Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

DOI Kapitel:
Nr. 87 - Nr. 95 (1. November - 29. November)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44617#0366
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
364

Dich mit Zweifeln, ich leſe es in dem düſteren Blick
Deines Auges! Sage mir, was Dich quält? Vielleicht
kann eine Frau, die beſſer das Herz eines Weibes
kennt, als Du, Deine Furcht und Deine Zweifel zer⸗—
ſtreuen.“
Er drückte ſie an ſich und lange ſaßen die Geſchwi-
ſter im eifrigen Geſpräch; es war ſchon ſpät in der
Nacht, als die Baronin ihren Bruder verließ. Als ſie
ging, war die Trauer aus ſeinem Herzen gewichen, ihre
milden herzlichen Worte hatten ſeine Hoffnungen auf's
Neue belebt, und getröſtet und muthig ſah er dem
Kommeuden entgegen. ö

XI.

In der Kaſtanienſtraße, in einem der einfacheeen

Häuſer, welche zu beiden Seiten die Straße ſchmücken,
wohnte Signora Cavalieri. Doch nicht, wie vor der
Wohnung anderer Sängerinnen, wechſelten ſich Equi-
pagen und Droſchken vor der Thür ab, um beſternte
und unbeſternte Herren herauszulaſſen, Signora Cava-
lieri empfing keinen Herrenbeſuch aüßer dem der näch-
ſten Bekannten oder Vorgeſetzten in ihrer Wohnung.
Auch heute herrſchte noch vollſtändige Ruhe und Stille
in der Bel⸗Etage, die die Sängerin mit ihrer Schwe-
ſter und ihrer kleinen Tochter bewohnte. Gegen elf
Uhr rollte indeſſen eine glänzende Equipage mit Jäger
und Bedientem auf dem Hinterſitze heran und hielt vor
dem Hauſe, das die Sängerin bewohnte. Ein Herr
und eine Dame ſaßen in derſelben. Der Jäger ſprang
von ſeinem Sitze und zog die Glocke zum Portier, die
Dame ſtieg aus, der Herr blieb in dem Wagen und
fuhr nach kurzem Gruße an die Dame davon. Dieſe
trat langſam in das Haus und ſchritt nachdenklich die
breite Treppe hinauf.
leichte Schritte vernehmen. Ein kleines, blondgelocktes,
etwa achtjähriges Mädchen öffnete die Thür und ſah
die tief verſchleierte fremde Dame erſtaunt an.
„Iſt Deine Mama zu Hauſe?“ fragte dieſe freund⸗—
lich das Kind, ihm die blonden Locken ſtreichend.
„Bitte, treten Sie näher,“ ſagte die Kleine knixend,
„Mama iſt zu Hauſe.“ ö
Sie öffnete eine Flügelthür; nachdem ſie die Dame
hineingeführt, ſprang fie flüchtig davon.
Als ſie allein war, ſchlug die Dame den Schleier
zurück und betrachtete aufmerkſam die reiche, geſchmack-
volle Einrichtung. Es war nicht der Flitterkram und
die Ueberlaͤdenheit da, mit der ſich wohl die Künſt⸗—
lerinnen zu umgeben lieben. Ein feiner, gebildeter
Geſchmack ſprach aus Allem, was ſie ſah. ö
Die Thür öffnete ſich und in einfachem braunem“
Seidenkleide trat ihr die Signora entgegen. Sie ging,
ſich artig verneigend, auf die Dame zu. Doch plötzlich
erbleichte ſie und blieb betroffen und augenſcheinlich
erſchreckt ſtehen. Die Dame war ruhig ſtehen geblie-
ben und ſprach kein Wort, nur ihre Augen ruhten ernſt
und forſchend auf der Sängerin. Dieſe faßte ſich in-

Auf ihr Klingeln ließen ſich

deſſen bald und auf die Dame zuſchreitend, ergriff ſie
deren Hand und drückte ſie an die Lippen. ö
„Excellenz,“ ſagte ſie leiſe, „Sie beſchämen mich wahr-
haft, daß Sie mich mit Ihrem Beſuch beehren. Es hätte
meine erſte Pflicht ſein ſollen, mich nach dem Befinden
Ihrer Excellenz zu erkundigen und meiner Wohlthäte-
rin zu danken. ö
Die Baronin lächelte freundlich.
„Meine liebe Frau Reuter,“ ſagte ſie. „Nicht wahr,
ich darf Sie doch bei Ihrem alten Namen nennen? Ich
habe Sie geſtern zu meiner großen Ueberraſchung als
Signora Cavalieri geſehen und gehört, und da ich
glaubte, Sie könnten in dem Drange der Geſchäfte, die
Ihnen Ihr Beruf jedenfalls auferlegt, das Kommen zu
mir vergeſſen, ſo habe ich Sie aufgeſucht.“
Frau Neuter verneigte ſich tief und dankend und
bat die Baronin, auf dem Divan Platz zu nehmen;
ſie ſelbſt ſetzte ſich in einen Fauteuil ihr gegenüber.
Für einen Augenblick trat eine verlegene Pauſe ein.
Frau Reuter war befangen und die Baronin ſchien, in
Gedanken verſunken, vergeſſen zu haben, wo ſie ſich be-
fand. Endlich wandte ſie ſich zu Frau Reuter und herz-
lich ihre Hand ergreifend, ſagte ſie freundlich:
„Verzeihen Sie, liebe Freundin, daß ich nicht gleich
mich in die neuen Verhältniſſe, in denen Sie leben,
finden kann, es bedarf einer Sammlung, um die Sig-
nora Cavalieri mit Frau Reuter in meiner Erinnerung
zu vereinigen. Laſſen Sie mich aber zuerſt Ihnen auf-
richtig Glück wünſchen, daß Sie den Entſchluß gefaßt
haben, Ihre ſchöne Stimme geltend zu machen. Wir
ſprachen ſchon früher davon, aber Sie wollten damals
durchaus nichts davon wiſſen.“ ö
„Damals, Excellenz,“ begann Frau Renter, „hatte
ich die Schen vor dem öffentlichen Auftreten noch nicht
überwunden, auch wollte ich nicht das edle, oufopfe-
rungsvolle Anerbieten meiner Schweſter, zu meiner
Ausbildung ihr kleines Vermögen hinzugeben, anneh-
men, da ich Hoffnung hatte, auf eine andere Weiſe mir
mein Brod zu erwerben, und der Erfolg der Ausbil-
dung meiner Stimme doch immer ein gewagter ſchien.
Die Nothwendigkeit und das Scheitern meiner Hoff-
nungen hatte mich ſpäter dennoch dazu gezwungen.“
„So konnten Sie kein paſſenderes Engagement fin-
den, als das in dem Hauſe meines Bruders, das Sie
ſo raſch wieder verließen?“ fragte die Baronin, for-
ſchend in das Antlitz der Künſtlerin blickend.
Eine tiefe Röthe bedeckte bei der Nennung dieſes
Namens die Wangen der jungen Frau.
„Excellenz,“ ſagte ſie dann etwas bitter, „ich habe
dort es erkennen gelernt, daß in meinen Jahren und
Verhältniſſen eine unabhängige Stellung, und mag ſie
auch noch ſo viel gegen ſich haben, immer der Ab-⸗
hängigkeit vorzuziehen iſt; deshalb habe ich kein ähn-
liches Engagement mehr geſucht.“
(Schluß. folgt.)
 
Annotationen