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Als Beleg für die Pilgerfahrt wurden am Ziel der Reise seit dem 12. Jh. sogenannte
Pilgerzeichen erworben, die mit seitlichen Ösen am Pilgerhut oder Mantel befestigt
werden konnten (327). Sie bildeten den oder die am Kultort verehrten Heiligen
oder dort bewahrten Heiltümer und Reliquien ab. Sie waren also für jeden Pilgerort
charakteristisch. Bei den Pilgerzeichen handelt es sich um typische Massenartikel.
An manchen Orten konnten davon pro Jahr mehr als hunderttausend Exemplare
abgesetzt werden, vor allem wenn ein bestimmtes Pilgerziel z.B. aufgrund geschehener
Wunder kurzfristig besonders beliebt wurde. Die Herstellung erfolgte lokal. Pilger-
zeichen wurden in fein geschnittenen Steinformen gegossen, wobei das Material
meist aus einer einfachen Blei-Zinn Legierung bestand. Als Streufund ist aus
Einbeck eine Gußform überliefert, die in diesem Zusammenhang gesehen werden
kann (326). Eingetieft sind ein Kreuzsymbol mit Dornenkrone und Kreuznägeln
sowie weitere Probe(?)-Ritzungen, die schwer zu deuten sind. Die andere Seite
zeigt ein wesentlich massiver gearbeitetes rosetten- oder sternartiges Muster, an
dessen oberem Rand zwei weibliche Figuren eine Kronef?) über einen Kopf halten.
Es ist nicht auszuschließen, daß diese Seite weniger für den Metallguß als für
Abdrücke in Wachs oder Ton gedacht war. Nach stilistischen Kriterien kann das
Model möglicherweise ins 15. Jh. datiert werden.
Die mit nach Hause gebrachten Zeichen waren nicht nur Beleg für die durch-
geführte Wallfahrt. Wert und Sinn der Zeichen reichten weiter. Sie waren Gegen-
stand persönlicher Erinnerung und frommer Betrachtung und wurden daher oft
im Zusammenhang mit einfachen Hausaltärchen und Heiligenfiguren bewahrt.
Durch Berühren der Kultobjekte waren sie selbst reliquienartige Träger fortwirkender
Segenskräfte. Daher benutzte man sie auch für vielerlei abergläubische, magische
und volksmedizinische Praktiken: Vergraben im Acker schützten sie vor Mäusen
und Unkraut. Am Haus, neben dem Bett oder im Viehstall angebracht, wehrten sie
Unheil ab. ln Krankheitsfällen tauchte man sie in Wein oder Wasser, das man dann
als Medizin verabreichte.

Die zerbrechlichen Pilgerzeichen bleiben nur unter besonderen Umständen, in
feuchtem Bodenmaterial und unter weitgehendem Luftabschluß erhalten. Bei
wechselfeuchten Lagerungsbedingungen zerfällt die Blei-Zinn Legierung offenbar
sehr schnell. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß wir aus Einbeck
bislang nur Pilgerzeichen aus tiefliegenden Schichten der Zeit um 1300 bzw.
der ersten Hälfte des 14. Jh.s kennen. Von den vier in den letzten zehn Jahren
geborgenen Zeichen (327), läßt sich bedauerlicherweise nur eines einem bekannten
Pilgerort, nämlich Köln, zuweisen (327,1). Es zeigt unter einer stark stilisierten

326 Gußform für Devotionalien (?) aus sehr feinkörnigem
Kalk- oder Sandstein, Altfund vom Tiedexer Tor. Originalbreite 10,1 cm.

325 Fragment eines tönernen Aachhoms, um 1500
(Einbeck 185) und Zeichnung eines vollständigen
Horns aus Köln. M. 2:3 bzu>. 1:4.
 
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