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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 1 - Nr. 8 (4. Januar - 28. Januar)
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Vollsblatt.

Samſtag, den 14. Januar 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſcag.

Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4

und bei den Trägern Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Der Adoptivvater.
Novelle von Emerentius Seävola.

(Fortſetzung.)

Wie betäubt ſtarrte Blottmer ihr nach; plötzlich trat
das Blut ſtärker in ſeine Wangen; ein kräftiger Ent-
ſchluß blitzte aus ſeinen Augen; er breitete eine Ser-
viette auf ein kleines Tiſchchen aus, ſetzte Schüſſeln und
Teller darauf und trug es vor das Bett des Kranken
hin. „Wir leiſten Ihnen Beide Geſellſchaft, lieber Va-
ter!“ ſagte er mit eherbietigem, doch feſtem Tone, und
wandte ſich, Stühle an den Tiſch rückend, zu Gotthol-
den: „Liebe Gottholde, nimm Platz!“
Gottholde ſah ihn ängſtlich an; er zog ſie an ſeine
Seite nieder und legte ihr vor. Noch betroffener, aber
ebenfalls ſchweigend, blickte der Papa zu ihm hinüber.
„Hat er was gemerkt? iſt er eifetſüchtig? will er mich
bewachen? — Lieber Himmel, wenn ich doch einen Rath
wüßte, den Jungen los zu werden!“ Das waren die
Gedanken, welche den Kreislauf in ſeinem Kopf hielten,
bis der Bediente abgetragen hatte, und Blottmer mit
den Worten: „Lieber Vater, Sie werden müde ſein,“
an ſein Bett trat. „Ich bin es auch, uud werde da-
her nicht auf die Jagd gehen, ſondern in der Nähe blei-
ben und dem Bedienten den Auftrag geben, mich zu ru-
fen, wenn Sie meiner bedürfen ſollten. Komm', Gott-

holde!“ Er faßte ihre Hand und zog ſie mit ſich hinaus.

Cs mochte lange währen, ehe die gelähmte Zunge
des alten Mannes beweglich wurde und ihm geſtattete,
das Zuſammenſchlagen ſeiner Hände mit den Worten
zu begleiten: „Herr Jeſus, was iſt aus dem Jungen
geworden? — Bin ich Herr im Hauſe oder iſt er's?
— Zieht ab mit ihr vor meinen ſichtlichen Augen und
heißt mich müde ſein, wenn ich die größte Luſt habe,
zu wachen? — Toch warte, ich will Dir zeigen; Du

mußt mir ebenſo leicht wieder ans dem Hauſe, als Du

hereingekommen biſt. — Aber wie bekomm' ich ihn hi-
naus? — Wer ſteht mir dafür, daß er geht, wenn ich
ihn wegjage, oder daß er ſie nicht mitnimmt gegen ih-
ren Willen? — Ach, du lieber Himmel, wer nummt mir
den Jungen ab? Wären wir doch in Rußland; da wär'

er zu brauchen jetzt gegen die Perſer oder in Kaukaſien terwegs ſein. In ſechs Tagen alſo heißt's Adieu, junger

gegen die wilden Lesghier! — Was? wieder Zeitungen?

ſteht's noch einmal d'rinn?“ fuhr er den Bedienten an,
der die eben angekommenen neueſten Zeitungen und ne-

ben dieſen einen Brief ihm auf die Decke legte. Er
griff nach dieſem, erbrach ihn und las: Liegnitz, den 19.
Januar. Sein Entſender war Zeiſer, der Rector, und
der Anfang des Briefes folgender: „Ich komme geſtern

hier an, und erfaͤhre, daß Sie ſich mit der jüngſten Toch-⸗

ter des Herrn Gneſe vermählt haben. Meine Befrem-
dung, die unter allen Umſtänden groß ſein würde über
Ihr Beginnen, wird um ſo mehr vergrößert, als ich
weiß, daß der hunge Blottmer, deſſen Verhältniß zu
Gottholden Ihnen genau bekannt iſt, erſt kurz zuvor,
ehe Sie dieſe Verbindung ſchloſſen, von Ihnen als Sohn
aufgenommen worden var Es muß — etwas Anderes
iſt nicht möglich, Ihre beiderſeitige Trennung erfolgt
ſein, und wahrſcheinlich hat Ihr Eniſchluß, Gottholden
die Hand zu reichen, die Entfernung des jungen Blott-
mer von Ihnen veranlaßt. Iſt dies der Fall, ſo bitte
ich Sie dringend, mir den Aufenthalt des unglücklichen
Jünglings mitzutheilen; ich kann ihm gegenwärtig eine
Beſchäftigung nachweiſen, deren er im hohen Grad be-
dürftig ſein muß. Der Baron Rewitſch iſt todtkrank
von Berlin zurückgekommen, und ſucht Blottmer, damit
er ſein angefangenes und auf Ihren Antrieb abgebro-
chenes Geſchäft vollende, nämlich ſeine in Verwirrung
gerathenen Papiere und Rechnungen ordne.“
„Kann ihn haben, kann ihn haben!“ ſchrie der Pa-

tient freudig, und rief nach Schreibwerkzeug, um den

Brief auf der Stelle zu beantworten. Er ſchrieb dem
Rector, daß er in blindem Vertrauen auf Blottmer's
Rechtlichteit das Wageſtück unternommen. Gottholden,
die ſein Herz gefeſſelt habe, als Gattiu in ſein Haus
zu führen, ohne zuvor den jungen Menſchen aus dem⸗-
ſelben zu entfernen, der, wie er ſich jetzt überzeuge, ſein
höusliches Glück in hohem Grade gefährde. Er werde
es dankbar anerkennen, wenn der Freund ſeinen An-
trag unmittelbar an den Jüngling ſelber richten und
dieſen veranlaſſen wolle, ſein vormaliges Verhältniß im
Hauſe des Baron Rewitſch wieder anzuknüpfen.
„So!“ murmelte er, den Brief faltend und ſiegelnd.
„So, nun werd' ich Dir die Wege ſchon weiſen, Du Na-
ſeweis, Du Tagedieb! Da ſchlägt's ſchon vier Uhr und
er ſchläft noch; — hm, wenn er nur ſchliefe; aber —
nur Geduld; ein paar Tage noch; zrei Tage braucht
mein Brief Zeit, um hinzukommen, zwei Tage will ich
zur Antwort einräumen, und zwei Tage wird dieſe un⸗—

Herr; und bis dahin iſt auch mein Genick wieder ge-
ſchmeidig und die Perrücke iſt da und die Uniform. —
Heda, Du“ — der Bediente trat näher — „dieſen Brief
 
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