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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 17 - Nr. 25 (1. März - 29. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44617#0083

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das ungefügig ſich nicht zum Werkzeug gegen England
machte, und welches ſelbſtſtändig Maßnahmen traf, die

mit den Intereſſen Frankreichs nicht zuſammengingen.

Trotz des perſönlichen Einfluſſes, welchen die über-
mächtige Natur Napoleon's auf Alexander früher ge-
übt hatte, war zwiſchen Frankreich und Rußland doch

eine ſtarke Erkältung eingetreten, wie ſie dem völligen-

Bruch vorausgeh. Die Schuld daran trug weſeutlich
Napoleon. Er hatte zunächſt ſich um die Hand einer
Großſürſtin beworben, und bei verzögerter Entſcheidung
ſich ohne Weiteres an Oeſtreich gewandt. Er hatte mit

der ihm eigenen Rückſichtsloſigkeit das Land des Her-

zogs von Oldenburg, eines der nächſten Verwandten
des ruſſiſchen Karſerhauſes, eingezogen und erregte durch
eine trügeriſche Begünſtigung Polens, durch die Ver-
größerung des Herzogthums Warſchau, bei Alexander
lebhaſte Befürchtungen. Der erſte, entſcheidende Schritt,
durch den ſich Rußland der franzöſiſchen Allianz ent-

zog und Eugland näherte, war am Schluß des Jah-
res 1810, die Verkündigung eines neuen Zolltarifs.“

Die großen Verluſte, welche das ruſſiſche Reich in Folge
der napoleéoniſchen Handelsſperre erlitten hatte, recht-

fertigten freilich dieſe Wendung durchaus. Nichtsdeſto-

weniger traf der Tarif mit ſeinen ſtrengen Schutzzoll-⸗
maßregeln Frankreich in ſehr empfindlicher Weife.
In beiden Monarchen befeſtigte ſich mehr und mehr
der Gedanke des unvermeidlichen Krieges. Als am 24
März 1811 das oberſte Handelskollegium Napoleon zur
Geburt ſeines Thronerben beglückwünſchte, brach er in
die denkwürdigen Worte aus: „Ich habe in Tilſit Frie-
den geſchloſſen, weil mir der Kaiſer Alexander im Frie-
den verſprochen hat, gemeinſame Sache gegen England
zu machen; ohne dies Verſprechen wäre ich bis Riga,
Moskau nud Petersburg vorgegangen. Wäre ich nur

König von Frankreich, ſo würde ich es machen wien

Ludwig der Vierzehnte und der Fünfzehnte. Aber ich
bin Kaiſer des Kontinents. Das Feſtland bleibt Enz-
land verſchloſſen; ich werde von Kopf bis zu Fuße ge-
rüſtet bleiben, um meinen Dekreten in der Oſtſee Gel-
tung zu verſchaffen.“

Auch Rußland rüſtete, wenngleich in ungenügender

Weiſe, und verſicherte ſich der Freundſchaft Schwedens;
dagegen nahm es die Annäherung Preußens nur kühl
und unentſchloſſen auf, ſo daß dem letztern als letzte
Reitung vor dem Untergange keine Wahl blieb, als in
einem Schutz- und Trutzbündniß mit Franukreich ſich die-
ſem völlig hinzugeben. Imt Januar 1812 war bei Na-

poleon der Krieg gegen Rußland feſt beſchloſſen, und

Ende Inni erfolgte der Einmarſch in das ruſſiſche Reich
an der Spitze von 610,000 Mann.
„Auf jener Politik beruhend,“ ſagt der franzöſiſche

General Charras in ſeiner Geſchichte des Krieges von.

1813, „welche kein anderes Recht, als das der Gewalt

anerkannte, und keinen andern Grund, als den Chr.

geiz eines Mannes hatte, leichtfertig berechnet, kurz-—
ſichtig begonnen, läſſig fortgeführt, dabei aber mit ver-
meſſenem Starrſinn verfolgt ung zögernd aufgegeben,
hat der gegen Rußland unternommene Krieg in einem
Verderben ohne Gleichen geendigt.“

Am 23. Juni war Napoleon in Wilna eingetrof-
fen, wo Verſchanzungen angelegt und polniſche Regi-
menter gebildet wurden. ö ö
Allein das langerſehnte Wort, durch welches die
Wiederherſtellung Polens ausgeſprochen werden ſollte,
erklang auch jetzt nicht von der Lippe eines eigennützi-
gen Herrſchers, und hier wie ſpäter, ganz ſo beim
Neffen wie beim Oheim, hätte das kindlich leichtgläu-
bige Volk Polens ſehr wohl Gelegenheit gehabt, ſich
über den Wetth der franzöſiſchen Freundſchaft zu ent-

täuſchen. ö
uſch (Schluß folgt.)

Beſtimmung des Menſchen.

Was ſucht des Herzens innerſtes Gefühl? *
Was iſt der Liebe ſelbſterkor'nes Ziel? —
Was will das Glüh'n, das meine Bruſt entflammeꝛ?
Der Muth, der von dem Geiſt der Geiſter ſtammt ?
Noch weißt Du s nicht, doch ahnend ſpricht
Dein Geiſt, dein Herz: — Es werde Licht!

Der Puls, der ſich mit Jugendkraft bewegt,
Das Blut, das ſich wie Meereswogen regt,
Die inn're Kraft, die frei nach außen ſtrebt, —
Was iſt das Ziel, dem ſie entgegen lebt? —
Fragſt du den Geiſt: „Kennſt du es nichts?
Er ſagt dir's laut: Es werde Licht!

Ruht denn die Sonne nach des Tages Müh'n?
Iſt Abendroth ihr letztes Liebesglüh'n?
Am jungen Morgen kehrt ſie, neu verklärt,
Vahin zurück, wo ſich ihr Strahl bewährt.
Auch dir werd' eine gleiche Pflicht;
Friſch auf zur That: — Es werde Licht!

Wo's gilt, im Streit für Wahrheit und für Recht,
Wo ſeine Ketten fühlt ein Menſchenknecht;
Wo noch die Nacht mit ſchweren Träumen weilt
Und ſich des Kummers Wolke nicht zertheilt,
Da greife ein und zög're nicht,
Sprich durch die That: — Es werde Licht!

Wo ſich der Keim des Menſchlichen enthüllt
Und hoch empor im Frühlingsmonde ſchwillt,
Da muß ein Stab, da muß ein Gärtner ſein,
Sonſt ſinkt die Bluthe in ſich ſelbſt hinein;
Da iſt zu ſtützen deine Pflicht:
Erfülle ſie. — Und es wird Licht!

Noch iſt die Menſchheit lange nicht am Ziel,
An der „Vollendung“, Freunde, fehlt noch viel!
Auf daß „Vernunft“ beherrſch' das Erdenrund,
Die Menſchheit bilde einen Bruderbund,
Auf daß durch „Wahrheit“ Alle werden frei,
Das Leben ſchön, die Menſchheit glücklich ſei,
Erfüllt die heil'ge Menſchenpflicht,
Sprecht durch die That: — Es werde Licht!“
 
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