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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 44 - Nr. 52 (1. Juni - 29. Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44618#0194

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öffnet hatte, erhielt ich nicht, ſpäter aber eine weit beſchei-
denere ohne ihre Vermittelung; ich bezog bedeutend weni-
ger Gehalt als hier. Täglich flehte ich Willa an, endlich
mein Weib zu werden; anfangs hatte ſie kindiſche Aus-
flüchte, endlich erklärte ſie mir, vor Jahr und Tag ſei da-
ran nicht zu denken, ich müſſe erſt eine Stellung haben,
welche uns ein „voll ſtändiges“ Auskommen gewahrte. Da-
mals glaubte ich noch feſt an ihre Treue; ſie hatte eine
Art, Zudringliche abzufertigen, welche mich immer auf's
Neue überzeugte, daß ſie ehrlich und aufrichtig ſei, wenn
auch rückſichtslos und ſelbſtfüchtig.
Als ich eines Nachmittags vom Comtoir zurückkam,
hatte ſie die Wohnung verlaſſen, doch fand ich ihre Adreſſe
vor. Ich folgte ihr; ſie hatte ein glänzendes Quartier in
der Nähe des Theaters bezogen, eine lange Zimmerreihe,
prächtig ausgeſtattet. Als ich ihr Vorwürfe machte, lachte
ſie mich aus. Von da an begann eine Zeit entjfetzlicher
Qual; ſie wußte mich mit ihren Schmeicheleien immerfort
hinzuhalten, obgleich ich Verdacht geſchöpft hatte und ihr
erklärte, ich werde mich auf ihrer Schwelle erſchießen, ſo-
bald ich merkte, daß ſie mich verrathe. Ich möge zu ihr
kommen, ſo oft ich wollte, ſagte ſie; ach, und ſie hatte noch
ſo viel Zärtlichkeit für mich übrig. Eines Abends war
ich glücklich bei ihr wie in den erſten Zeiten unſeres Ver⸗—
hältniſſes, ſie verſprach mir da noch einmal, daß ſie die
Meine werden wollte und balid — ich glaubte ihr Alles.
Am andern Morgen war ſie fort, entflohen mit dem Ba-
rpn Solt, der ſie ſchon Wochen lang erhielt, ohne daß ich
eine Ahnung von ſeiner Anweſenheit in Wien hatte.
Ich folgte ihnen, bis ich in Ungarn ihre Spur ver-
lor. Dort wurde ich krank; Wochen lang lag ich in et-
ner elenden Schänke und die Wirthin, ein gutherziges Weib,
pflegte mich; um ihres Sohnes willen, ſagte ſie, der einſt
in Deutſchland krank gelegen und freundliche Wartung er-
fahren hatte. Als ich anfing, mich ein wenig zu erholen,
verlaͤngte es mich nach euch; alle Liebe zu Willa und da-
mit auch die Sucht, mich gerächt zu wiſſen, war erloſchen;
es iſt mir da zu Muthe geweſen, als ſei das letzte Jahr,
auf welches ich zurückblickte, gar nicht mein Leben, als
habe es keinen Zuſammenhang mit mir.“
„Es war ein böſer Traum“, ſagte ſeine Mutter. „Gott
ſei Dank, daß Du erwacht biſt und daß wir Dich wieder
haben.“
Richard blickte auf die kummerdurchfurchten Zuge ſei-
ner Mutter und ſchauderte vor dieſem Traume, der mehr
als ein Leben nahezu zerſtört hatte. Aber ſo gealtert und
ſo müde er ſich auch vorkam nach ſeiner Krankheit, die Ju-
gend in ihm verleugnete ſich nicht; ſie half ihm mit ihrer
wunderbaren Heilkraft über Liebes- und Seelenleiden hin-
weg. Und mit der wiederkehrenden Geſundheit kam der

Jugendmuth zurück; er errang ſich von neuem eine Stellung

in ſeiner Vaterſtadt und als er — freilich nach Jahr und
Tag erſt — ſeiner Mutter eine Tochter zuführte, die wie
Frühlingsſonnenſchein das ſo lange ernſte Haus belebte, als
die ſchwer geprüfte Frau endlich ein Enkelkind auf ihrem
Schooße wiegte und Schweſter Dorothee in der Liebe und
Sorge um das kleine Weſen faſt noch einmal jung wurde,
da erſchien allen Dreien jene Zeit der Verirrung Richard's
erſt wirklich wie ein böſer Traum.

Und Willa? Sie blieb verſchollen. Das arme Irr-
licht, welches einſt ſo neckiſch, luſtig und golden flackerte,
wohl, nach Art der Irrlichter, im Sumpfe erloſchen
ſein.

Loſe Blätter.

(Lord Byron als Tiſchgaſt.) Die Freunde der
Dichter Lord Byron und Moore hatten längſt gewünſcht,
daß Beide einander kennen lernen und ſich wo möglich nä-
her treten ſollten, und ſo war denn endlich eine perſönliche
Zuſammenkunft zwiſchen ihnen im Hauſe Mr. Roger's ver-
abredet worden, der die Dichter an einem beſtimmten Tage
zu Tiſche lud und auch Campbell zu der Tafelrunde hin-
zuzog, der ihn zufällig am Morgen des für das Mittags-
eſſen beſtimmten Tages beſuchte und ſich gern willig finden
Iteß, daran Theil zu nehmen.
Roger hielt es für beſſer, Lord Byron, deſſen excentri-
ſches Weſen allgemein bekannt war, zuerſt allein im Sa-
lon zu empfangen; als er gemeldet ward, zogen ſich deß-
halb Campbell und der ebenfalls bereits anweſende Moore
zurück und kamen wieder, als die erſten Vorſtellungen und
Begrüßungen zwiſchen dem Wirth und dem Gaſte vorüber
waren. Roger machte die Herren nun mit einander be-
kannt und man ging zu Tiſche. ö
„Iſt Ihnen Suppe gefällig ?“ fragte Roger ſeine Gäſte.
Lord Byron dankte, er eſſe niemals Suppe.
„Darf ich Ihnen etwas Fiſch anbieten?“ war die
nächſte Frage. Der Dichter des Childe Harold rührte nie
Fiſch an. ö
„Eſſen Sie vielkeicht von dieſem Hammelsbraten?“
Er eſſe kein Hammelfleiſch.
„Erlauben Sie, daß ich Ihnen ein Glas Wein ein-
ſchenke?“ „Ich trinke nie einen Tropfen Wein“, gab By-—
ron unerſchütterlich zurück. —
Jetzt blieb dem Wirthe nichts anderes übrig, als ſich
bei ſeinem ſehr wähleriſchen Gaſte zu erkundigen, was er
denn eigentlich eſſe und trinke, worauf ihm die Mitthei-
lung ward: „Nichts als Sodawaſſer und harte Biscuits.“
Unglücklicherweiſe waren nun weder harte Biscuits noch
Sodawaſſer bei der Hand und Lord Byron's ganzes Mit-
tagseſſen beſtand ſchließlich aus Kartoffeln, die er auf ſei-
nem Teller zerdrückte und mit Eſſig anfeuchtete. Dies be-

einträchtigte ſeine gute Laune indeß durchaus nicht, die
Herren unterhielten ſich ſehr lebhaft, beſonders über Wal-

ter Scott und Joanna Ballie und trennten ſich erſt ſpät.

Mr. Roger erfuhr ſpäter, daß Byron direkt von ſeinem

Hauſe nach einem Club von St. James Street gegangen
und dort ein ganz tüchtiges Abendeſſen zu ſich genommen
habe, und Leute, welche den Dichter genauer kannten, theil⸗—
ten dem ſich verſchmäht glaubenden Gaſtgeber lachend mit,
er ſolle ſich darüber nicht beunruhigen, und künftig nur
gar nicht thun, als ob er derartige Seltſamkeiten an By-
ron bemerkte. Roger folgte dieſem Rath und hatte bald
das Vergnügen, den Dichter mit beſtem Appetit an ſeinem
Tiſch ſpeiſen und auch dem Weine tapfer zuſprechen zu
ſehen.
 
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