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Heidelberger Volksblatt (7) — 1874

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Nr. 1 - Nr. 9 (3. Januar - 31. Januar)
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Hand ergriff und ſie innig ans Herz drüdtet „Armes

Kind!“ rief ſie — „ſo jung noch“ — ſie zögerte —
„Und ſo namenlos unglücklich!“ ſetzte Käthchen
leiſe hinzu —
„Nicht ſo unglücklich, als Sie jetzt in Ihrem erſten
Schmerz wähnen!“ entgegnete Jenny mild und richtete

das gebeugte Haupt Käthchen's auf. — „Unglücklich iſt

nur der ſchlechte Menſch.“
Käthchen zuckte zuſammen — ö

„Wer ſo ſchuldlos iſt, wie Sie“, fuhr Jenny fort,
Ihr reines Be-

„kann niemals ganz unglücklich ſein.
wußtſein wird Ihnen Kraft, Ihr edles Selbſt Ihnen
den Muth geben, das Geſchehene zu vergeſſen und
ein neues Glück zu finden, deſſen Sie ſo werth ſind.“
Käthchen ſchüttelte das Haupt —
„Glücklich“, ſagte ſie trübe, „kann ich wohl nim-
mermehr werden. Mein Glück liegt begraben und kein
Sonnenſtrahl kann es wieder erwecken. — Aber Sie
mißverſtehen mich, Fräulein — ah, nicht um meinet-
willen leide ich ſo entſetzliche Qualen — ich werde es
ja tragen, ohne Klage tragen, was mich betrifft; ich
weiß ja, daß edlere und beſſere Menſchen als ich noch
Schrecklicheres und Bitteres haben leiden müſſen, und
ſie ſind nicht verzagt! — Was mich elend macht“,
flüſterte ſie mit gepreßter Stimms und drückte ihr Ge-
ſicht dicht an Jenny's Bruſt — „das iſt nicht mein
zerſtörtes Lebensglück — das iſt der Gedanke an ihn,
an ſeine Zukunft.“ ö
Jenny drückte das Haupt des Mädchens innig an

ſich; aber ſie antwortete nichts, ſie verſtand nur zu

gut, was Käthchen ſo tief bewegte.
/O, ich habe ihn ſo unendlich geliebt!“ fuhr Käth-
chen mit ſchmerzlich zitternder Stimme fort — „er
war das Ideal meiner Jugend, die Freude meines
Lebens!“

„Suchen Sie ihn zu vergeſſen“, erwiederte Jenny,

„er iſt Ihrer Liebe nicht werth!“
Käthchen ſchüttelte das Haupt.
„Vielleicht werde ich einſt aufhören, ihn zu lieben,
aber vergeſſen kann ich ihn nimmer, kann nimmer ru-
hig werden, ſo lange er auf der gefährlichen Bahn
wandelt, die er jetzt betreten hat. — Ach, könnte ich
ihn retten, könnte ich ihn ſich ſelbſt wiedergeben. —
Der Kern ſeines Weſens iſt gut und edel, ich weiß es,
aber Machtlos ſtehe ich dem Geſchick gegenüber — ich
muß ruhig, thatenlos mit anſehen, wie das Liebſte,
was ich auf Erden beſitze, rettunglos dem unausweich-
baren Abgrunde zueilt.“
Und wieder drückte ſie das ſchmerzende Haupt an
die Bruſt Jenny's.
Jenny ſtrich leiſe beruhigend ihr über das volle
Haar. „Geben Sie Ihre Sache Gott anheim“, ſagte
ſie ernſt. „Wo der Menſch machtlos iſt, da tritt hel-
fend und rettend ein Höherer ein. Sie armes Kind
können nichts thun, Sie haben Ihrem Geliebten Alles
gegeben, was Sie ihm geben konnten: ein volles, rei-
nes, liebevolles Herz. Gott hatte ihm in Ihrer Liebe,
Katharina, einen Schutz gegen die Verſuchungen der
at dieſe Liebe mißachtet: mit leich-

.

tein Jügendfinn griff er nach goldenen Früchten, die
äihn zum Genuſſe lockten und er verrieth das treueſte
Herz! Glauben Sie mir, einſt wird er mit tauſend
Thränen an dieſe Jugendliebe zurückdenken, ſie mit
tauſend Schmerzen zurückwünſchen — vielleicht thut er
es jetzt ſchon“ — ö ö
Käthchen blickte ſchmerzlich zu Boden.
„Nein, nein, ich bin gewiß, er thut es nicht,. —
Und wenn er es thäte, ich weiß nicht, ob ich ihn ſo
wieder lieben könnte, wie ich ihn bisher geliebt. Das
reine Bild, das ich von ihm im Herzen trug, iſt be-
fleckt, was ich als Heiligſtes auf dem Altar meines
Herzens gepflegt, liegt jetzt zertrümmert zu meinen
Füßen! Ich habe den Glauben an ihn, an das Gute

Fin der Menſchenbruſt verloren. Das Leben liegt

glanz-⸗ und farblos vor mir und innen iſt's ſo leer, ſo
leer!“
„Armes Mädchen!“ ſeufzte Jenny tfef bewegt.
„Beten Sie zu Gott, daß er Sie den verlorenen Frie-
den wieder ſinden laſſe, ſuchen Sie Kraft zugewinnen,
auf daß Sie das ſchwere Geſchick, das Ihnen aufer-
legt worden, mit Würde zu tragen vermögen. Eines
allein vermag uns über das Erdenleid zu erheben,
Eines allein uns Licht in das Dunkel des Lebens zu
bringen, dies Eine iſt die Erhebung zu Gott! — Flüch-
ten Sie mit Ihrem Schmerz an das Herz deſſen, der
da geſagt hat: Kommt her zu mir Alle, die Ihr müh-
ſelig und beladen ſeid, ich will Euch erquicken. Er
Rind⸗“ Sie erquicken, Sie liebes, hart geprüftes
ind!“ —
Käthchen ſah Jenny voll in das Auge, über ihr
bleiches Antlitz flog ein Zug unendlicher Weichheit, ſie
faßte beide Hände Jenny's, drückte dieſelbe wiederholt

an ihr Herz, und indem ihr bitteres Weh in einem

heißen Thränenſtrom ſich löſte, rief ſie mit energiſchem
Aufſchwung:
„Ich will es, ich will es, Gott helfe mir!“
Während ſo Jenny das Tröſteramt bei dem ar-
men Käthchen ansführte, war Frau Agnes zu dem
Rechtsanwalt gefahren, der mit der Regulirung des
Nachlaſſes ihres Vaters betraut war. Noch hatte ſie
den Namen ihres Vaters nicht erfahren, ſie hatte nicht
gewagt, nach demſelben zu fragen — der Juſtizrath
hatte ihn niemals erwähnt — vielleicht glaubte er ſie
mit demſelben bereits bekannt. Doch heute mußte ihr
unbedingt der Name deſſen genannt werden, dem ſie
das Leben verdankte. Sie fand den Juſtizrath, einen
freundlichen Mann, ihrer bereits harrend.
„Es dürfte Ihnen vielleicht nicht bekannt ſein“, be-
gann er, „daß eine Klauſel im Teſtament ihres Herrn
Vaters beſtimmt hat, daß Sie die Ihnen ausgeſetzte
Summe im Beiſein der beiden von Ihrem Herrn Va-
ter hinterlaſſenen Kinder erhalteu ſollen.“ ö
Frau Angnes erbebte. Wie? ſie hatte noch Geſchwi-
ſter und ſie ſollte dieſelben kennen lernen? Freude und
Schmerz erfüllten zugleich ihre Bruſt — ihr Herz
klopfte hörbar. —

„Welche Abſicht Ihr Herr Vater hatte, als er dieſe
Klauſel ſeinem Teſtamente beifütge“, fuhr der Juſtizrath
 
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