?“
flüſterte er, nur für ſie hörbar.
Sie blickte ihn ſchalkhaft an. „Warum haben Sie
nicht etwas Laub von der alten Eiche im Thiergarten
an die Mütze geſteckt?“
Sein aufleuchtendes Auge dankte für den Wink.
Wieder neigte er ſich tief, rief Anna ein Abſchiedswort
zu und entfernte ſich mtt raſchem Schritt, als eben
Uleſen an's Fenſter trat.
„Heute iſt Möwenpriis. So viel habe ich gehört
von dieſem Volksfeſt, daß ich es anſehen will und die
Herrſchaften erſuche, mit zu kommen.“ Der Magiſter
ſprach es, als Thomſen eben auf die Frage der Klei-
nen antwortete.
Helenens Haltung hatte darauf gedeutet, ſie ſei ent-
ö ſchloſſen, ruhig, ſogar heiter zu erſcheinen, dem Gaſt
freundlicher zu begegnen als ſonſt. Jetzt vermochte ſie
dieſen Vorſatz nicht feſtzuhalten. Ihre Lippen zitter-
ten heftiger und erbleichend wandte ſie ſich ab. „Zum
Möwenpriis!“ Vor ihrem Geiſte ſchien eine Scene

der Vergangenheit zu ſtehen, als ſie das Wort wieder-

holte. Wie der Gegenwart entrückt, ſtarrte ſie vor
ſich nieder.

„Mit zum Möwenpriis! Da ſind ja nur Männer

und „Knaben ſagte die Mutter, als ich im vergangenen

Jahr auch dabei ſein wollte!“ rief Anna. Die Ihri⸗-
gen ſahen ſonſt niemals Gäſte bei ſich, lebten ganz

Wieder eutſtand eine pein-

hat mir genug davon erzählt.

iſolirt, ſie war alſo daran gewöhnt, ſi. ſets mbefan-
gen in dis Unterhaltung zu miſchen.

„Ihr ſollt auch nicht auf den Möwenberg kommen, ö
nur aus dem Boote zuſehen.“
„Ich will aber nicht zuſehen, wie die armen Thiere
umgebracht werden! Trientje, als ſie noch hier war,
Es iſt ganz ſHrecklich
und Mutter und Tante wollen das auch nicht mit an-
ſehen. Adieu, Freund Thomſen, adieu! Es galt dem

Abſchiedswort⸗ des jungen Mannes.

„Schweig mit Deinem Geſchnack!“ fuhr der Vater
auf. „Du bleibſt übrigens zu Hauſe und läßt Dir

von der Großmutter eine Geſchichte erzählen.“

„Wärſt Einem ja doch nur überall im Wege.“ Der
Magiſter ſprach es nicht aus, es ſtand jedoch leſerlich
auf ſeinem Geſicht, verdrängte die Frage, welche er

nach den Beziehungen des jungen Mannes an Hilda

richten wollte.
„Nach dem Möwenpriis fahren wir nach Haddeby
hinüber. Hörſt Du, Hilda?“ Ihr Schwager hielt es
für nöthig, ſie aus ihrem Nachdenken zu wecken.
„Wer, ich? Denke gar nicht daran! Da werden
heute gewiß Viele ſein.“
Der Magiſter neigte ſich zu ihr.
ein hübſch einſames Plätzchen.“
Schnippiſch zog ſie die Oberlippe auf.
ſuche mir das lieber allein!“
. blickte zu Ellſtädt hinüber, winkte ihm gebi te-
ri
Ellſtädt ſtieß ſeine Frau an. „Ihr ſeid Beide von
der Partie, oder —“ Seine Stimme erſtarb im Flü-
ſterton.
Gewaltſam raffte Helene ſich zuſammen. „Ja, Hilda,
ich denke, wir fahren einmal hinaus.““
Verwundert ſchaute Hilda auf; ſie traute ihren
Ohren nicht. „Thue Du ſes, ich habe keine Luſt dazu!“
Wieder ſtieß Ellſtädt ſeine Frau an.
„Ich bitte Dich, komme mit, Hilda. So allein macht
es mir kein Vergnügen —“ Sie konnte nicht weiter.
„Ich werde mitkommen, Mutter!“ erbot ſich Anna.
„Wenn ſie die Möwen umbringen, brauche ich ja nicht
hinzuſehen.“
Hilda machte keine Einwendung mehr. Sie ſchüt-
telte nur das Köpfchen über dieſen Einfall der Schwe-
ſter und legte ihre Arbeit zuſammen.
VAber bitte — es iſt ſchon ſpät!“ drängte der

„Wir ſuchen uns

„Dankez N

Magiſter.

Wie elend er aus-
Die Kleine

„Ach, der arme alte Mann!
ſieht! Dem möchte ich etwas ſchenken!“
ſprach es gleichzeitig mit ihm. ö
Hilda umfing ſie nach einem Blick auf den Alten,
der draußen vorüber ſchlich. „Still, Anna, das iſt ja
kein Bettler!“
Auch die Andern hatten die Augen auf das Fenſter
gerichtet. Ellſtädt wandte die ſeinen ſcheu ab, Helene
ſprang auf.
Uleſen trat zum Fenſter, ſchaute ihm nach. „Iſt

das nicht der verrückte Apothekex, der nichteher nach-
gab, bis er ein Bettler war, und

ſelbſt da noch nicht?
 
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