Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

DOI Kapitel:
Nr. 1- Nr. 8 (5. Januar - 29. Januar)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.44635#0025
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heidelberger Volksblatt.

Nr. 6.

Samſtag, den 22. Januar 1876.

9. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleg er, Schiffgaſſe 4
ö — ö und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Aus dunkler Zeit.

Sittenbild von Marie von Roskowska.
(Fortſetzung.)

Ehe Benigna es betrat, ſchon, als ſie in die Gaſſe
einbog, nahte ihr der fremde Magiſter, der ihr bisher
in einiger Entfernung gefolgt war. Als ſie die Kirchen-
treppe hinabſtieg, hatte ſie mit Erſchrecken eine rothe
Hahnenfeder auf ſchwarzem Barett gewahrt und ihren
Schritt beſchleunigt.
„Warum verfchwandeſt Du geſtern ſo ſchnell, ſchöne
Kerbelin?“ redete er ſie an. „Freilich nicht ſpurlos —
wenigſtens nicht für mich. Wie Du in der Nacht hör-
teſt, habe ich Deine Spur gefunden und nun hevte
auch Dich ſelber.“

Unwilkürlich hatte ſie den Blick zu dem zierlich aus

Stein gehauenen Altan des Engernſtein'ſchen Hauſes
erboben.
gethan mit Hüllmantel, Haube und Schleier. „Das
Fräulein Vohtal wird ſich wundern, ſieht es mich in
Eurem Geleit, Herr!“ ſagte Benigna raſch und über-
hr Ich bitte, laßt mich unbehelligt meines Weges
gehen.“
„Was kümmert uns das Fräulein?“ rief Thymo
mit einem übermüthigen Blick nach dem Altan. „Sie
iſt auch ſchon hinweggegangen. Aber eile nicht ſo —
mir entfliehſt Du doch nicht.“
Benigna war purpurroth geworden vor Beſtürzung
über ihre eigenen Worte. Jetzt mäßigte ſie plötzlich
ihren Schritt und blickte groß und offen zu ihm auf.
„Ihr mißverſteht mich, Herr!“ erwiderte ſie ſanft.
„Euch enifliehen wollen, wäre etwas gar Thörichtes,
Ueberflüſſiges. Ich weiß, Ihr werdet künftig nicht
mehr meinen Weg kreuzen und mich aufzuhalten ver-
in her ſön Bante Euch jetzt darum.“
„Aber ſchöne Benigna“, begann er halb lächelnd
halb verwirrt. hnan 15
Sie unterbrach ihn mit ruhiger Entſcheidenheit, wäh-
rend die dunkelblauen Augen ihm mit inniger Bitte
begegneten. „Laßt mich ausreden, Herr. Was nützt
es Euch, daß Ihr in übermüthigem Scherz meinen
guten Leumund untergrabr? Er iſt die einzige irdiſche
Habe eines armen Mädchens, das weder Euch noch
ſonſt Jemand ein Leides that. Ich weiß, Ihr beab-
ſichtigt ein ſolch frevſes Beginnen nicht; es dünkt dem

Engelbrechta ſtand auf demſelben, noch an-

echten Mann ſchlimmer, als ein Ausritt auf die Land-
ſtraße, bei dem ſich's doch nur um Geld und Kauf⸗-
mannsgut handelt. Habt Dank für die geſtrige Ver-
ehrung. — ich vergaß ihn in der Ueberraſchung. Nun-
lebt wohl, Herr und — Gott ſegne Euch!“
Haſtig wandte ſie ſich ab, ſchritt geſenkten Blickes
über die Straße hinüber und, ohne nur aufzuſchauen,
in die breite Hausthür hinein. So gewahrte ſie nicht,

daß der junge Mann ſtehen geblieben war und ihr
ſtarr nachblickte; gewahrte nicht, daß Engelbrechta eben

aus dieſer Hausthüre geſchlüpft war und ebenſo we-
nig, daß eine andere weibliche Geſtalt, einfach ge-
kleidet und das Haupt nach Frauenſitte verhüllt, ihr
und dem Magiſter in einiger Eutfernung gefolgt war.
„Die letztere erſchrack ſichtlich, als ſie Engelbrechta
erblickte und zog die Falten der Hülle noch tiefer hin-
ab über die Augen und noch höher hinauf über Naſe
und Wangen.
Die Vohtalin ſchaute die Gaſſe hinauf und trat
dann zu dem noch immer regungsloſen Magiſter. „Der
Großvater und die Neuvermählten kommen aus der
Kirche, — ſolgt mir, ehe ſie uns ſehen: ich habe mit
Euch zu reden, Tüymo!“ ö
Der junge Mann fuahr unwillkürlich zuſammen, faßte
ſich aber augenblicklich. „Ich wollte Ihnen aber dan-
ken für die genoſſene Gaſtfreundſchaft und mich beur-
lauben.“
„Wie Ihr wollt. Aber nach der Beurlaubung tretet
in das Vorderzimmer des Erdgeſchoſſes.“ Einen haſti-
gen Blick warf ſie nach dem Altan und zu den Fen-ͤ
ſtern hinauf — Niemand war dort zu ſehen. Dann
ſchlüpfte ſie in's Haus zurück.
Die verhüllte Frau war ſtehen geblieben. Jetzt ſetzte
ſie ſich eilig in Bewegung, ſch itt indeß nur bis zur
Biegung der Gaſſe, wartete dort und kehrte erſt zu-
rück, als Niemand mehr ſich vor dem Hauſe befand.
Thymo war dem jungen Ehepaar entgegen gegan-
gen, das in Begleitung des alten Rathsherrn eben da-
her kam und von Glückwünſchenden aufgehalten wor-
den war. Er empfahl ſich artig, doch kurz und lehnte
die Einladung, bis zur Beendigung der Hochzeit zu
bleiben, höflich ab. *
Sein Tanz geſtern mit der Leinewebertochter war
ihnen aufgefallen; ſonſt hätten ſie nicht viel Zeit ge-
habt, ihn zu beachten im Getümmel des Feſtes, unter
den vielen Gäſten, die ihnen wohlbekannt waren und
an Rang bedeutend über dem fremden Magiſter ſtan-
den, der eben nur in Folge der großen Gaſtlichkeit
 
Annotationen