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Heidelberger Volksblatt (4) — 1871

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Nr. 96 - Nr. 104 (2. Dezember - 30. Dezember)
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zen, das ihn drückte und er beſorgte, es ungeſchickt her-
auszubringen. „Nun denn, um kurz zu ſagen, was ich
will, ich habe da ein Kapital von mehreren Tauſend
Thalern, das ich nicht gern zu all' dem andern noch in
meinen Trödel ſtecken möchte! Es trägt zu wenig Zin-
ſen, wenn ich die theure Miethe in Anſchlag bringe.
Drum wollt' ich's lieber verſuchsweiſe in die Hand ei-
nes tüchtigen ehrlichen Mannes legen, der es in ſeiner
Weiſe zum Geſchäft benutzen könnte. Und Sie, Herr
Frank, Sie ſind der Mann, wie ich ihn brauche; ich
bitte, zählen Sie, es ſind viertauſend Thaler, nicht
mehr, nicht weniger. Sie werden mir, als Ihrem al-
ten Nachbar, die Bitte nicht abſchlagen, mein bischen
Geld bei Ihnen anlegen zu dürfen.“
Der Händler zog sein Packet aus der Taſche und
wollte es haſtig, als ob er damit ſelber eine ſchwere
Laſt von ſeinem Herzen wälze, Frank in die Hand
drücken. Schmerzlich bewegt ſah dieſer zu Boden, al-
lein er rührte ſich nicht, die Summe, die ihn retten
konnte, zu empfangen. „Nein, nein, Burghard, ich darf
Ihr Geld nicht nehmen. Der Grund iſt einfach, weil
Ihr Geld bei mir nicht ſicher ſteht; weil heute Wech-
ſel zu dem nämlichen Betrage fällig ſind, und weil ich,
ſelbſt nach Deckung derſelben, vielleicht nur meine Thä-
tigkeit und meinen ehrlichen Willen hätte, um Sie vor
dem Verluſt zu bewahren.“ — „Sicher, nicht ſicher?“
fuhr Burghard hitzig auf, „was heißt denn ſicher, wenn
mir ein redlicher und tüchtiger Charakter keine Sicher-
heit mehr gewährt? Verluſte kann Jeder haben, al⸗—
lein ein Mann, wie Sie, ſucht das Verlorne wieder
einzubringen, und ganz gewiß, Sie werden es, dafür
bürg' ich mir ſelbſt und Ihnen. Nur friſch den Kopf
in die Höh', hier iſt das Geld, und wenn es gerade
zur Wechſelzahlung zurecht kommt, nun um ſo beſſer,
ſo kommt es gleich ja in's Geſchäft. Mehr will ich
nicht. Im Uebrigen, Herr Frank,“ bemerkte der Händ-
ler mit einem Lächeln, ſo ſchlau, wie man es ſelten
bei ihm ſah — „wenn es verloren ginge, und dieſe

Möglichkeit iſt ja nicht abzuſtreiten, ſo hab immer noch

von der Papierſorte einigen Vorrath und der Verluſt
wär' zu veaſchmerzen.“ ö
„Nun gut, ich nehm' es an,“ rief Frank, „ich nehm'
es für Weib und Kinder, und möge Gott mir beiſte-
hen, dem treuen Helfer in der Noth das Seinige zu
erhalten.“ „Amen und abgemacht!“ ſagte der Händ-
ler. Und was das kleine Geſchäft betrifft, das hübſche
venetianiſche Käſtchen, ſo nehm' ich Ihre abſchlägige
Antwort durchaus nicht für ein letztes Wort. Nur
theuer müſſen Sie das Ding bezahlen, recht theuer,
mein guter Herr Frank, das iſt ſo meine Gewohnheit.“
Die Sände herzlich ſchüttelnd gingen die Männer
von einander, jeder mit einem frohen Bewußtſein —
der eine im Gefühl gerettet zu ſein, dor andere in dem
nicht minder freudigen, geholfen zu haben. O diefer
alte Heuchler, der ſich in aller Stille als ein Gemüths-
menſch entpuppte und doch ſo rauh und borſtig ſein
konnte, wie geſagt, ganz ohne Standesrückſicht! Da
ging der heuchleriſche Menſch in ſeinem Laden auf und
ab und putzte den Staub von den Möbeln und Kunſt-

ſachen. Wer da noch eine Spur von Gefühl in ihm

entdecken konnte, der mußte ſcharfe Augen haben!
Die wochenlangen Sorgen, die auf Frank gelaſtet
hatten, warem mit einem Male von ſeiner Seele ge-
nommen, er richtete ſich wie elaſtiſch empor, leiblich
und geiſtig. Ein wiedergewonnenes Leben erfüllt uns
mit eigenem Wohlgefühl. Man muß am Abgrund ge-
ſtanden haben, um das Behagliche der Sicherheit ganz
und voll zu empfinden. Er warf dem Bilde ſeines
Vaters einen dankharen Blick zu, als ob die Hülfe
ihm von dort vermittelt ſei und jetzt beſchlich ihn auch
das rechte weihnachtliche Bewußtſein, ein wahres Kin-⸗
dergefühl von Seligkeit. Jetzt ſollte Anna ſich nicht
über ſeine Theilnahmloſigkeit mehr beklagen dürfen.
Er wollte Alles prüfen und loben mit Kennerblick, vom
Elephanten bis zum Huhn. Und wie er diesmal mit
eigener Hand den Weihnachtbaum zum Entzücken der
Kinder ausputzen wollte! Kein Joſeph ſollte daran
rühren! Der Menſch war ihm in letzter Zeit ſo wi-
derwärtig geworden, ſo verdächtig, daß er entſchloſſen
war, ihn bei dem erſten begründeten Anlaß aus ſeiner
Umgebung zu entfernen. Wieder erinnerte er ſich des
Traumes und wurde zweifelhaft, ob die Erſcheinung,
die er zwiſchen Schlaf und Wachen gehabt hatte, die
* ů— 115 nicht doch mehr als ein Traumbild gewe-
en ſei.
Während er ſo mit allerhand Gedankenſprüngen
zwiſchen angenehmen und verdrießlichen Erinnerungen
umherirrte und ſich ſchließlich in's Gedächtniß rief, daß
trotz der Großmuth des alten Trödlers doch nur der
Augenblick gewonnen ſei und eine Wetterwolke in Ge-
ſtalt der Phyſiognomie Bergemann's noch am Himmel
hing, ſpielte draußen ein eigenthümlicher Vorgang.
Ein Mann von dürftigem Aeußeren, der aber kei-
neswegs wie ein Bettler ausſah, wenngleich viel Elend
in ſeinen Zügen lag, verlangte Frank zu ſprechen und
wurde wiederholt von Joſeph zurückgewieſen. Eben ſo
hartnäckig beſtand der Fremde auf ſeiner Forderung,
wenigſtens Herrn Frank gemeldet zu werden. „Ich
bin,“ ſagte er, „der Lithograßph Kuno, und wenn Herr
Frank nur meinen Namen hört, ſo weiß ich, daß er
mich vorläßt. Ich ſag' es Ihnen.“ — „Und ich,“ ver-
ſetzte Joſeph mit ſo viel Barſchheit, als er nur auf-
bringen konnte, „ich ſage Ihnen, daß Herr Frank viel
zu beſchäftigt iſt, um heut' oder morgen mit Ihnen
oder Ihres Gleichen zu verkehren. Sie brauchen gar
nicht wieder zu kommen, verſtehen Sie?“ „Ich muß
ihn ſprechen,“ rief der Andere hitzig. „Sie ſind ein
frecher, unverſchämter Menſch, der mich nicht hindern
ſoll, hineinzugehen. Joſeph durchbohrte ihn mit Gift-
blicken, die aber ohne Wirkung blieben und ſtemmte
ſich zuletzt gegen die Thür, von der ihn Kuno zu ver-
drängen ſuchte. Ein unbefangener Zuſchauer hätte das
Benehmen Joſeph's, der dieſen Mann um jeden Preis
von ſeinem Herrn entfernt haben wollte, ſehr auffal-
lend finden müſſen. Da wurde plötzlich die Thür von
innen geöffnet und Beide ſtürzten hinein. „Ah, Sie
ſind es,“ rief Frank, der in dem Lithographen ſeinen
Schützling aus voriger Nacht erkannte. „Was ſoll das
 
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