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Heidelberger Volksblatt (33) — 1900

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Nr. 48 (2. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44281#0001
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Heidelberger Volksblatt.

Nr. 48.

Montag, den 2. Juli 1900.

33. Jahrg.

Erſcheint jeden Mon tag und Donnerstag als Beilage zum „Neuen Heidelberger Anzeiger“.

Am Vorabend der Hochzeit.

Roman von Helene Stökl.
(Fortſetzung.) (Nachdruck verboten.)

12.

Onkel Guſtav war mi dem Entſchluſſe nach Berlin
gegangen, nicht eher ruhen zu wollen, als bis er Willy
Boßler aufgefunden habe, und er hatte ihn wirklich ge-
ſunden! Einer der früheren Kameraden Willys bei dem
Pferdeverleiher in Pritzow hatte dem Major den erſten
Fingerzeig gegeben. wo und wie ſein Freund zu finden
ſei. Mit einem Scharfſinn und einer Ausdauer, die
einem Indianer auf dem Kriegspfade alle Ehr⸗ gemacht
gätte, war Onkel Guſtav dieſer Spur nachgegangen.
Hundert Mal hatte er ſie verloren und hundert Mal
wieder aufgenommen. Von keiner Enttäuſchung ent-
mutigt, vor keiner Mühe zurückſcheuend, — wenn der
eine ihm keine Auskunft geben konnte, ſich an den an-
dern wendend, ſeine Erkundigungen ja nach den Ver-
hältniſſen durch Höflichkeit oder Geld unterſtützend, hatte
er endlich ſeinen Zweck erreicht, Willy Boßler ſtand
vor ihm. Es war ein aunanſehnlicher Mann mit halb
ſcheuem, halb keckem Weſen und verſckmitzt blickenden
Augen.
Es war nicht der müheloſeſte Teil von Onkel Guſtavs
Aufgabe geweſen, das Mißtrauen dieſes Mannes zu be-
fiegen, der jeden, welcher ein zu großes Intereſſe für
ſeine Verhältniſſe an den Tag legte, mit der ausge-
ſprochenſten Abneigung zu betrachten pflegte. Erſt ſehr
allmählich war es ihm gelungen, Willy Boßler die Ueber-
z'ugung beizubringen, daß ſein Anliegen an ihn keinerlei
nachteilige Folgen für ſeine Perſon nach ſich ziehen
lönne. Ob ſchließlich Onkel Guſtavs große Menſchen-
kenntnis und Geſchicklichkeit im Behandeln der ver-
ichiedenartigſten Charaktere oder die glänzendſten Ver-
ſprechungen, an denen er es nicht fehlen ließ, den Sieg
davontrugen, das wollen wir unentſchieden laſſen, — genug,
daß Willy Boßler ſich nicht länger abgeneigt zeigte, auf
Onkel Guſtads Wünſche einzugehen.
„Kennen Sie den Namen des Mannes,“ fragte
dieſer, „der das Pferd in der Nacht vom 28. Juni bei
Ihnen mietete?“
„Nein, Herr, den kenne ich nicht.“
„Sahen Sie den Mann je zuvor?“
„Nein, Herr.“
„Aber Sie würden ihn wieder erkennen““
„Is, Herr, ich habe ihn ſogar ſchon wieder ge-
ſehen!“
„Hier in Berlin.“
„Ah!“ rief der Major überraſcht wo war das?⸗
„Ja, er trug eine blaue Brille, aber ich erkannte
ihn ſogleich.“

»„Glauben Sie, daß es Ihnen möglich ſein würde
ihn wieder zu treffen.“
„Und wenn ich ihn treffe.“
„Dann müßten Sie ihm bis zu ſeiner Wohnung
folgen und alles Nähere über ihn zu erfahren ſuchen.“
„Das kann aber lange dauern und viel Mühe
machen.“
„Es ſoll ihr Schaden nicht ſein. Ich verſpreche
Ihnen monatlich 200 Mark, und wenn Sie ihn ge-
funden haben, 200 Mark extra.“
Boßlers Geſicht ſprach ſeine vollkommenſte Zu-
ſtimmuug zu dieſen Bedingungen aus. „Es gilt, Herr.
An mir ſoll die Schuld nicht liegen, wenn wir ihn
nicht erwiſchen!“
„Sobald Sie etwas Wichtiges erfahren, kommen Sie,
um es mir zu melden, Mit dieſen Worten verabſchiedete
Onkel Guſtav ſeinen Bundesgenoſſen.
Doktor Wellner hatte indeſſen ſeine Abſicht ſeine Pra-
xis in Neudorf mit einer in Berlin zu vertauſchen, aus-
führt. Er hatte thatſächlich diejenige des jungen Arztes
übernommen, der an ſeiner Stelle nach Neudorf gegangen
war. Dieſer Wechſel war für ihn, wie er jeder mann,
der es hören wollte mitteilte und wie wir ihm gern
glauben wollen wenn wir auch die Einkünfte aus ſeiner
Neudorfer Prexis nicht für allzuhoch halten, mit großen
pekunlären Nachteilen verbunden, aber wie hätte ihm ein
Opfer zu groß ſein können! War es ihm doch nach dem
Verlufte, den er an ſeinem früheren Aufenthaltsor te er-
litten hatte, zu ſchmerzlich geworden, länger dort zu ver-
weilen. Er ſchüttelte mit würdevoller Trauer den Kopf,
wenn er von ſeinem ſchweren Verluſte ſprach, und nahm
eine ſalbungsvollen Ton an, ſonſt aber hatte er ſeine
frühere Sorgloſigkeit vollſtändig wiedergefunden. Es
machte ihm großes Vergnügen, ſeine neue Wohnung von
oben bis unten elegant einzurichten, und zu Idas und
Onkel Guſtavs heimlicher Verwunderung hatte er immer
Geld in Ueber fluß.
Auch gegen Onkel Guſtav war er milder als früher
geſtimm. „Dein Oheim, mein liebes Kind,“ ſagte er
zu ſeiner Tochter, „hätte einen ausgezeichneten Geheim-
poliziſten abgegeben, wenn er kein ſo großer Schwärmer
wäre.“
„Dein Vater, liebe Ida,“ ſagte Onkel Guſtav, „iſt
ein ſehr gelehrter Mann, aber er beſitzt auch nicht für
einen Heller geſunden Menſchenverſtand.“
Weihnachten und Neujahr war unter deſſen gekommen
und gegangen, ohne daß ſie Ida aus der tiefen äußeren
und inneren Trauer um ihre Schweſter hätten reißen
tönnen. Es war At fangs Januar, als Willy Boßler
ganz verſtört zu Onkel Guſtav kam.
„Was iſt geſchehen?“ fragte dieſer, ihm beſorgt ent-
gegengehend.
 
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