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Heidelberger Volksblatt (7) — 1874

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Nr. 18 - Nr. 25 (4. März - 28. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44620#0071
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unſerem Deutſchland, ja überhaupt in ganz Weſteuropa:

denn Sand, Haide und Moor wechſeln hier in trauri-
ger. Einförmigkeit mit einander ab. Gleichwohl iſt
dieſe ganz poeſieloſe Gegend die Heimalh eines der be-
ſten unter den deutſchen Dichtern der Gegenwart.
Am 2. April 1798 wurde nämlich in dem, am äu-
ßerſten Südoſt⸗Ende der Landdroſtei Lüneburg gelege-
nen Marktflecken Fallersleben dem „wohlehrſamen“
Gewürzkrämer, Kirchenvorſteher und Rathsverwandten
(ſpäter Bürgermeiſter) Georg Hoffmann ein Söhn-
lein geboren, welches wenige Tage darauf in der Taufe
die Namen Auguſt Heinrich erhielt und ſpäter als
„Hoffmann von Fallersleben“ (wie er zum Unterſchiede
von andern Hoffmann's ſich nannte), den Ruhm eines
trefflichen deutſchen Dichters und verdienten Sprach-
forſchers ſich erwarb. ö
Heinrich Hoffmann zeigte, bei trefflichem Herzen,
ſchon früh einen regen Geiſt und eine mehr als ge-
wöhnliche Begabung. Dies veranlaßte ſeinen Vater,
welcher überdies als ziemlich wohlhabender Mann die
Mittel dazu beſaß, ſeinen Sohn für das gelehrte Stu-
dium zu beſtimmen. Um ihm für dieſes vorzubereiten,
brachte er ſeinen Sohn, als er neun Jahre alt gewor-
den, auf das Gymnaſium der Stadt Helmſtedt, ein
paar Jahre ſpäter aber nach Braunſchweig auf das
„Carolinum“, eine damals hohen Rufes genieſende
Bildungsanſtalt. ö ö
Heinrich Hoffmann's Jugend fiel in eine äußerſt
bewegte Zeit. Der Knabe ſah den Einzug der Fran-
zofen in Norddeutſchland, das Aufgehen ſeines engeren
Vaterlandes Hannover in das neugeſchaffene napoleo-⸗
niſche Königreich Weſtphalen und den Gipfelpunkt der
napoleoniſchen Macht. Der Jüngling aber erlebte den
Wiederaufſchwung des deutſchen Volkes und die Zer-
trümmerung der franzöfiſchen Weltmacht und nahm —
feurigen Geiſtes und echt deutſcher Geſinnung, wie er
war — innigen Antheil am deutſchen Befreiungskriege,
wenn er auch an den Schlachten deſſelben, ſeiner gro-
ßen Jugend halber ſich nicht zu betheiligen vermochte.
Seine deutſche Geſinnung und ſein Haß gegen die fran-
zöſiſchen Unterdrücker war zuerſt im Jahre 1810 durch
eine äußere Veranlaſſung erweckt worden. Er beglei-
tete nämlich während der Sommerferien dieſes Jahres
ſeinen Vater auf einer Reiſe, die derſelbe in ſeiner
Eigenſchaft als „Kanton⸗Maire“ des Bezirks Fallers⸗—
leben (welche Stelle er ſeit der Gründung des König-
reichs Weſtphalen bekleidete) nach Kaſſel, der Haupt-
ſtadt des Königreichs, zu machen hatte. Hier nun ſah
er eine Anzahl junger Leute in Soldatenjacken, welche
am Fuße eine Kette trugen und eine ſchwere eiſerne
Kugel mit ſich herumſchleppten, beim Bau eines gro-
ßen öffentlichen Gebäudes Maurer⸗ reſp. Handlanger⸗—
dienſte verrichten. Auf eine an ſeinen Bater gerichtete
Frage: wer die Leute ſeien und was ſie verbrochen
hätten? erhielt er zur Antwort, daß es im Jahre zu-
vor gefangen genommene Unteroffiziere und Soldaten
vom Schill'ſchen Corps ſeien, und daß ſie, weil ſie die
Waffen gegen den König Hieronymus von Weſtphalen
getragen, kriegsrechtlich zu lebenswieriger Strafarbeit

verurtheilt worden ſeien, während man die gefangenen

babe. Di Offiziere als Rebellen zu Weſel erſchoſſen
habe.

Dieſer Beſcheid und der Anblick der ſchwer ar-
beitenden abgezehrten Jammergeſtalten mit den klir-

renden Ketten ſchnitten dem mitleidigen, warm fühlen-

den Knaben tief in das Herz und erweckten in ihm
einen Haß gegen die welſchen Unterdrücker, welche ſo

Schweres über Angehörige ſeines Volkes verhängt hat-

ten, um deswillen verhängt, weil ſie für ihr geknech-
tetes Vaterland und ihren rechtmäßigen, von den Fran-
zoſen vertriebenen, Landesherrn die Waffen ergriffen

hatten!

Bei dieſer Gemüthsſtimmung konnte es nicht feh-
len, daß 1813 der Aufſchwung des deutſchen Volkes
einen begeiſterten Wiederhall im Herzen des fünfzehn-
jährigen Jünglings fand, und daß die erhebenden und
begeiſternden Vaterlands- und Kriegslieder eines Theo-
dor Körner, Moritz Arndt, Auguſt Stägemann und Max

von Schenkendorf ihn zu den erſten ſchüchternen poeti-

ſchen Verſuchen begeiſterten, bevor er noch (was im
Oktober 1816, alſo mit erſt neunzehn Jahren, geſchah)
die Hochſchule ſeines inzwiſchen wieder hergeſtellten en-
geren Vaterlandes Hannover, Göttingen, bezogen hatte

um ſich auf ihr dem Studium der Theologie zu wid-

men. Dieſes Studium, zu welchem nicht eigene Nei-
gung, ſondern der Wille ſeines Vaters ihn beſtimmt.

Jahresfriſt mit demjenigen der Philologie, und zu
Michaelis 1818 Göttingen mit der neu geſtifteten Uni-
verſität Bonn vertauſchte, wo er ſich faſt ausſchließlich
mit ſprachlichen und literargeſchichtlichen Studien be-
ſchäftigte. Dieſe wandten ſich bald vorzugsweiſe und
dann ausſchließlich der vaterländiſchen Sprache und
Literatur zu und veranlaßten ihn noch als Student
zur Veranſtaltung einer Sammlung von Liedern aus
dem Volksmunde, denen im nächſten Jahre (1821) ein
„Lieder- und Romanzen⸗Cyclus“ folgte.
Wie ſchon vorher ſeine Mutter, verlor Ausgangs
1820 Hoffmann durch den Tod ſeinen Vater und ge-
langte damit in den ſelbſtſtändigen Befitz eines Ver-
mögens, welches zwar nicht gerade groß, aber doch ge-
nügend war, ihm die Ausführung ſeines Lieblingswun-
ſches zu ermöglichen, welcher dahin ging, ſich der eh-
renvolleu und angenehmen, aber wenig einträglichen
Stellnng eines akademiſchen Docenten zu widmen.
Nachdem er zu Oſtern 1821 in Bonn als Doktor der
Philoſophie promovirt und von dort aus die unteren
Rheingegenden nnd die Niederlande zum Zwecke der
Erforſchung der niederrheiniſchen, überhaupt der nie-
derdeutſchen, Volksdichtung durchreiſ't hatte, habilitirte
er ſich zu Michaelis als Privatdocent in der philoſo-
phiſchen Fakultät der Univerſität Berlin. Anfangs
1823 erhielt er die Stelle eines Cuſtos an der großen
Uniwerſitäts- und Landesbibliothek zu Breslau, ſtieg
1830 zum außerordentlichen und 1835 (nachdem er
ſchon im Jahre vorher zweiter Bibliothekar geworden)
zum ordentlichen Profeſſor an der gedachten Univerſi-
tät auf.
(Fortſehung folgt.)

hatte, ſagte ihm jedoch ſo wenig zu, daß er ſchon nach
 
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