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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 1 - Nr. 8 (4. Januar - 28. Januar)
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form ſtatt der rothen ſchicken, und den Degen ohne

Portepeel“
„Hier iſt ja das Portepee, liebes Väterchen,“ ſagte
Gottholde mit ſanfter, ſchmeichelnder Stimme, indem
ſie die reiche Goldguaſte aus einem Papier wickelte
und ſie an den Degen befeſtigte. „Und wenn Sie un-
zufrieden mit der Farbe des Rockes ſind, ſo müſſen
Sie mich ſchelten; ich bin Schuld daran; ich habe die
blaue Uniform beſtellt; auf der rothen würde ja Ihr
Orden und das Ordensband gar nicht zu ſehen ſein;
roth auf roth; wie ſähe das aus? — Nicht wahr, Vä-
terchen, Sie ſind jetzt zufrieden mit dem blauen Rocke
und ſchelten unſern Anton nicht mehr?“
„Nein, nein, ich ſchelt' ihn nicht mehr,“ fiel der

Alte ein. „Aber hier, mein Weibchen,“ er trippelte an

ſeinen Secretär und kehrte mit dem Annenkreuz zurück.
„Hier iſt der Orden, und hier das neue Band dazu;
ſchleife es mir doch ein;ich möchte gern ſehen, wie es
ſich ausnehmen wird auf der blauen Uniform.“
Gottholde nahm Kreuz und Band, eilte in ihr Zim-
mer, ſuchte ein Fädchen rother Seide heraus, fädelte
lange, ehe fie, gehindert von ihren naſſen Augen, das
Nadelöhr traf, und nähte nun das Band an den Ring
feſt. Aber nie war ihr eine Arbeit völliger mißglückt
wie dieſe, denn nie war ihr das Auge verdunkelter ge-
weſen, als unter den Thränen, die ſie jetzt weinte.
„Wohin nun mit Anton?“ frug ſie ſich, mit einem
Blicke voll Haß auf die freche Wittwe, die ihre Hand
begehrlich ausſtreckte nach ihm, und einen zweiten Blick,
faſt eben ſo bitter, als den erſten, auf den thörichten

Greis werfend der, ausgerüſtet mit göttlicher Segens-

macht, ſich ſelbſt verteufelte, um ihr das Leben zur
Hölle zu machen, ſchlug ſie noch ängſtlicher die Hände
zuſammen und jammerte: „Gott im Himmel, wie ſoll
das enden? — Wo ſoll ich Geduld hernehmen, das zu
ertragen, ſo lange Anton hier iſt? und wie ſoll ich es
ihm verbergen, daß ich es ertrage?“
Bis zu dem Augenblicke, als das Getobe des Alten
verſtummt war vor Gottholdens ſanfterer, einem Ge-
koſe ähnlicher Widerrede, hatte Blottmer bewegungslos
unter dem Fenſter geſtanden; jetzt, als er Gottholden
mit ihrer ſüßen, ſchmeichelnden Stimme flüſtern und
von der Entgegnung ſeines verächtlichen Nebenbuhlers
nichts als das Wort: mein Weibchen, verſtand, jetzt
fuhr er auf: „Ich will die Mitgift nicht, die auf ſolch'
einem Wege erworben wird, und das will ich ihr ſa-
gen auf der Stelle!“ Er ſtürzte zurück in das Haus,
blieb aber von einem nnerwarteten Anblick geſeſſelt ſte-
hen auf der Schwelle des Wohnzimmers.
ö (Fortſetzung folgt.)

Die Taubenpoſt.

Dem „Moniteur univerſel“ eulnehmen wir hier-
über Folgendes: ö ö
Das Syſtem beſtand darin, in Tours alle aus der
Provinz geſendeten Telegramme zu centraliſiren, ohne

etwos an ihrer gewöhnlichen Form zu ändern, ſie dann
zuſammenzudrängen, indem man ſie in der Art typo-
graphirte, daß man daraus gewiſſermaßen die Spalten
eines Journals bildete, ſie ferner unter Reduction
ihrer Fläche auf den möglichſt geringſten Maßſtab zu
photographiren, und endlich dieſe Photographien durch
Tauben nach Paris an die Central-Poſtverwaltung zu
ſenden, welche damit betraut war, den Inhalt photo-

graphiſch vergrößert auf telegraͤphiſchem Wege an ſeine
„Beſtimmungsorte in der Stadt weiter zu ſenden. Das

Syſtem iſt am 8. November eingeführt und am 14.
November hat die Verwaltung die erſte Nummer die-
ſer Art eines telegraphiſch-photographiſchen Journals
in ſehr kleinen Schriftzeichen empfangen, welches zu
leſen nur den Gebrauch einer ſtarken Loupe erfordert.
Bei Mame in Tours, deſſen bedeutende Geräthſchaften
allein für ein ſo ausgedehntes Werk ausreichen konn-—
ten, wurden die Bogen zuſammengeſetzt, deren Photo-
graphie ſogleich verſandt wurde. Die erſte Nummer
von 12 Centimetern in Qnadratfläche enthält 226
Depeſchen aus allen Gegenden Frankreichs und des
Auslandes. Eben ſo leicht als die Beſorgung einge⸗—
richtet wurde, bedurfte auch das Publkum nur der An-—
weiſung, was es zu thun hatte, um dieſe kleine Zahl
von Depeſchen möglichſt auszunutzen. Mehre Familien
in derſelben Stadt, welche Verwandte und Freunde in
Paris hatten, vereinigten ſich aus freien Stücken und
ſandten Geſammtelegramme, in der Art, daß 250 De-
peſchen in Wirklichkeit Nachrichten von mehr als 1000
Familien brachten. Die gewöhnliche typographiſche
Zuſammenſtellung wird auf dem Wege der Photogra-
phie mikroskopiſch reducirt, ſo daß ſie ein kleines Pa-
pierquardtblättchen von 30—40 Millimeter ausfüllt,
welches zuſammengerollt in eine Federpoſe verborgen
wird, die man mit 3 Faden der Länge nach an eine
Schwanzfeder der betreffenden Brieftaube bindet. Dies
kleine Blättchen, mit einer ſtarken Loupe kaum les-
bar, hat das Aeußere eines Journals mit 4 Spalten.
Diejenige zur linken Seite enthält die Worte: „Dienſt
der Brieftaubenpoſt. Steenackers (Generalpoſt- und
Telegraphen-Director) an Merchandier 103, rue de
Grenelle.“ Die drei anderen Spalten enthalten den
Wortlaut der Depeſchen, eine nach der anderen ohne
Weiß noch Zwiſchenreihen, Alles auf der Vorderfeite;
auf der Kehrſeite bleibt die mit der Steenackers'ſchen
Adreſſe correſpondirende Spalte weiß, die drei ande-
ren Spalten ſind voll Depeſchen, wie die auf der Vor-
derſeite. ö
Die in Paris am 25. November 4 Uhr mit der
Nachricht von der Wiedernahme von Orleans einge-
troffenen 226 Depeſchen waren in 4 Stunden Zeit ver-
größert und umgeſetzt und um 11 Uhr Abends an
ihren Beſtimmungsorten.
Mit der Loupe, deren man ſich bedient, kommen
die Buchſtaben auf die Größe der Buchſtaben heraus,
welche man ſich zu den Minuskelanzeigen der „Times“
bedient. ö ö
 
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