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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 17 - Nr. 25 (1. März - 29. März)
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Nr. 17.

Mittwoch, den 1. März 1871.

4. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiffgaſſe 4

und ber den Trägern Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Des Freundes Sohn.
Etn Familiegemälde von Karl Haniſch.
(Fortſetzung.)

Stiller beſah es von allen Seiten: eine unbekannte
Hand, ein unbekanntes Petſchaft und kein Poſtzeichen.
Er erbrach kopfſchüttelnd das räthſelhafte Papier und
las: Erſtaunen, Schreck malten ſich auf ſeinem Geſichte
über den Inhalt; er rieb die Augen, ob er recht geſe-
hen habe, er las es noch einmal, und unwillkührlich
rief er aus: Iſt das möglich? ö
Es iſt wahrhaftig ſo! antwortete Schappler aus
dem Laden, der eben in der Nähe des kleinen Comp-
hate. etwas zu thun und den Ausruf gehört
atte. x
Was wiſſen Sie? was iſt wahrhaftig ſo? fragte
Stiller überraſcht. ö
Schappler bekräftigte, daß das Schreiben wirklich
auf ſolche Art überbracht und der unbekannte Bote,
ohne Red' und Antwort zu geben, ſich ſogleich davon
gemacht habe. ö

Stiller hätte über das Mißverſtändniß gelacht, wenn,

es ihm nicht ſo verzweifelt ernſt zu Muthe geweſen
wäre.
tete dann wieder das Schreiben, und als Margarethe
eintrat, um zu verkündigen, daß das Frühſtück aufge-
tragen ſei, gab er der Tochter den Befehl, ihm ſeine

Er rannte ihm Comptoir auf und ab, betrach-

Taſſe herabzuſchicken und ihn wegen dringeuder Ge⸗—

ſchäfte bei dem Gaſte zu entſchuldigen. ö
Die Hausfran, über das Benehmen des Gatten
verwundert und beſorgt, brachte den Kaffee ſelbſt he-
rab und fragte liebreich: was haſt Du denn ſo Preſ-
ſantes, Väterchen! daß Du nicht kommen kannſt?
„Stiller zog ſie bei Seite und ſagte leiſe: Du haſt
dieſesmal gar nicht unrecht gehabt mit Deinen Bedenk-
lichkeiten, es hat wirklich ein Häckchen mit Samuel,
aber keines, wie Du vermuthet haſt.
Wie ſo? forſchte ängſtlich die Gattin.
Da hab' ich eben ein Schreiben von unbekannter
Hand erhalten, entgegnete Stiller, das mir ſonderba-

ren Aufſchluß über unſern Gaſt giebt. Und nun raunte

er ihr leiſe einige Worte in's Ohr.
Das wäre entſetzlich! rief Frau Stiller.
Still! beſchwichtigte der Gatte — laß vor der Hand
keine Silbe davon über Deine Lippen kommen. Die

gegen Verſtellung!

men, ſtäcke ſie auch noch ſo tief. ö

Pflicht der Freundſchaͤſt und die Klugheit gebieten, daß
wir beobachten, prüfen, forſchen, ehe wir einen entſchei-
denten Schritt thun. Mein Gefühl ſträubt ſich, zu
glauben, was mir hier verſichert wird, aber die Mög-⸗
lichkeit iſt denkbar, denn dieſe Seuche iſt anſteckend,
wie die Cholera. O, wie iſt meine Freude in deu
Brunnen gefallen! Der Sohn eines ſo wackern Vaters,
von einer ſo angenehmen Außenſeite! Es iſt abſcheu-
lich! — Laß uns klug handeln, Mutter! Verſtellung
Wir wollen uns nichts merken
laſſen, bis wir nähere Beweiſe in den Händen haben.
Cs wird uns beiden ſchwer werden, das Verſtellen
mein' ich, aber es iſt nicht anders möglich, auf den
Grund zu kommen. Ach, der arme Vater! der ſelbſt
nichts davon zu ahnen ſcheint. Es ſind verzweifelte
Zeiten. Geh und laß Dir nichts anmerken; ich will
meine Vorkehrungen treffen, hinter die Sache zu kom-

Frau Stiller verließ in großer Unruhe den Gatten,
Herr Stiller rief den alten Ladendiener herein.
Schappler! ſagte er dem Erſcheinenden, Sie ſind
ein Freund und treuer Diener meines Hauſes, an Sie
hab' ich einen Auftrag, den Sie mit aller Umſicht und
Klugheit in's Werk ſetzen werden. Ich rechne dabei
auf Ihre Gabe, die Leute über jede Kleinigkeit aus-
bet. und auf die unverbrüchlichſte Verſchwiegen-
eit. ‚ *
Schappler, durch das Vertrauen des Principals ge-

ehrt, verſprach Alles. ö

Nun, ſagte Stiller, ſo hören Sie: Ich habe Ur-
ſache, mich nach dem Treiben und Thun unſeres Gaſtes
außer meinem Hauſe genau zu erkundigen. Es gilt
einen Scherz, Schappler! verſtehn Sie mich? eine Wette
die ich gern gewinnen möchte. Meine jetzige Stellung
zu Klarens erlaubt mir, das nur durch die dritte Hand
zu thun. Ich dispenſire Sie heute von Ihren Geſchäf-
ten. Gehen Sie, erkundigen Sie ſich nach den Gängen
des jungen Mannes von ſeiner Ankunft an, verſteht
ſich, mit aller Vorſicht und Klugheit; forſchen Sie nach
ſeinen Bekanntſchaften, die er bereits gemacht, nach
feinen Neigungen, kurz, nach Allem, was mir Aufſchluß

über ſeine Art zu denken und zu handeln geben kann.

Beobachten Sie ihn ſelbſt, wo es, ohne ſeine Aufmerk-
ſamkeit zu erregen, möglich iſt, und hinterbringen Sie
mir, was Sie auszukundſchaften Gelegenheit hatten.
Gehen Sie und machen Sie Ihre Sachen klug; was
Sie allenfalls an Auslagen zu tragen haben, will ich
herzlich gern erſetzen. ö
 
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