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Heidelberger Zeitung (46) — 1904 (Juli bis Dezember)

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Nr. 256 - 281 (1. November 1904 - 30. November 1904)
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Erstcs Blatt.

48. Zahrgaxg. — Nr, 28V

^ienstag, 29. November 1SÜ4.

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diberalismus und Sozialdemokratie.

. Heidelberg, 29. Nov.

Abend voir der nationallibcralen Partei veran-
^iychj -^ersammlung in der „Harinonic" war sehr zahlreich
datte doch die Ankündigung, datz cin Mitglied der
jrrT^fellvu Partei vom nationalliberalen Standpuntt
Liberalismus nnd Sozialdemokratie sprcchen tverde,
"kiij-./! eben erst Dr. Naunmnn dieses Thema hier in so cin-
' ^toi ' Weisc behandelt hatte, grotzes Jnteresse erregt.

^8 . ^ohrhurst cröffnete unü begrühte die Versamm-

i Prvt ° ü^teckte dvm Redner des ALends das Wort.

H»'di^!' Gothein, freundlich begrüht, führte in etwa
i»I ^stide ungesähr folgcnde Gedanken aus: Wir stehcn
> ^^r Eindruck von Raumanns Vorträgen; die eüle

'^^"Mcit Naumanns hat seinc schlvungvollcn Worte ge-
^tiei,/. Er siat dre Debatte zurückgeführt auf die Grundprin-
^VEa-i, Liberalismus; das ist wichtig, denn auf die inncrstc
komimt alles an, aus ihr erflieht alles übrige.
,!>>d Darstcllung ist im Wesentlichen richtig, seine Ziele
'!»i^ ? Evrdziele wünschenswcrt, ja viclleicht notweudig, allein
Kragen bleiben doch übrig. Naumanns Vorträge
^8 ^ dem Gcdankcn: Die Herrschaft des Zentrums üüt

?8«sx^^Vueren Druck auf das geistige und politische Leben aus.
,fer ^rrrck kann nur beseitigt wcrden, ux'iin es in dcr einen
stich vchern Wcise gelingt, die Sozialdemokratie zu gewümcn.
^ sti richtig. Es 'besteht cine Gefahr der Jsolierung
"berwüm Parteien, dicjenigen Parteien aber, die sich
j^Oüt 'M der Minderheit halten, verzichten damit schlietzlich
nl Einflutz. Jn Sachsen und im Rhcinland steht es mit
Partei so, datz dic Gefahr existiert, sie wcrde
d'isiHj "! k'inc Partci der Notablen werden, eine 'Partei von
mchj ?8n ohne isoldaten. Untcr solchen Umständcn lcgt man
wij^'-us Schroergewicht anf die einzelnen Pe.rsönlichkeitcn,
A,öu einer Politik der Hintertüren und zur Geringschätzung
Aitd doch ist cs für jcde Partei nötig, datz das
^hcblicho-r Menge hinter ihr stcht. Jn Badcn ist die
, ^itio ^ i.üü r>je nationallibcrale Partci in dicser Hinsicht ja
,'8r Jst es nun wahr, datz die Herrschaft des Zcntruins
^t? Wege gebrochen tverden kann, den Naumann an-

,^,^uumann fatzt das Zcntrum als nvtweirdige Konsequcnz
!" ^lizisorus auf. Wenn dies auch zur Zeit so sein mag,
s t>och ^jch^ ch stj^ braucht auch nicht so zu sein,
Ut nicht so getvescn. Der Liberalisinus ist nicht die
^ieii4 dos Protestantismus — man denkc an dic liberalen
^e j^ FraTckixjch und inan dcnke mr den italicnischcn Li°
?8gir^8s, j»r seinen Ausgang von einer mhstischen Be-
Kp-,. 9 genommen hat, so ist auch Las Zentrum nicht Lic Konsc-

soj^°' Katholizisinus. Dcr badische. Libcralisinus z. B.
"jnsgaug iin katholischen Breisgau gcnommen. Der
Tfholik kann ein liberaler Mann sein. Frcilich, nin die
Clomente de.s Zentruins zu gewinnen, darf man die
,, "stsfre! nicht als Wölfe iin Schafsklcid oder als Schafe im
darftellen. Naumanns Hinweis, datz die Kartell-
- ^on 1878 und 1887 vorbei scien, ift richtig. Sie

» devch^derbringlich oder doch für absehbare Zeit dahin, es
dah unter einer starkcn führcndcn Rcichsregierung
d?dliche Fragen von der Wichtigkeit aufgeworfen werdcn,
>>, ^ ein^"'' Hente ist dicses nicht cinmal wünfchenswert,
.- 8 Pakticren mit den Ngrariern z. B. ist dem Liberalis-
i>i!»8e,, üefährlich. Der Liberalismns darf nicht Abschied
8vu fcinen Grundsätzen und von den Gefetzcn, die er
B's, «'S hat. So scheiick es ja allcrdings, datz der Liberalis-
iv^8>ldch^ ^r 'Ackst in glänzender Jsolierung blciben will, der
io die Hand reichen müsse. Jndessen, Naumann

„ 8'<h nicht mck der älteren Gencration derselbcn, die

^stvigjEicl repräscnticrt wird, paktiereir. Er versichert, cin
O-'ist g ^^üsprozetz habe in der Sozialdeniökratie bogmrncn,
l^rnftein, Schippel, David und anderc hin, abcr

oin Paktieren aufs Geratewohl, dcnn man weih
k-tzri, Nt, wann und wie stch die Sache wciter entwickelt.

sragen: Sollcn wir die Kahe im Sack kaufen?
^udelt es sich doch vornehmlich um cins: Wie ist das

^ Zweiter Kammermusik-AbenL.

^tnfang Les Kammermnsil - Kongertes am Samstag
. ' " "ll< ' '


' r, Klaviertrio in D-moll von Alexander Frei-
v^eit. ^ Dus ch. Das Werk ist vine solrde und crnjte
einen kräftigen, wenn auch stark auf Brahms
-io ^!^rsten Sah. Leider klingt 'das Mavier nicht, es ist,
gosülll lraiidiTe Linien gcht, etwas dünn oder manchmal
,,, es schleichen stch abgegriffeue Arpvggicn hercin.

-L^rtickid vbwohl auch die Ge-igc Lvs öftern fcharf expo-
„^'Niert, mutz man ein Gcschick für Jnstrumentation im
a Derteckurig an div Jnstrumente und Stimimen-
de iiiipä'^^nnen. StaÄ interessiert in denr ersten Satz
iLi^!8sak"!^endcr Zusammenschluh in F-dur vor dein Wie-
crsten Thcmas. Der zweite hat mir in zwci
sAfo, r» ^stvas gesazt, znmal vin Terzengang von Geige und
irisq, tllaube j,, E-dur, ist recht hübsch, der dritte fängt
8 8», äber darmch ctwas nach. Das Finale macht

jsj Dliit öwungenen Eindcuck. Auch 'das Mistcrioso in
ist nicht di- Notwendi^eit. Aber gerade hier

VliL^D"Nerfah be-i weitein am! klanalickstvn. Dvr Sckilick

e -VMÜ4I. ^rrtz E>vi weitem arN klanglichsten. Tvr Schlutz
sj^wt,^ at, nran hat unbedingt das Bödürfuis nach cinem
^^rnschläg, Lvr nicht stxrmnt; urld die Bläffe ist be-
'iö dei, berührtv mich die thvmatifche Verwandt-

h^ttlich > Dägeii; fie gehören wirklich! zufammvn. Nur hin-
3. ^ ^ Tonarten ist iri diefern Sinne zuviel getan <zu-
itz viei,^^.' 2>as Werk lätzt inan fich >gerne gvfollvn.

iufi^ die Kvvite Rovckät des Kon'zeäes, Paul
sfZvchs^n! g s „Wo r p swe dv", Stirrwnungvn ans Nie-
Singstimmc, Vroline, Englisch Horn und
gxck Lvin^, ^lle Gegensatz zrrr erstvn. Es ist hicr doch dcr Ver-
Wsge zrr gehen, nvues rn neuer Form zu
E "Derckeis^. M gelingen. Die Stimmungvn aus
' droh^, 8",wre sre uins die einsamv Malerkolonie

^un kräftigften wrchl H-cms am Errde, mauchmal

Machtverhältnis in dcr Sozialdenrvkratie? Kann maii mit
cinev solchen Entwicklurrg, wie Naumann sie vorhersieht, rech-
ncn? Viellvicht! Die Zeit, da man rn der -sozraldemokratic nur
cine Klassenorganisatron sah, rst vorüber. Die Sozraldemokratic rst
cntstanden auf wrffensckiafckrcher Grundlage u. hat eincn Glau-
ben. Lebhaft sind in ihr die wiffenfchastlichen 'Erörternngeir.
Obgteich sie bchauptct, nur mit materiellen Krästen zu rcchnen,
fo wrrkt in ihr doch am stärksten das Jdeelle. Sechsmal hat die
Sozialdemokratic ihr Programm revidiert. Schon unter Bebel
und Lrebtnecht frng cs an. Danrals hat hat man dic Laffalle'sche
Richtuny znrückgedrängt zu Gunsten derjenigen von Marx.
Jetzt aber wird üoch der Marxismus eingeschränkt. Man har
das cherne Lohngcsetz sallen gelaffcn; 'Bernstein hat der Theorie
bon der Verclendung der Maffen, einein Lieblingsgeüankeir von
Marx, dcn Todesstoh verfetzt; die Revolution als Mittel zur
Einführung des Jdealzustandes wrrd von üer wissenfchastlichen
Sozra-ldemokratrc verworfen, obgleich sie in den Köpfen der
Dkaffe nocb lebt und wachgchalten wird als Mittel der Agitativn.
Man spricht jeht mehr von üer Evolution, d. h. der Entwicklung
und wird dabei irnmer bescheidener. David z. B. bezeichnet die
sozialdemokratrsche Organisatron nur als eru Hckfsmittel zur
Hcbung dcs Ilrbeitrrstandes. Um dies zu sagcn, üazu braucht
kcin isozraldcmokrat zu kommen; das rst ern Jüeal aller, autzer
ctiva der Malthusiancr. Jn dem schr lescnswcrten Buch von
David über Sozialdenrvkratie und Landwirtschast wrrd vicl vorr
Landwirtschaft, abcr garnicht oon Sozraldemokratic gefprochen.
David bekämpft darin die Ansicht von Marx und Kautsky, datz
dcr Grohbctricb in jcdcm Fallc denr Klcinbctricb überlegcn fci.
Er trrtt für dcn bäuerlichen Kleinbetrrcb ein, serne politische
Spitze richtet srch gegen den Grotzgrundbesitz im Oswn. Er
will den Klernbauer beschühen. Das ist vin Fortschritt, rnit
eincm derartigen Programm kann der Liberalismus, zumal in
«üddcutschland, zrrfricdcn sein. 'Sodann hat Schippcl init der
Fnternationalität gebrochcn. Das Wort von Marx hicrübcr
wird wohl fcstgchalten, aber nur in dcm Sinne, datz dic Zlr-
bcitsverhältnrssc in crnern Lande von denen im andcren ab-
häugen. Das ist nichts andercs, als tvas der Kaiser bei Einbe-
rufung des internationalen Arbciterschutzkongresses gesagt hat.
Schippcl erklärt dmrn auch, datz nrcht der Freihandcl rn allen
Fällcn richtig ser. Wir sehen also, datz dre wiffenschastliche 'So-
zialdcnrokratie nch rn erner Aenderung rhrer Auffassruryen bc-
findet. Zlber wenn wir ckr diesem nnd jenem Punktc uns mit
dcn Anstchten der Sozialdeinokratie befrenndcn können, so lregt
darin noch kein Büridnrs. Wir dürfen die Unterfchivde nicht
übersehen nnd die Trennungslinre nicht überklvistern wollen.
Drc Hauptfrage rst dic: Jst es praktrsch angänglrch, hcute
Hand in Hand auch nur nckt 'Ilnhängern dicser Rrchtung zu
gehcn. Hieranf sei bemerkt: Auch der Lrberalismus ist nicht
auf seinem individuatiftischcn Stmrdpunkt stehen gvblieben.
Verändertc Vcrhältniffv haben auch bci ihm veränderte An-
schauungen erzeugt. Er steht nicht mehr anf dem Standpunst
Rottecks; auch nächt auf dem von Damberger, Laskcr und Stau-
fenberg. Er ist wccker gegaugen. Wohl ist der Schntz dcs Jndi-
viduurns, der JnÄividuatität auch heute seinc höchste Aufgabe,
aber wir glauben heute nicht mehr an den absolutvir Svgeu de-r
frcien Konkurrcnz in allen Fällen. Hinter den Jndividucn
stchen die Jntcreffengruppen; wir haberr infotgcdeffen über den
Jntereffenkampf billiger üenken gelernt. Wir hcckten die freie
Koalition, das freie Bersammlungsrecht für felbstverftändlich,
aber wir erschrecken andvrerscits abcr auch nicht vor Kartelleu
und Shndikaten, deren Entstchung ncue Probleme bringt. Dvr
alte Liberalisinus stand der wirtschastlichcn Tätigkeit des Staa-
tes zwvifelud, ja abgcneigt gegenüber. Düs hcck sich irrzwischen
gcändcrt, abcr vor einer übcrtricbenen Meinurrg von dcr
Staatswirtschaft mutz man sich hüten. Man mutz imnrvr cine
Lvstimmte Scheidelinie fcsthaltvn, und die ist leicht zn stndcu.
lleberall da, tvo eine Volkslvirtschafckiche Tätigkcit am besteir
in eincr Hand liegt, und wo sic mck eincm allgemcinen Jn-
tereffe verknüpft ist, ist dcr Staatsbetrivb am Platzc, so z. B.
bci den Eisenbahrren. Anders ist es schon bei den Wasser-
strahen, da viele Schiffe aus einer Wafferstratze fcchren künnen.
Bei der Brotvevsorgung licgt wohl cin atlgcnreines Jntcresse vor,
aber die Notwendigkcit dcr Zentrcckisivrung ist nicht vorhairdcu,

zu mächtigster Wirkung vertraut gcmacht hat, will diesmcck
die Mrrsik brinzen. Gut; abvr fiv geht an Krücken nnd bvgnügt
sich, nnr den Ge'danke'ü der Gedichte, die auis erster Hcmd die
Sckmütungen einführerr wollvn, nachzugehvn und- sie zu illu-
strieren. Das ist schon einv prekäre Sachv. Div ursprüngliche
Malerwirkung soll aus den Bvrfen kommvn, aber diefe Vvrse,
fast überall gequält urrd oft wie die blrckigstcn Karikaturcn
auf die Moderne zusammengefucht, könuen im besten Falle
erzahlen, was wir vor den Bckdern selbst (als deü prädesck-
nierten Vertretern der Gegenden in Natur) erlvben — und
erzählte Bilder sind bekanntlich immer wiv erzahltv Mittag-
essvn. Aber nichts ist zu fiNden, zn spüven von pvrsünlicher
Anteck'nähm«, bon Eingreifen 'der feltsamvn Natur amf das
nienschlrchv Fühlvn, kurz div Versv sind nichts wvniger als
Lyrik. Und hier erst wärv die Bervchtignng einzusehvn, den
Menschen singen zu laffvn, von dvm was div „Stimmiungen"
in ihm, in ieinem Leben umgestalivn, oder doch cmders ze-
stalten wie irn Menschen unter andvrieM Himmel. Die Berje
können das nicht, also fort mit ihnen, ünd ohne Bogriffe die
objekckve Natnrkraft unservm Gvfühl znm Nippvn dar-
bieten! und das HLtte die Mnsik gekonnt. Sie hat cs auch vcr-
mocht, nänckich in dem Borspiel, das glvich von dem erstvn
langgedehnten gcdämpften Violinton an zu einem bestimmten
pshchifchvn ErlMni's zwingt; vtwa dunkelbraun unid grenzen-
los. Aber schon der erste Gesang bringt ein' Kolorit, Las «ben
übenall hinpaßt, der Meckv ist rvcht oberflächlich; die Prvsodie
des Berses „lleberflimmert schon div Flur" ist zum
Beispicl für heutige Bcgriffe entsctzlich gelviert und
wenn die roten Bauernhöfe mit Trilleru „dnrch der Stämmv
hohvs Grau blinzeln", wirds dvm Hürvr mstrder behaglich.
Jm drittvn Gedicht läßt der Dichter „fern auf 'dem' Wasier,
in sinkvnder DänNnerrrng, auf ciner Harmonika die Tönc eines
Volkslivdes verilingrn"; es klinzen äber in der Dat diefe
Worte beffer, „ftriNMrmys"-vollvr, als die Töne. und die Ruh«
ist im letzten Grund« mehr Nervosität. Jm vierten „Herbst-

deshalb >war der Antrag Kanitz aüzickehrren. Und wie steht cs
nrit Lcn Kohlenbergwerken? Mit phanomenccker Ungeschicklichkeit
hat die preutzische Rcgierung verfucht, ciir Kohlenbcr-gtverk zu
verstaatlicheir. Das staatliche Jnteresse ist bei der etwaigen
Vcrstaatlichnng vonKohlerrlberglVerken vorhandcn, abcr derStaar
ist den Betrieben, die unter der 'Konkurrenz anderer Betriebe
stehen, nrcht gvwachsen; er mutz nach scincr Natur das Monopol
verlangen. Allerdings kann cr die Konknrrcnz auch dadurch
verbeffcrn, daß cr in gewissem Umsange selbst Konkurrent wird
und die Produttiousinittel beherrfcht. Die Produttionsanarchie
ist der faulste Puntt im modernen Wirtschastsleben; das ha"
Marx richtig herausgcfunden. Andererseits hat der Staats-
betrieb seine grotzen Bedenkcn; man denke an die Beschränkung
der freicn Meinungsäutzerung der 'Bearrstcn und, wie Saar-
brücken zeigt, auch der Arbeitcr. Dor" ist es gcgangen wie
Uhland gesagt hat: Wohlfahrt hat das Rccht ersetzt. Dcr
Liberalismus steht nach wie vor auf dcm Standpurrkt der Wert-
schätzung dcr freien Persönlichkest. Das ist die Klnft, die ihu
von der Sozialdcmokratie trcnnt. Vierkwürdig ist dabei, datz
die Sozialdenwkratic, die allcs vcrstaaüichen will, so staats-
seiirdlich anftritt. Zu Laffalles Zeit war das nicht der Fall.
Abcr das alles Entschcidcnde ist doch die Mach"frage. Hat der
Revifionismus so viel Macht, datz wir inck ihm rcchucir lön-
nen? Brs jeht hat er sich immer üer älteren Richtung unter-
worfen-, wcnigstens in der Praxis. Das Jdcal dcs Kladderadatsck?
schlägt noch immer durch, und dabci müflen wir bederr'ken, wiv-
schwierig es für eine Partei ist, umzrckerncn, und wie sie imnrer
wiedcr zu ihrerr urfprünglichcn Jdccn zurückkehrt. Der Revi»
sionismrrs ist noch keine Parkci. Vielleicht wird er eine, aber.
wir müffen mit der Gcgcmvart rechncn. Anch müffen.wir bc-
denken, datz die Sozialdemokratie bisher sich immcr noch born
Mark dcs Libcralismus genährt hak. Wic ist cin BündNrs
nrüglich, zwischen Parteien^ dic um die politische Machk streiken?
Marr sehe auf Bayern, wo dcr äls gcmätzigt bczeichnete sozial-
deinokratis'chc Führer v. Vollmar die 'Herrfchast dcs ZentrumS
auf üem Gewissen hak. Was hat es !^n Freisinnigen genützt,
datz sie sich prattisch der Sozialdernokratie so genähert haben ?'
Man denke an dic Wahlen in Bremcn unü Danzig und beson-
ders an diejenigc in Breslau, wo die Sozialdcnrokrackc einen
Antrsemiten uird cinvn Konservativen gegen Frcisinnige rvählen
half. So wie die Sozialdemokratie jctzk ist, ist sic eiir Stock,
der dic Han-d durchbohrt, die sich auf ihn stützt. Bei 'den Stich-
wahlen lrcgt ja die Sache andv-rs. Bei rhnen hört, wie man
zu sagen Pflegt, die polrtische Moral auf. Sie srnd ja eigens
dazu eingerichtet, datz die T'heorie vom klcineren Uebel in ihnen
zur Geltung kommt. Welches das kleincrc Uebcl ift, das ift
in dem einzelnen Falle auszumachen. Selbst «in yrotzes Uetx-I'
kann im AuMnblickc das kleinere sein. Jedcnfalls kmur das-
Zcickrum sich iricht beschwercn, wenn Natronalliberalc in der
Stichwahl für 'Sozialdemokraten sckmmvrr. Das muß deu ein-
zelnen Kreisen überlaffen bleiben. Aber die Zeit für ein Bünd-
nis zwischen den beidcn Parteien ist zrrm mindcstcn nocki lange
nicht gekommen.

Jm Weiteren toandte sich der Redner den prattischerr Aui
gabcn des Liberalismus zu und ermahnte ihn, inÄüesondere
anf sozialpolickschem Gebiet energisch täkig zu sciir und die Füh-
rung nicht etwa dcm- Zerrtrum zu überlaffcn, das mit seiuen.
Anträgen betreffend die Witwen- und Waisenversovgung Miene
gcnracht Mic, sre zn übernehmen. Dic sozialpolitische Gesetz-
gebung beruhe auf einvm liberalerr Gcdankerr, der i»r Haft-
pflichtgefetz seinen crften AuSdruck gefunden. Redncr bezeichnei
dann die Ausbckdrmg von Tarifve.rträgen und Schredsgerichtvrr
für wünschvnswert, sodann die Fortführnng der Versicherurvgs»
gesetzgebung, die seit Bismarcks Ilbgang ins Stockcn geksmmen:
sei. Man habe wohl grotzc Worte gemacht, aber nichtS ausgc-
baut. Ferner inüffe der Libcralismus auf die Fortsührung den
Mcchirahmen bedacht sein, die sich auf die Sicherurrg des LebvnK-
und der Gesundheit der Arbeiter br^-iehen. Zum Schlrch üe-
sprach er die durch Einführung der Verfafsungsrevifion in
Baden gefchaffene Lage und begrüßte jeden, der ernstlich an
der politischcn Arlbeit in Baden mitschaffeu will.

Die Rcdc des Herrn Pros. Gothoin wurdc mit archerordeut-
lich grohem Beifall aufgenonrincn. An der Diskuffion betei»

srühgang" wird gefchckdert. wie sich der Tag durchningt mch
die Nacht überwunden wird, aber mit einer Arffdringlichkeit,
dic allenfalls in> einem leidenfchaftlichen Musckdranra Platz
hat, hicr aber, in diesen angcblich lyrischcn Bildern auch öko-
nomisch viel zu derb und stürend' wirtt. Das rmutz mau sageu-
vbwolhl vieles äntzerft pikarck ustjd aNziehend erfnnden ist.
und ost ganz neue Mifchungen das Ohr treffen. Die Gc-
sangfckmme, im hochldramackschen Stck geführr, ^t gänzlich
unter rn dem! ewizen Brodeln, nnd als endlich Lichtrosafeüer-
wülkchen bom- befreiten Himmel winken, da fieht man: die
Aufregu'ug war umfonst, 'den-rr cs fft höchfteus ein mechauifches
Leben und Erschlaffrrng eiugezogcu. Für naiv
halte ich auch den „Epilog"; mau weitz fchon beim Lefen, tmes
kommen wird. 2lber, vivlleicht Mngt es widerfprechend, trotz
aller IMehnung halte ich Paul Scheinflug für einen bedeu-
tenden Musiker; nur das Werk, als Gairges und schon in der
Fdce, ist ein M'tzgriff, ein mitzlnngenes Expcriment. Die
Wahl der Jnstrumente sollte wohl Jntimitat erzeugen. aber
solche Charaktvriftiken, wie z. B. von Nebelkr'ähcn und Zng-
gänsen, die übrigens in der Mufck stets veckdächckze Trere sind,
vom Frösteln dcs Morgens nsw. lasscn wir uns nur vom Orchester
gefallen; das ist nicht Gewöhnuirg, soubern livgt in den innee-
lichsten, konstanten Bedingungen der Kammermnsik. Bei dem
tragischen Wtderspruch von Vorwurf und Mitteln dachte ich
an ein Lied von HEsegger uNd ein Klävicrftück von R. Strauß;
das sind „Häidebilder" mit rntimer Wirttrng.

Run zu den Ilusführendcn; denn znm Lobe der Brahms-
schen A-dur-Sonate für Violine und' Klavier braucht nran
rrichts mähr fagen>; ilhr zweiter Satz mit dem halbnngarischen
Mbacv in Moll fteht beim Allerentzückendften und Duftendften,
was Brahms geschaffen hat. Dre ganze Sonate zvizt nrchts
von sernem. Grundzug in Hvrbhert uud rauher Korrfequeryz.

Herr Profeffor Hugo Hecrmarrn (Frankfurt) erjchieii
mrr mehr wie der Pianist der eigentlicke Leittzr, znmal ^ in
„Worpswede". Ob er gerade hier, er von der alte'n, in erster
 
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