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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 27-50 (2. Februar 1902 - 28. Februar 1902)
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https://doi.org/10.11588/diglit.23860#0241
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russischen Verbrüderer iu sehr hohen Kreisen gewonnen
habein große Kchpitalien, die sür südafriko und andere
näher liegende Objckte wichtig nnd nötig erscheinen, ab-
gezogen werden tönnten. So erklärt sich, daß jetzt mit
einein Atale wieder sehr entschieden aus die „trennenden
Momente" zwischcn britischer Reichspolitit' nnd den Be-
strebungen des hjarcnrciches hingewiesen und namentlich
die zentralasiatische Frage in ganz anderem Lichte ge-
zeigt wird, als es namentlich in den zahlreichen Publi-
t'ationen der letzten Nlonate der Fall gewesen.

Aus Stadt und Land.

8L. llarlsrulic, 4. Februar. (M i t t c l s ch u l w e s e n.)
Lbwohl dic Stadtgemcinde Karlsruhe crst irn Jahre 1890
ein neucs Mitrclschnlgcbändc, das Fricdrichsschulhans, dcm Bc-
triebe iibergeben bat, ist die Nvtwendigkeit der lErrichtung
cincs weitercn Gcbäudes fiir Mitrelschulzweckc bereits wicder
in die Nähe gcrückt. Währcnd vor zehn Jahren die lleber-
süllung dcr Oberrcalschule die Teilung dieser Anstalt (in
Oberrealsckmlc und Rcalschnle) ersordertc, rritt ei» ähnliches
Bedürsnis jetzt bei dcn Real- und Reformghmirasien hervor. Jn
dieser Anstalt ist betänntlich seit Beginn des Schuljahres
1896—1897 von nnter herauf ein Reformlehrplan einge-
führr ivorden, und zwar in der Absrcht, mit dem so schaffen-
den Reform Realgvmnasium auch einc sogcnanntes Reform-
ghmnasium zu vcrbindcn. Nach dcm ncucn Lehrplan des hicsi-
gen Real- uud Reform-Gymnasiuins beginnt in der Sexta
der französische, in llntcrtertia der lateinische, in llntersekunda
der gricchische Illiterrichr für die gymnasiale, der englische
für die ralgymnasiale Abtciluug. Zur Zeit isr diese Ein-
richtung bis zur llnrersckuuda fortgeschrittcn und die Anstalt
besitzr in dicser Klasse cinc gymnasiale und realgymnasiale
Abteilung. Ileber die bisherigen Ergcbnisse dcs llnterrichts
nach dem ncuen Lehrplan hat sich der Großhcrzogliche Ober-
schirlrat stets durchans günstig ausgesprochen, so das; än
dcm Gclingcii dcs mit dcm Rcformlehrplan untcrnommcncnVer-
suchs — znmal nach den dnrchweg befriedigenden Erfahrun-
gen an anderen Orten — wohl nicht mehr zu zweifeln ist.
Thatsache ist übcrdics, datz die Rcformeinrichtung im Publikum
sympalhisch aufgenommcn wurdc, wie sich aus dcr erheblichen
Sreigerung dcr Freguenz dcr Reformklassen crgiebt. Dic
Schülcrzahl des Realgymnasiums hat sich nämlich in den
bis jetzr in Bctrackit kommcndcn Klasscn 6 bis llnter 2 seit dem
Sckinljahr 1899—1890 von insgcsamt 481 auf 641 gesreigcrt.
Dic istadt ist dahcr gcnötigt, cin ncucs Mittclschulgebände
zu errichten, das, >vic schon kurz üerichtct, auf das Gclände
dcr Maschincnbaiigcscllschaft an dcr Gartcnstratzc zu stchen
koinmr. Mit dcm Bau dcr nencn Anstalt lvird jedoch crst ini
Frühjahr 1904 bcgonucn wcrden. Das Gcbäudc soll ncbcn dcn
Schusräumlichkcitcn auch eine Turnhalle und Dienstwohnungcn
für dcn Tirektor und Schuldiener anfnehmen.

8O. Karlsrnhr, 4. Fcbruar. (V o m Hafcn.) Das zum
Rheinhafcn gchörigc, voii dcr Stadtgeincindc zu Eigentuin
crworbene Geländc umfatzt im Ganzen etwa 1 874 980 gm.
Für grötzerc industricllc Anmcscn mit für die Dauer bcstimm-
ten üochbauten ist auf dcm städtischen Rheinhafengelcinde
kein Rauin. Fabrikcn können daher anf dcmselben nicht
wohl crrichtet Ivcrdcn, müsscn sich vielmchr, Ivcnn sic dic
Vorrcilc dcs HafcnS bcnützcn wollcn, in dcr Nachbarschaft
ansiedcln und dnrch Bähngeleise mit dcm Hafen in Ver-
bindung sctzen. Ganz bcsondcrs ist das dem Hafen benach-
barte Hochgestade für den ffraglichen Zweck gecignet und
wird auch, wic dic nencn Niederlassungen dcr Karlsruher
Maschiuenfabrik uud dcr Zementfirma Dyckcrhoff und Widmann
darrbuu, von Judiistricllcn gcsucht. Lcidcr licgt abcr das
für Fabrikanlagen nsw. günstige Gclände gröhtenteils auf
fremdcr Gemarknug. Wenn also die Zweckc, wclche Staat
nnd Stadt mit dcr i'lnlagc dcs Hafcns vcrfolgtcn, errcicht
werdcn soilcn, so inntz nicht mrr das eigentliche Hafcngelände,
sondern auch das bcnachbarte Gebiet mit dcr Stadtgemarkung
vcreinigr iverden. Zu diesem Zwecke hat die Stadtvcrwaltung
mit dcn Gemcinden Bulach, Daxlanden nnd Kniclingen llnter-
handlungcn gcführt, dic aber ein ncgatives Resultat hattcn,
irohdcm ihnen dcr Stadtrat für das Gemarkungsrecht eine
Vcrgünmg ini 28fachcn Bcrrag dcrjcnigcn Gcincindcumlagcn,
angcborcn hattc, welchcKarlsruhc von dcn anf dcn zuwachsendcn
Gemarkungsteilcn znr Zeit dcs Gemarkungsübergangs vor-
Üandenen Stcucrkapitalien bei cinem llmlagcfutz von 45 .Pfg.
erhcbcn kann. Die Gcmeinden verlangten seitens dcr Stadt-
leisiungen, die zum Tcil tcchnisch, zum Tcil rechtlich undurch-
führbar sind, wie z. B. die Aufnahmc ihrer Abwasser in das
Kanalsystcm der Stadt (also eine Entwässerung bcrgauf-
wärts!) und die Befreinng dcr Einwohner von den indirektcn
Abgabcn dcr Stadt bei Verbringung steuerpflichtiger Gegcn-
srändc nach Karlsruhc. Nachdem alle Bxmühungen zur Her-
beiführnng erner gürlichen Vereinbarung über dic crforder-
lichc Gemarkungsänderung gescheitert waren, hat das Grotzh.
Minisierinm des Inncrn deni Stadtrat die Miteilung zn-
gehen lassen, datz es geneigt sci, einc Allerhöchste Enlschlich-

ung dayin in Anrrag zn bringcn, daß das von Karlsruhc be-
nötigtc Gclände der Gemarkung Karlsruhe zugeschicden
werdc, sofcrn der BLrgerausschutz die Zustrmmung znr Zah-
lung einer Entschädigung an die Gcmcinden giebt. Das
in die Stadtgemarkung Lbergehende Gelände iimfatzt cinen
Flächengchalt von 6 240 435 -Ouadratmeter. Die angc-
botenc Vergütung beläuft sich für Knielingen (1 545 807
Quadratmeter) aus ca. 86 000 Mark, für Daxlanden
(3 953 371 Quadratmeier) auf 65 000 Mark und fllr Bulach
(741 257 Ouadratmctcr) anf 4000 Mark, zusammen also
anf ekwa 155 000 Mark. Die aus der Vorbercitnng und
Durchführung dcr Gcmarkuiigsändcrnng cntstehcnden Kostcn
wcrdcn auf 25 000 Mark bcrechnek.

Gcngcnbach, 8. Febr. (Erfindung.) Wic von hier
gcmcldet wird, ist cs cinem Schlosscr namcns Panl Iacob
angcblich gelnngen, einc Art a n t o m a t i s ch e r K n p P e -
l n n g dcr E i s e n b a h n w a g c n zu konstruicrcn. Die
mcnschlichc Böithilfe bcsteht nnr in der Bcdiennng eines Hcbels,
dcr scirlich am Wagcn angcbracht ist. Durch eutsprcchcude
Stcllung des Hebcls könuen die Wagcn zur selbstthätigcn An-
knppclnng bezw. Trennung gcbracht werden. Die Zughaken,
sowic dic Norhaken skellen sich dnrch die Hebelbcwcgnng so zn-
recht, datz die Wagen bciin Zusammcnstotz der Pnffer auto-
marisch gckuppclt werdcn. Ebcnso crfolgt die Abkuppclnng
dnrch crnc Rückwärtsbcwcgnng dcsselbcn Hebcls. Ernc drirtc
Stcllnng macht dcn Apparat neutral, so datz z. B. bcim
Rangieren dic Kuppelnng nicht cingreift. Dcr Zugführcr cr-
hälr dic Möglichkeit, anf scincm Platzc auf der Maschiuc drcse
vcm Zuge abzukoppclu. Zu wünschen wärc, datz sich dicser
Apparat thatsächlich bcwährt, damit auf diese Weise der gcfahr-
pollcn Knppclnng zwischcn dcn Pnffern cin Endc gemacht wird.

8. O. Triberg, 4. Fcbr. (D cr B ü r g o r a u s s ch n tz)
lehntc dcn Antrag, zn dcn Kosrcn dcr Vorarbeiten für das Pro-
jekt cincr elektrischcn Bahn Triücrg-Furtwangen cinen Bcr-
trag von 1500 M. zu bcwilligen, init 27 gegcn 20 Stimmcn ab.

Krundöuchwesen uud Wotarial.

Kirrlsrirljc, 3. Achnmr.

Tio Aoußel'MMN, wclchc Stciatsrat Frviherr v. Dusch
iu örr Zwoiteu Kaiuuwr auläßtich der Geueraldebatte
über den Iustizetat bezüglich des Grundbuchwesens uud
des stiotariats getban hat, sind in jnristrschen Äreisen
mit großer Arende nnd Genngthniing anfgenominen
worden. Gebcn sie doch Knnde, daß endlich anch von
der Regiernng dic Bedeuten bcachtet werden, welche
diese Organisation bei Prattischen Auristen schon seit
ihrer Jnangrijfnabme erregte. Man darf wobl dic Bc-
urteilung oder richliger Vermllctlung deS derzeitigen
Grnndbnchweseus uoch eutschiedeuer auffasseu, weuu inan
zwischen den Worteu zu höreu verstebt und die Be-
schränt'nng zn würdigeu weiß, welcbe dem Leiter deS
Iustizmiuisteriunis immerhiu angesichts der Sachlage
aujerlegt ist. Ueberraschend war demgegeuüber dre Aeu-
ßerung deS Abgevrdueten Breituer: „Weun man nns als
Znristeu befragt bätte, daun wäre das Gutachteu viel-
leicht eiu anderes gewordeu." Wir glauben, die juristischen
Mitglieder der Uonuuissiou, welche sciuer Zeit das
lKrundbuchgesetz beraten hat, seien lediglich als Iuristeu
befragt wordeu. Mtudesteus erscheint es aufsällig, weuu
jeht osfen zngestanden wird, daß dicse sür dic Instiz
eminent wichtige Frage uach andcreu, als reiu juristischen
Gruudsätzeu behaudelt wurde. Hosseutlich ist dic Zeit
doch uicht so seru, wo mau den Fehter, der mit der
gauzeu Orgauisation gemacht wordeu ist, allseitig einsieht
uud wieder gut macht. Den^i wer ist eigeutlich mit der
jetzigeu Organisatiou zufrieden? Aus zahlreicheu Zu-
schrifteu glanben wir füglich schließen zu dürfeu: iliie-
uiaud! Weder dic Ratschreiber, uoch die Gemeiudeu, uoch
die Notare, uoch das Publiluiu, ja, auscheiueud aucb.
uicht mehr die Regierung.

Die Ratschreiber erklären, sie hätten zu viel Schreib-
arbeit obne entsprecheude Vergütung. Die Gemeindcn
fiuden die Lasten, die ibnen dnrch Baulichtciten »nd An-
stellnug von weitereu Ratfchreibern zusallen, zn hoch. Tic
Notare tönuen die Strapazcn des Umherziehens aus rein
änßerlichen Gründen »nd die nnstete Arbeitsbehandlnng,
welche sie nötigt, fast täglich an anderem Orte mit an-
dcrn Lenten nnd andercn Hilfsträften zu arbeitcn, nur
schwer anSbcilten. Tas Publit'um klagt, daß der cigcnt-
tiche Notnrdienst darniederliege, der Notar tzabe schlechter-
dings t'einc Zeit. sich diesem Geschäfte mit Rnhe zn
widmen; aber auch für die Grundbuchgeschäfte haba er
nicht die genügende Zeit. Kaum ist er am Orte. so ist
er nach Erledignng der dringendsten Arbeiten schon
wieder fort. Geschäfte, welche nicht in einem Gnß ge-
macht lverdcn können, müssen infolge von Zeitmangcl

auf den nächsten Grnndbnchtag verlegt werdew
Regierung endlich hat nicht nur juristische, sondern hci»^
sächlich auch sinanzielle Bedenken, tveil durch die
Organisation der Jnstizetat eine kolossale Ueberschr^
tung erlitten hat und andere dringende Fordernngen Z''
rückgestellt werden mnßten. ^

Wir glanben in der Annahme nicht sehl zu gehen, »»d
auch die Erste Kainmer schware Bedenken gegen ch
jetzige Qrganisakion änßern wird. Bekanntlich hat >
dem Gesetz seincr Zeit zwar zugestinnnt, aber nicht vbE
schwere Bedenten gegen dasselbe hervorznheben.
dio Grnndbücher in den Gemeinden bleiben miissen, Ü.
kein anSschlaggebender Grnnd für die Beibehaltung
jetzigen Znstandes, schon deshalb nicht, weil es im größEl
Teilc Dentschlands anders ist nnd die, Geschäfte dow
sachgemäß erledigt werden. Ter Staat könnte fast N'
dcr Hälste der Grnndbuchbeaniten auskomrnen. wc'"
nicht täglich einige Ttnndcn der Reise geopsert werdiü
inüßten. Und die Baulichtciten, soweit solche überhavp
sofort nen z,n erstellcn wären, würden sichertich keiU
höhercn Zinsen ersordern, alS die derzsitigen Re>I^
kosten. Schließlich isr es in votkswirtschastticher Hü'sto!
ganz gnt, wenn nicht gar sv leicht Grnndstücke veränßc''
nnd get'anst werden lönnen, sondern ein Gang an de>
Sitz des stiotars oder AmtsgerichtcS Zeit znm Ueberlogen
gewährt.

Will mau aber doch dem Träugeu aus Belasstuig de
Grnndbücher in den Genieinden nachgeben, was lstnde'
dann, daß den Geineinden von allen Grnndstückverändl''
rungen nnd Belastnngen voui Amtsgerichts- odcr V»'
tarsitz aus illachricht gegebeu werde, so daß gewisserniaßl'''
eine Kohie des Grundbuches iu der Gemeiude vorhando>
ist? Haben die. Gemeinden srübcr dem Amtsgerichte vo>
allen erheblichen Einträgen in die Gruiidbücher A»-,
züge cinsenden müssen, die bcim Amtsgerichte vcrbliebc»
nnd oft zur Wiederherstellnng verbrannter Grnndbnchls
benutzt wnrden, so mache man es künftig nnigckehlü'
dann Ivürde den angeblichcn Znkeressen der Genieind^
an der jederzeitigen Orientiernng über die Grundstüa-"
verhältnisse Rechnnng getragen nnd andereneits e>>',
sorgsame, gründliche, erat'te Fübrnng der Grnndbiim^
ermöglicht werden.

Kletne Zeilung.

— Gcschent dcs Kaiscrc- nn Knpcllnicisccr F-rccst-

Tein bckanntlich vor einigen Wochcn wegen seines hohc»
Alters von 70 Jahren nnd andanernder Kränt'lichtc>
aus dcin aktiven BUlitärverhältnis ausgeschiedcnen
pellineister des Garde-Füsitierregiments, Stabshoboistes
Freesc, isl ein bemerkenswertes Geschenk des Kaiscl'-'
znteil geworden. Der Monarch bat „seinem liebo>
Freesc" als Abschiedsgabe nämlich sein Bitd in kostbaA»
Goldrabmen gesandt mit solgender cigenbändiger Wst'
mung: „Dem Kapellmeister Freese als Anerkennnng t»
seinc vorzügliche Leitnng der Kapelle deS Garde-Füsilic>'
regiments von seincni dankbaren srüheren Brigao^
Kommandeur Wilhelm." Schon als Kaiser Wilhelni vst
„Premier-Lenlnant Prinz Wilhelin" iin 1. Gardereiü'
mcnt zn Fnß Tienst khat, lernte cr den „Maikäscr-Ko^
pellmeister" kennen und sand Gefallen an ihm wecie»
seines gesunden nnd derben Humors. Aber auch als dlF
Prinz später im Iahre 1888 nnläßlich scines Gebm't-'
tagcS znm (Keneralmajor und Komniandcnr der Z.Gai'w'
Jnfanteriebrigade crnannt worden war, bewabrte er de»
alten Frcese seine Huld, die dadnrch erneuten Bcweis ei'
hielt. daß Freese ansangs der neunziger Zahre vo»
Kaiser den ehrenvollen Auftrag erhiett, alte Arn»'^
märsche nmznarbeiten, dervn Einfübrnng vom Monarche»
dann besohlen wurde. Tieses nnd noch manch' ander^
Verdienst »m die Tonkuust bestimmteu deu Kaiser, I't»
dem wackeren Freese gegcnüber, als „dankbar" e"
zeigcn.

Gicsicn, 31. Ian. (D i e schlagende n st »
d e nt i s ch e n Ko r p o r a t i o n e n) sind sicherem Ver'
nechmen nach vom großh. Polizeiamt bedeutet worde»'
daß künftighin gegen solche Studii<rende, die sich »»
Kompressen oder sog. „M e n s n r m ü tz e n" öffentlick
zeigten, vorgegangen werden würde. Ein Angehörig^
des Korps „Starkenburgia", der vorgestern in der Mew
snrmütze der Tbeatervorstellung anwahnen wollto, wuroe
von der Polizei z»m Verlassen des Lokals genötigt.

„Wic oft mögcn Sic Achnlichcs zn mciner Feenndin Hclenc
gcsagr habcn?"

„Nicht ein einzigcsmal", bctcucrte Paul. „Vielleicht hätte
ich cs gcthan, wcnn sic Pcrftündc, sich mit solchcm Gcsckimack zn
klcidcn ivie Sic."

Nun wutzte frcilich Panl so gut, ivie es Anna wutzte, das;
Hclene Fricdrichsen sich stets mit tadclloscm Gcschmack kleidete;
nnd zu allcm Ilebcrslutz lehrtc gerade heute cin Blick auf das
iunge Mädchcn, das mit Herrn Hartmann eine sehr angeregte
llnterhaltung führtc, Ivie unbegründet Panls hämische Be-
merlung ivar. Abcr wiederum — wo gab es eine Dame, die
nich, mit dc: glcichcn Bcfricdigung >vie Anna Wortc gehört
hättc, dic ihr schmcichclten, wenn sie auch wutzte, datz sic im
Grnnde leere Worte scien?"

„Jch glanbe, Sie sind ungerecht," sagte sie. „Aber wenn
Fhrc Bemcrkung auch richtig wäre, Helenc ist schön genug,
nm ciner übertricbencn Aufmerksamkeit anf ihre Klcidung
überhobcn zn sein."

„Das klingi gnt, ist aber eine halbe Wahrheit, die man
ofr hört, nnd dic doch dnrch öftere Wiedcrholung nicht zur
ganzen Wahrhcit wird. Nach mciner Ansicht ist kein Mädchen
so schön, das; es nichk durch eine geschmackvolle Kleidung
noch gewinnen könntc."

„Cäcilie nnd Helene Fricdrichsen vereinigen beides, und
werden darnm an'ch allgemein bewundcrt."

„Es giebt doch Ausnahmcn. Wenn ich Dame wäre, so
wäre mii^ an ciner so obcrflächlichcn Bewunderung wenig ge-
legen. Jch würde lieber eine dauernde Neigung als eine
vorübcrgchcnde Leidcnschaft einflötzen."

„Das ist einc von jenen Redensarten, womit die Treulosig-
kcit jeden Wandel dcr Neigung beschönigtl"

„Sie urteilen hart, Anna") sagtc Panl leise, „ich weiß,
datz Jhre Worte mich treffen sollen, nnd das ist grausam,
da Jhre allgemcine Bemerknng anf meinen besonderen Fall
nicht zutrifft."

„Nicht?" fragte Anna überrascht. Bcide hatten sich
sprungweise dem Thema genähcrt, das ihre Gcdanken beschäf-
tigie, nnd sie warcn rascher dabei angckommcn, als sie selbst ge-
glanbl hatten. „Bin ich falsch berichtet oder ist es wahr, daß
die Vcrlobung zwischen Jhnen und Helene durch Jhren Willen
aufgehoben worden ist, weil sie der arm gewordenen Helene

das Wort nicht halten jvollten, das Sie dcr rcichen Hc'lcnc ge-
geben hatten?"

Das war ein scharfer und direkt gcfühctcr Stotz, bei dcm
es der ganzcn wcltcrfahrenen Kaltblütigkeit Pauls bedurfte,
iim nicht zusammcn zu zncken. Abcr cr blicb /ruhig nnd er-
widertc gelassen:

„Sic sind falsch bcrichtct. Das Verlöbnis ist dnrch Helenc
aufgehobcn worden, nicht durch mich."

„O, das wird nur ern Streit um Worte sein", bcharrte
Anna. „Jch tann niir schon denkcn, wie es gewescn ist. Helene
hat Jhnen dic Aufhebung des Vcrlöbnisses freigcstcllt, und Sie
habcn begierig zugegriffen."

„Wenn Helene Jhnen das crzählt hat, so ist es meine
Pflicht zn schweigen. Es würde mir schlecht anstehen, sic Lügen
zn strafen."

„Hclenc hat mir nichts erzählt. Jch sagtc Jhncn ja, datz
cs nur cine Vermutung von mir ist."

Paul verbengte sich.

„Also nehmen wir an, datz es so ist", sagre er in resignicr-
tcm Topc.

Anna spiclte etwas befangcn mit ihrem Boukett; cine ge-
füllte Geraniumblüte fiel heraus; Panl hob die brennend rote
Blume auf und drückie sic an seine Livpen.

Nach eincr kleüien Pansc begann Anna wieder:

„Spiclen Sie nicht dcn Beleidigten, Herr Maupillon.
Wenn die Sache anders ist, erzählen Sie es mir."

„Mein Gott, was ist da zn crzählen?" entgegnete Paul,
imnier noch gekränkt. „Es ist wahr, Helenc und ich sind verlobt
gcwescn; es ist wahr, Helene hat mir mein Wort znrückgegeben,
als ihr Bruder in Vcrlcgenhcit gerier; nnd es ist wahr,'datz ich
bereitwillig auf ihren Wunsch eüigegangen bin. Das sind die
Thatsachen; datz Sie cüie Auslegung finden, dic mir ungünstig
ist, kann ich nicht ändern."

Bei diescin interessanten Wendcpunkt des Gesprächs mntztc
Anna sich entfernen, einige nenc Gäste zu begrützen, nnd beim
Herumreichen des Thecs behilflich zu sein. Als sie nach Er-
lcdignng dieser häuslichen Pflichten wieder frei war, wnhte
sie cs, wie Paul mll heimlichem Vergnügen bemerkte, so ein-
zurichten, daß sie wieder in seine Nähe kam. Bald satzen
sie abermals ncbeneinander, und Anna nahm sofort das vorhin
abgebrochene Gespräch wieder anf.

„Sie dürfen mich nicht mit allgemeincn Redensartcn h»»

haltcn," sagte sic mir eincr Bestimmtycii, die ihrem offenc
und cntschiedencn Charakter entsprang. Paul erinnerte )>»'
über Anna Reschwip gehört zu haben, sie sei bci Kaffeegcsr»'
schaften und sonstigen Damengescllschaften eine gefUrchtcst
Person. wcil sic cigensinnig darauf bcstände, jede dunkle A»,
deutung, jeden pielsagcnden Wink erläutcrt zu haben. „Wc>»
Sie die Blumc ans mcincm Boukett behalten wollen, so müstc>

Sie mir klaren Wein cinschenken." . . ,i

Paul sah lächelnd ans dic „brcnnendc Liebe" üi seinc>
Knopfloch. „

„Jch behaltc sie", sagte er, „und werdc sie verdienen. Avc
Sic müssen mir versprechen, das; ich sie als cin Symbol ^c
Liebe betrachten darf." ^

Anna schwieg nnd in ihrem Fchwcigen lag ein Zugestäl»
nis, das Paul sich nicht entgehen lietz.

„Helene Friedrichsen hat mich nie lieb gehabt", f»h».^
leise und schncll fort. „Sie bcnutzte den erstcn Vorwand, d»
sich bot, um sich von mir loszusagen, und ich kam ihr entgegc»'
weil ich ihre Gesinnnng teiltc."

„Mein Gott, das ist ja entsetzlichl" rief Amia. „Wie ka>»
man sich vcrloben mit gegenseitiger Abneigung im Herzcn-
„Abneigungl" wiederholte Paul spöttisch. „So schlin»»
war es doch nicht — wir konmen uns ganz gut leiden. ll>»
beide Familien sahcn die Berbindung gern; darin liegt dow
nichts Entsetzlichcsl Aber schlietzlich warcn wir beide frob'
datz ans dcr Vernunftehe nichts wurde." ^

Und Sic ertrugen es ruhig, das; Sie in den Verdaa»
kämen, ein — ein ..."

„Mitgiftjäger zu sein?" crgänztc Paul ruhig. Nun l»?
das war ebcn nicht zu vermeiden. Jch mntzte diesen Tadc
anf mich nehmen, nm Helene nicht blotzzustellen. Soviel w»
ich doch mindcstens einer Dame schuldig, die mir so lange d>c
Ehrc erwiesen Hatte, als meine Verlobte zu gelten."

Das alles klang zugleich sehr wahrscheinlich und edelniüüd'
und da Helenc Friedrichsen gegen Bvkannte und Freundin»»'
niemals ein Worr über die Veranlasstmg zum Abbruch ihcc
Verlobnng geäutzert hatte, so wntzte Anna nichts, was den A»'
gaben Pauls widcrsprach.

(Fortsetzung folgt.)
 
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