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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 79 - Nr. 87 (2. Oktober - 30. Oktober)
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319

herrn, der die Blumen nicht minder liebte, als ſie es
that, mehrere Male in der Woche einen friſchen ſin-
nig geordneten Strauß überreichen konnte, wofür ihr
immer eine herrliche Umarmung zum Lohn wurde.

Auch die ſtolze gnädige Frau erhielt oft Blumen

von Marie. ö

Doch der Dank, den ſie ſie von dieſer für ihre Auf-

merkſamkeit empfing, beſtand nur in einem herablaſſen-
den Kopfnicken, was die Kleine indeſſen ſchon als einen
hohen Beweis von Gunſt anſah, da ſie ſich noch der
Abneigung erinnerte, welche die ſtrenge Dame anfangs
gegen fie gezeigt hatte. ö
Marie, die ſich, wie oben geſagt, in den Garten
begeben, hatte eben Waſſer aus einem an der Seite
des Gartens liegenden Brunnen geſchöpft, und war zu
dem größten ihrer Beete hingetreten, das eine reich-
liche Begießung erheiſchte, da die an dieſem Tage un-
gewöhnlich warm ſcheinende Sonne die Erde ausge-
trocknet hatte. ö
Als ſie ſich niederbückte, um die kleine Gießkanne

in Thätigkeit zu ſetzen, hörte ſie über ſich ein Flat-
tern, das nur von einem groößen Vogel herrühren

konnte.
Sie ſtellte die Gießkanne hin, ſah auf und erblickte
den kleinen, grünen Pagagei, der, wie ſie wußte, der
gefiederte Liebling der gnädigen Frau war und viele
Worte zuſammenhängend ſprechen konnte.
ö (Fortſetzung folgt.)

Ein Blatt aus der Geſchichte des Papier-
geldes.
(Schluß.)

Daß er dieſe Kaſſenſcheine anſtatt aus Lumpen-
papier, das damals vielleicht in Perſien noch nicht all-
gemein im Gebrauche war, aus getrockneten Maulbeer-
blättern fertigte, thut ihnen indeß ſo wenig in ihrem
Werth als Banknoten, als in ihrer Eigenſchaft als Pa-
pier Abbruch. Rach Entwurf dieſes Planes überreichte
Ezzudihn Muzuffer denſelben ſeinem Gebieter und hatte
die Genugthuung, ihn nicht nur angenommen, ſondern
zugleich das Geſetz proklamirt zu ſehen, daß dieſe alſo
bemalten Maulbeerblätter fortan als Geld dienen und
einzig und allein als Bezahlung acceptirt werden, daß
mithin alles edle Metall im Lande gegen dieſe Scheine
bei den königlichen Kaſſen umgetauſcht werden ſollte.
— Und da man im Lande der Despoten keine Scho-
nung kennt, ſo hieß es weiter, daß Derjenige, der noch
anderes Geld in Umlauf fetzte, mit dem Tode beſtraft
werden würde. *
So wurden denn durch ein energiſches Wort ſchnell
die Aſſignaten eingeführt, dieſe Anweiſungen auf einen
Staatsſchatz, der bankerott war; aber fragen wir nicht
weiter nach dem Recht oder Unrecht der neuen Verord-
nung! Der königlichen Noth mußte abgeholfen wer-

den und die Unterthanen mußten gehorchen, und wie
ſollten ſie nicht? Waren ſie nicht da, um dem Staate

zu dienen? ö *
Die Chineſen, bei denen einige Jahre früher ein
gleicher Verſuch gemacht worden war, hatten ſich ein-
müthig geweigert, das Papier, das ein despotiſcher
Wille zu Gold ſtempeln wollte, als ſolches anzuerken-
nen, und an ſolcher Volksweigerung war ſelbſt der
Wille eines Despoten geſcheitert, — die Perſer aber
waren zu ſehr Feiglinge, um einem Geſetze Widerſtand
zu leiſten, hinter dem die Todesſtrafe ſtand, und ſie
trugen all' ihr Gold, ihre Perlen und ihre Juwelen
nach der königlichen Schatzkammer, um dafür das dürre
Blatt einzulöſen. ö —
Das ganze Land beſchränkte ſich mehr oder weni⸗—
ger auf den Tauſchhandel, das glänzende Metall war
wie verſchwunden. Marco Polo, der berühmte vene-
tianiſche Reiſende, der zu jener Zeit auch Perſien in
Begleitung ſeines Vaters beſuchte, erzählt uns, daß er
kein Gold im Lande ſah, ja, ſeine eigene Baarſchaft nicht
ſehen laſſen durfte, wenn ihm ſein Leben lieb war.
Die auf den königlichen Domainen geernteteten Pro-
dukte, die Vorräthe der Caravanſerais wurden ver-
ſchachert, und Marco Polo ſelbſt mußte ſich durch-
ſchachern. ö
Drei Tage lang trieb Ezzudihn Muzuffer ſein Un-
weſen, und Key Khatu genoß drei Tage lang die gol-
denen Früchte der von ihm autoriſirten Maßregel; —
da war das gefahrvolle Hazardſpiel ausgeſpielt.
Das Volk, wenngleich ein Sklavenvolk, hatte wäh-
rend der drei Tage der Erbitterung ſo viel geſammelt,
daß ein Gährungsprozeß ausbrach. Ezzudihn Muzuffer,
der ſcharfſinnige Erfinder der Maulbeerblattbanknoten,
ward ein Opfer der Volkswuth. Es heißt, daß die
wilden Horden, die die Zügel des knechtiſchen Gehor-
ſams plötzlich abſtreiften, ſich auf ihn ſtürzten und ihn
zerriſſen, — ein fürchterliches Beiſpiel der Lynchjuſtiz.
Ungeſtraft kam auch Key Khatu, dem die Aſſigna-
ten ein Gewitter heraufbeſchworen, gleich dem, das ſpä-
ter dem unglücklichen Ludwig XVI. Krone und Leben
koſtete, nicht davdon. ö ö
Die jüngſte Maßregel, die nur zu deutlich zeigte,
wie wenig er ſich um die Intereſſen ſeines Volkes küm-

merte, wie nur der eigene Vortheil die dem Staate

gegebenen Geſetze diktirte, wie er den Handel und den
Gewinn des Landes mit Füßen trat, um nur ferner

ſeiner Verſchwendung zu fröhnen, hatte ihn gänzlich

um die Achtung ſeines Volkes gebracht, und als ſein
Enkel Baidu Chan, die Mißſtimmung benutzend, den
Thron angriff, erhob ſich kein Perſerarm, den bisheri-

gen Beſitzer des Thrones zu ſchützen, Keiner begehrte,
den gewiſſenlofen Verſchwender dem Reiche erhalten zu

ſehen, und Key Khatu fiel nicht nur von der Höhe der
Geſchichte und der Höhe des Lebens: er ſank ſelbſt in's
Grab durch — ein kleines, ſauber präparirtes Maul-
beerblatt. ö ö
 
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