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Heidelberger Volksblatt (2) — 1869

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Nr. 2 - Nr. 9 (6. Januar - 30. Januar)
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„Wenn nech der kleinſte Reſt jener Leidenſchaft
übrig blieb, die Du für⸗ mich empfunden haben willſt,

dann erſülle mir eine Bitte.“ Ihre Stimme bebte ſo
ſehr, daß ſie inne halten mußte. Zärtlich ihre Hand
erfaſſend, hatte er ſie angeſchaut. *
„Oder vielmehr zwei und doch nur eine einzige.“
„Habe ich Dir jemals widerſtehen können? Was
iſt's?“ ö
Unwillig ſchaute ſie auf und doch mit einer Bei-
miſchung von Schrecken, ja von Angſt. Allein ſie be-
zwang ſich. „In eine zuſau men gefaßt lautet meine
Bitte: Laß Uleſen; mache Dich frei von ſeinem un-
ſeligen Einfluß, der mir ganz unerklärlich iſt.“
Er blickte ſie an, als habe er vergeſſen, daß es
einen Uleſen in der Welt gebe.
Ihr wurde immer beklommener
hörte es an dem ſcherzhaften Ton, den ſie anſchlug.
„Soll ich's aber in zwei Geſuche formuliren? Erſtens:
gibt die Idee auf, Hilda dieſem Menſchen zu überlie-
fern. Zweitens ſtelle mir mein Schreiben zurück.'d
„Dein Schreiben? Welches Schreiben, Helene?“
Er wollte den -Arm um ſie ſchlingen. Mit einem Blick
auf die belebte Umgebung wich ſie zurück.
Er ließ den Arm ſinken, ſein Geſicht verfinſterte
ſich. Der alte Milberg ſtieg eben in der Nähe an's
Land, ohne das Paar zu bemerken. Helene wechſelte
die Farbe und wandte raſch den Kopf ab. ö
„Das Schreiben aus Deiner Bruſttaſche,“ ſetzte ſie
dann das Geſpräch fort.

Mechaniſch zog er das Papier heraus, entfaltete es
gghaon ſn
Miene,
Sie bereute lebhaft, jetzt hier öffentlich dävon ange-

WAHICHN ich der Ausdruck ſeiner
Wahtehend verändert ſich der Ausdruck ſein

. ett hier öftenn8nſtüge fiel.

fangen zu habenz ihr Blick, ihre Miene verriethen es.
Doch ſpiegelte ſich darin auch der Entſchluß, nun es

einmal geſchehen, das Aeußerſte zu wagen.

Als ſei dies Blatt völlig ſeinem Gedächtniß ent-
ſchwunden geweſen, als käme deſſen Inhalt ihm nun
erſt wieder zum Bewußtſein, ſo zornig flammte er auf.
Es ſchien, der genoſſene Rum mache erſt jetzt ſeine
Wirkung geltend. Daß ſie nicht allein, nicht daheim
ſeien, mochte er völlig vergeſſen haben. In nächſter
Nähe befand ſich zwar Niemand, allein ſein auffälliges

Benehmen mußte doch Aufmerkſamkeit erregen. Mit
gewaltſamer Anſtrengung ihren Schrecken, ihre Angſt
niederzwingend, ſagte ſie in eiskaltem Ton:

„Wahrlich, eine allerliebſte Augenweide für die
ganze Stadt! Wie gefällig von Dir gegen die Leute,
Ihnen öffentlich den beſten Beweis zu liefern, daß ſie
Recht haben, mich, uns Alle wegen der Verbindung

mit Dir zu verachten.“

Er biß ſich auf die Lippen, daß ſie bluteten, warf
jedoch einen raſchen, unſichern Blick auf die Menge in
den Booten, die auf dem Waſſer kreuzten, auf die
Leute, welche am Strande nach der Möwenbrut ſuchten.
Sie benutzte den Moment. Ihm mit einer raſchen
Bewegung das Papier entreißend, ſtreckte ſie die Hand
damit über den Rand des Fahrzeugs
in's Waſſer.

zu Muth, man

und tauchte ſie

Außer ſich, wie ſeiner Sinne nicht mächtig ſtürzte
er ſich auf ſie. Ihre Auge funkelten ihn jedoch mit
ſolcher Entſchloſſenheit an, daß er ſtutzte und innehielt.
„Ich rufe um Hilfe, ſchreie Mord! Man wird ohne-
hin glauben, Du wollteſt mich erwürgen.“ ö
Betroffen ließ er von ihr ab und ſtand zaudernd.
„Gieb das Blatt, oder —!“ Seine wuthflammenden

Blicke enthielten die furchtbarſte Drohung. Dieſe machte

ſie jedoch nicht irre. Vielmehr ſagte ſie herausfor-
dernd: „Werſe mich immerhin über Bord! Freilich iſt
es hier nicht tief genug zum Eririnken; warte bis wir
auf weniger flachem Grunde find, um den unnützen
Ballaſt, der ich bin, loszuwerden. Es wäre „Möwen-
priis“ und —“ ö
Zähnekniſchend war er auf den Sitz zurückgetau-
melt. Jetzt zuckte ein halb höhniſches, halb grimmi-
ges Lächeln um ſeine Lippen. „Wäre freilich nicht das
erſte Mal, daß Du beim Möwenpriis naß würdeſt.
Zweifle aber, ob ſich wie damals ein ſo liebenswürdi-
ger und lieber Lebensretter fände.“
Tödtliche Bläſſe überzog ihr Geſicht. Auf den zit-
ternden Lippen ſchwebte eine Antwort; nur ein tiefer
Athemzug hob die Bruſt. ö
„Haſt in der That Urſache zu ſeufzen!“ höhnte er.
„Und ſollſt dazu noch mehr erhalten. Denn dieſe Hin-
terliſt vergebe ich Dir nicht.“
Das Blatt war in Fetzen zergangen. Achtſam hatte
Helene jedem derſelben nachgeſchaut, wie er ſich zwi-
ſchen dem Schilf verlor. Dann ſagte ſie ſanft: „Wa-
rum nennſt Du das Hinterliſt? Ich ſetzte mich, wie
ich's vermochte, wieder in Beſitz meines Eigenthums,
das Du eben in nicht ehrenhafter Weiſe erlangteſt.
Deiernigem Nachveuken wirſt Du das natürlich finden,
mir derüber nicht zürnen.“
„Du bauteſt darauf, daß ich jedes Aufſehen zu mei-
den ſuche. Aber Du ſollſt Dich ſehr verrechnet haben;
dieſe Unverſchämtheit ſoll Dir und ihm nichts helfen.
Ich kann ja auch ſo mit Uleſen davon reden. Was
haſt Du alſo gewonnen?“ —
„Daß dieſe Zeilen einem Menſchen, den ich ver-
achte, nicht als Gegenſtand des Geſpöttes dienen.“
Er lachte zornig auf. „Freilich, Dir ſind ſie ein
Heiligthum, eine Reliquie.“
Ein Achſelzucken war ihre Antwort. Auch er ver-
ſtummte. Das krampfhafte Zucken ſeiner Züge ver-
ſhin er dadurch, daß er die Hände vor das Geſicht
lug. ö
Aengſtlich ſchreiend und dicht aneinander gedrängt
ſchwebten über der Inſel große Vogelſchwärme. Der
Lärm drunten ſcheuchte ſie nicht von dannen. Nur
wenn ein Schuß nach ihnen fiel, flatterten ſie ausein-
ander, um ſich doch ſchon im nächſten Augenblicke wie-
der zu vereinigen. Jetzt folgten raſch mehrere Schüſſe,
ſo ſtoben ſie zwar weit fort, bald aber wendeten ein-
zelne, kehrten zurück, umkreiſten zuerſt aus der Ferne
ihren lärmerfüllten Brutplatz und dann immer näher,
immer enger; allmählig kamen die andern auch zurück,
in Geſellſchaft, haufenweiſe, und nach kurzer Zeit ſchon
hingen ſie wieder in dichten Schwärmen über dem
 
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