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Nr. 88.

Samſtag „den 1. November 1873.

6. Jahrh.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 1 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt en der Druckerer, Schiffgaſſel
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Zu ſpät
Novelle von Clariſſa Lohde.
(Fortſetzung.) ö

Er hielt dieſe Liebe Paul's zu der Jugendgeſpielin
für eine gute Abwehr gegen die Verſuchungen der Re⸗—
ſidenz — und ſuchte deshalb auch ſtets Paul in dem
Gefühle für ſie zu ſtärken und zu feſtigen. Bodo ſelbſt
ſchätzte die Tiefe des Gefühls und der Empfindung,
die Paul an Käthchen ihm ſtets rühmte, höher als
großes Wiſſen und hohe Bildung. — Was Paul noch
an ihr anders wünſchte, ſchien ihm nichtig gegen das,
was da war, und er glaubte deshalb, daß ſich Alles
ſchon finden würde, wenn auch nicht gerade ſo, wie
Paul es ſich ausmalte und dachte.
Unterdeſſen war der Winter vergangen, die Erde
hatte ihr Sommerkleid angezogen, und Paul, der ſo
ſehr an friſche Luft gewöhnt war, begann ſich aus der
Schwüle der Reſidenz herauszuſehnen. Es zog ihn
mächtig nach der Heimath, zu ſeinem holden Mädchen,
das er ſo lange nicht geſehen, und das er jetzt begrü-
ßen durfte als ein ſchon von den Erſtlings⸗Erfolgen
gekrönter Mann. Der Profeſſor hatte nämlich ſchon
zu Ende des Winters in ſeinen öffentlichen Prüfungen
eine von Paul's Kompoſitionen dufführen laſſen, die
einen achtungswerthen Erfolg erzielt hatte. Sein Name
war nicht mehr unbekannt, er konnte mit dem Bewußt-
ſein, ſchon etwas erreicht zu haben, die Heimath betre-
ten. Endlich waren die Ferien da, Paul maͤchte ſich
reiſefertig — er nahm von Bodo Abſchied, der mit ſei-
ner Mutter gleichfalls eine Erholungsreiſe anzutreten
gedachte. — Bodo war heiter beim Abſchied — man
ſprach von baldigem, frohen Wiederſehen, nachdem man
den Staub der Reſidenz in friſcher Waldesluft ſich ab-
geſchüttelt hatte. Schweigend reichte er Paul noch eine
Karte hin: es war die Anzeige von der Verlobung
Aurelien's von Wild mit dem Rittmeiſter von Plato.
„Wir werden die ſchöne Dame jetzt nicht mehr in
meiner Couſine muſikaliſchen Cirkeln ſehen“, ſagte er
lachend, „die zukünſtige Frau von Plato iſt fortan zu
vornehm für die beſcheidene Bürgerlichkeit im Hauſe
meines Onkels.“ ö
Paul ſtimmte in Sdieſtr
ganz unbefangen wie dieſer
nach den Eroberungsverſuchen,

en ein, doch nicht ſo
daß Aurelie ſo raſch
ie ſie auf ihn gemacht,

Uſich einem Andern zugewandt,

mit Paul zuſammenzutreffen. —

berührte ſeine Eitelkeit
nicht angenehm. ö ö
„Du ſiehſt“, fuhr Bodo fort, „ſie hat ſich eben ſo
leicht über den Verluſt Deines, wie meines Herzens
zu tröſten gewußt. — Der Gemahl, den ſie ſich ge-
wählt, iſt ihrer indeſſen ganz würdig!“
Ein bitteres Lächeln ſpielte bei dieſen Worten um
Bodo's Lippen — dann drückte er Paul an's Herz:
„Lebe wohl, Freund, und grüße mir Dein Mädchen!
Sage ihr, daß ſie Dich beglückend, auch mich glück-
lich macht!“

Siebentes Kapitel.

In dem ſtillen Schulhauſe herrſchte währendem
große Freude und Aufregung. Käthchen hatte am Mor-
gen einen Brief bekommen, der Paul's Ankunft für
den andern Tag anſagte. Geſchäftig eilte ſie im Hauſe
umher, Alles für den Empfang des Geliebten zu be-
reiten. Die hübſcheſten Blumen ihres Gärtchens wur-
den heute geopfert; die Niſche der alten Kirche, wo ſie
Beide ſich das erſte Geſtändniß ihrer Liebe gemacht
hatten, ſollte mit Laub und Guirlanden reich und zier-
lich geſchmückt werden. Käthchen rückte die Gartenbank
vor die Niſche, ſie ſtieg auf dieſelbe und nahm Ham⸗-
mer und Nägel, um die Guirlande an der Mauer zu
befeſtigen. Sie hatte die weiße Schürze hochgeſteckt und
in derſelben lagen ihre Wertzeuge, die Aermel des ein-
fachen Kattunkleides waren zurückgeſtreift, ſie hob den
ſchönen, kräftigen Arm in die Höhe, um ihr Werk zu
beginnen. — Unten von ihr unbemerkt, folgten zwei
Augen mit aufmerkſamer Theilnahme jeder ihrer Be-
wegungen. Es waren die Augen Roberts. Er war
ſeit Käthchen's Verlobung zum erſten Male wieder zum
Beſuch nach dem Vaterhauſe gekommen, um daſelbſt
Lange ruhte ſein
Blick auf Käthchen, eine wehmüthige Freude lag auf
den Zügen ſeines Antlitzes. Wie hatte ſich das Mäd-
chen in dem kurzen Zeitranm eines Jahres ſo wunder-
bar verändert? Aus dem zarten Kinde war eineskräf-
tige Jungfrau geworden, ihre Geſtalt war voller und
höher, ihr lockiges Haar, an den Schläfen zurückgeſtri-
chen, ließ das ſchöne Oval ihres Antlitzes frei hervor-
treten, ihre Züge waren feſter, abgerundeter geworden,
aus ihrem klaren Auge leuchtete Verſtand und Energie
— ihr Mund nur lächelte ſo lieblich und in kindlicher
Unſchuld wie früher. ö
Robert ſchritt leiſe näher, er nahm die Guirlande,
 
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